Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn für die ganze Schweiz – dieses Anliegen hat bei den Stimmberechtigten schlechte Chancen. 2014 haben sich mehr als drei Viertel dagegen ausgesprochen.

Anders sieht die Situation aus, wenn die Kantone selbst bestimmen. Neuenburg, Jura, Tessin, Genf und Basel-Stadt haben inzwischen einen Mindestlohn. Und mit Zürich stimmt Mitte Juni die Wirtschaftsmetropole des Landes darüber ab. Es wäre das erste Mal, dass eine Stadt in Eigenregie eine Lohnuntergrenze festlegen würde. Der Zürcher Mindestlohn würde bei Fr. 23.90 pro Stunde liegen. Das entspricht 4000 Franken pro Monat für eine Vollzeitstelle. 

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Für unter 25-Jährige gälte der Zürcher Mindestlohn nur, wenn sie eine Ausbildung abgeschlossen haben. Für Personen ohne Berufsabschluss entfällt der Mindestlohn. Damit soll verhindert werden, dass wegen des Mindestlohns auf eine Ausbildung verzichtet wird. So hat es das Zürcher Stadtparlament im März entschieden. 

In der Stadt Zürich könnten rund 17’000 Personen vom Mindestlohn profitieren. Sie arbeiten in Tieflohnbranchen wie der Reinigung oder der Gastronomie. Vor allem Frauen käme der Mindestlohn zugute, da sie häufiger Teilzeit arbeiten. Und überdurchschnittlich oft in Bereichen mit niedrigem Lohn.

Kampf auf Kantonsebene

Bisher wurde der Abstimmungskampf um den Mindestlohn vor allem auf kantonaler Ebene erfolgreich geführt: Die Kantone Neuenburg (Fr. 20.77 pro Stunde), Jura (Fr. 20.60 pro Stunde), Tessin (zwischen Fr. 19.00 und Fr. 19.50 pro Stunde), Genf (Fr. 24.00 pro Stunde) und Basel-Stadt (Fr. 21.00 pro Stunde) haben sich für einen Mindestlohn entschieden.

Für die Kantone Schaffhausen, St. Gallen oder Thurgau kam eine solche gesetzliche Regelung aber nicht in Frage, sie lehnten die Initiativen ab. Die Unternehmen wären nicht in der Lage, den Mindestlohn zu zahlen, und würden insolvent werden, hiess es von der Gegenseite. Eine Argumentation, gegen die eine Studie aus dem Jahr 2022 spricht, welche die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Wettbewerbsbedingungen in Deutschland untersuchte: Dieser wirke sich positiv auf den Unternehmensbestand aus. 

Im europaweiten Vergleich hinkt die Schweiz deutlich hinterher. Länder wie die Niederlande, Deutschland oder Spanien haben bereits vor Jahren eine landesweite Lohnuntergrenze eingeführt. Frankreich hat zu Beginn dieses Jahres den Mindestlohn erhöht. 

Parlament stellt GAV über den Mindestlohn

In der Schweiz scheint der Mindestlohn also schrittweise auf kantonaler und kommunaler Ebene eingeführt zu werden. Dass Kantone und Städte somit selbst über einen Mindestlohn entscheiden, scheint dem Parlament aber nicht ganz zu passen. Denn National- und Ständerat haben vergangenen Dezember mit 95 zu 93 und 28 zu 16 Stimmen beschlossen, allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge (GAV) über die kantonalen Mindestlohnbestimmungen zu stellen. Dies bedeutet, dass die Mindestlohnbestimmungen nicht gelten, wenn der nationale Gesamtarbeitsvertrag einen tieferen Lohn vorsieht.

In den Kantonen Jura, Tessin und Basel-Stadt gilt diese Regel bereits. Wird der Vorstoss umgesetzt, würde sie auch in Genf und Neuenburg in Kraft treten. Für eine Genfer Coiffeuse würde das zum Beispiel bedeuten, dass sie rund 1000 Franken weniger im Monat verdient. In Neuenburg würde ihr Minimallohn um 400 Franken sinken.

Der Vorstoss kam vom Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin. Er und die anderen Befürworter argumentieren, sie wollen so die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schützen. Diese stärke nicht nur den Arbeitsfrieden in der Schweiz, sondern sorge auch für mehr Wirtschaftsfreiheit. Für die Linken und die Grünen missachtet der Entscheid des Parlaments hingegen den Volkswillen in den betroffenen Kantonen. Sie sprechen von einem Frontalangriff auf den Föderalismus. Auch der Bundesrat lehnte die Motion im Vorfeld ab. Sie sei ein zu grosser Eingriff in die kantonalen Gesetze. 

Wird der Mindestlohn von der Zürcher Stadtbevölkerung angenommen, dürfte auch hier der Parlamentsentscheid greifen. Doch es kommt auf die Branche an, sagt Beobachter-Rechtsexpertin Katharina Siegrist. Allgemeinverbindliche GAV würden immer nur für eine bestimmte Branche gelten. Aktuell liegt die Zahl der unterschiedlichen GAV bei über 40. Trotzdem gebe es etliche Berufsfelder oder Arbeitnehmende, die keinem GAV unterstehen. Etwa die Logistik- oder die Hauswirtschaftsbranche. Für diese würde der Mindestlohn also gelten. «Für die Branchen mit GAV ist der Entscheid des Parlaments aber stossend. Besonders, wenn der kantonale oder kommunale Mindestlohn höher ist als jener des GAV», so Siegrist weiter. 

Ob der Mindestlohn in der Stadt Zürich in Kraft tritt, wird sich nach der Abstimmung am 18. Juni zeigen. SP, Grüne, AL, Mitte und EVP plädieren für die Einführung des Mindestlohns. Dagegen sind die bürgerlich-liberalen Parteien FDP, SVP und die Grünliberalen. Währenddessen arbeitet der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Sozialpartnerschaft aus.