Sprachrohr der Wirtschaft
Das Konsumentenforum (KF) setzt sich kaum mehr für Anliegen der Konsumenten ein. Subventionen vom Bund kassiert es dennoch.
Veröffentlicht am 18. März 2014 - 09:50 Uhr
Es war nicht der erste Sündenfall. Nur Minuten nachdem der Nationalrat die Revision des Kartellgesetzes versenkt hatte, jubelte ausgerechnet das Konsumentenforum (KF): «Kein neues Gesetz gegen Hochpreisinsel». Das Gesetz hätte lediglich «einen unnötigen Bürokratieaufbau und eine Einschränkung der Produkteauswahl für Konsumentinnen und Konsumenten» gebracht, schrieb der KF-Geschäftsleiter Michel Rudin in der offiziellen Stellungnahme.
Die Medien sahen das anders. Die «Aargauer Zeitung» etwa titelte: «Konsumenten zahlen die Zeche»; «Hochpreisinsel verankert», hiess es im «St. Galler Tagblatt». Und Mathieu Fleury, Generalsekretär der Fédération romande des consommateurs (FRC), kocht immer noch: «Das heutige Kartellgesetz gibt den Konsumenten keine Möglichkeit zu klagen. Es entmündigt sie. Deshalb können wir die Stellungnahme des Konsumentenforums nicht begreifen.» Was nur Insider wussten: Das KF trat letzten September der «Allianz gegen Handelshemmnisse» bei, die gegen die Revision des Kartellgesetzes kämpfte. Mit an Bord die halbe Wirtschaft: Economiesuisse sowie die Branchenverbände Swiss Retail Federation, Promarca und Handel Schweiz.
Anfang März hatte Rudin mit seiner Stellungnahme zum Lebensmittelgesetz schon einmal für Kopfschütteln gesorgt. Der Ständerat hatte sich gerade dagegen ausgesprochen, dass auf der Etikette die Herkunft von Inhaltsstoffen, die weniger als 20 Prozent des Fertigprodukts ausmachen, ebenfalls vermerkt werden muss. «Natürlich sind auch wir für transparente Information. Doch diese muss auf freiwilliger Basis erfolgen», kommentierte Rudin, als wäre er Pressesprecher der Lebensmittelindustrie.
Im Winter hatte Rudin ein anderes Kernanliegen des Konsumentenschutzes torpediert: die Einführung des Widerrufsrechts beim Internethandel. Kunden, die auf ein irreführendes Angebot hereinfallen, sollten das Recht bekommen, vom Vertrag zurückzutreten. Für das KF ist das eine unnütze Forderung. «Das war eine Einladung zum Missbrauch», sagt Rudin. «Wer im Netz bestellt, hätte dann einfach vom Vertrag zurücktreten können.» Die Angeschmierten wären die «ehrlichen Konsumenten, die deshalb höhere Preise hätten zahlen müssen».
Dass im Internet viele Kunden zu Fehlkäufen verführt werden, zeigen allein schon die täglichen Anrufe Betroffener beim Beobachter-Beratungszentrum. Ausserdem funktioniert das Widerrufsrecht im europäischen Ausland ohne Probleme, wie letzte Woche auch der Bundesrat bestätigte.
Das KF sieht das anders. Für solche Streitfälle habe man letzten Herbst ja die Ombudsstelle für E-Commerce geschaffen. Das reiche völlig. Der Anstoss zu dieser Ombudsstelle stammt vom Verband des Schweizerischen Versandhandels und dem Billettverkäufer Ticketcorner, die die Stelle auch zahlen. Für Rudin ist die Nähe zum Handel völlig unproblematisch: «Jeder bringt sein Fachwissen mit ein. Wir suchen gemeinsam nach konstruktiven Lösungen, die den Konsumenten helfen.»
Letzten Herbst hatte das KF ein weiteres Tabu gebrochen und die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) offen attackiert. Dass Hersteller neu angeben müssten, wie lange ein Produkt funktionstüchtig bleiben soll und ob es reparierbar sei, sei «übertrieben und unnötig». Ebenso, dass in Zukunft der Hersteller bei Defekten beweisen müsse, der Kunde habe ein Gerät unsachgemäss behandelt. Es reiche vollauf, wenn die Konsumenten ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und beim Einkaufen die Wahlfreiheit hätten, so Rudin. Wenn der Printer zu früh den Geist aufgibt, ist der Konsument schuld – er hätte ja einen besseren kaufen können, so die KF-Logik.
In den letzten Monaten hat das KF praktisch alle Verbindungen zu den anderen Konsumentenorganisationen gekappt. Seit vor zwei Jahren Michel Rudin Geschäftsleiter und letzten Sommer Babette Sigg Frank Präsidentin des KF wurden, «weht ein ganz anderer Wind», sagt FRC-Generalsekretär Fleury. Es sei eigenartig, dass das KF ständig mit der Wirtschaft unter einer Decke stecke, meint SKS-Präsidentin Prisca Birrer-Heimo. Und stellt klar: «Nicht wir distanzieren uns vom KF, sondern das KF sucht bewusst gegensätzliche Positionen zu uns.» Das Ziel: Profilierung.
KF-Chef Rudin bestätigt, dass man «nur noch punktuell» mit den anderen Konsumentenorganisationen zusammenarbeite. «Es macht für uns keinen Sinn, in Gremien hineinzugehen, in denen wir permanent im Verhältnis drei zu eins überstimmt werden. Dafür fehlen uns die Ressourcen.»
Die Folgen des KF-Alleingangs seien für die Konsumentinnen und Konsumenten bitter, sagt Mathieu Fleury von der welschen FRC. «Wir sprechen nicht mehr mit einer Stimme. Das nützen unsere Gegner natürlich aus. Sie sagen sich: ‹Wenn sich nicht einmal die Konsumenten einig sind, müssen wir auf sie auch keine Rücksicht mehr nehmen.›»
Die Einladung, mit den anderen drei Konsumentenorganisationen zusammenzuarbeiten, lehnt das KF ab. Man sei einer bürgerlichen Politik verpflichtet, sagt Rudin. Das KF wollte sich auch nicht inhaltlich festlegen lassen, wie das die Allianz der Konsumentenschützer fordere. Es lehnte ausserdem ab, transparent über seine Geschäftstätigkeit zu berichten: Die im Jahresbericht publizierten Zahlen sagen eigentlich nur, dass der Verein seit zehn Jahren mit sinkenden Einnahmen kämpft. «Das belegt immerhin, dass wir nicht von der Wirtschaft geschmiert sind», sagt Rudin lakonisch.
Ein genauerer Blick auf die Rechnung lohnt sich trotzdem. Das wirtschaftsliberale KF ist wie keine zweite Konsumentenorganisation vom Staat abhängig. Mehr als die Hälfte der Einnahmen sind Bundessubventionen – vielsagend unter «Einnahmen Dritter» verbucht. Die SKS finanziert sich nur zu 15 Prozent, die FRC sogar nur zu 10 Prozent mit Bundesgeldern.
Die Rechnung offenbart auch, wie schlecht verankert das KF ist. Rudin sagt dem Beobachter zwar, man habe «rund 3000 Mitglieder». Das kann nicht stimmen. In der Rechnung sind unter «Mitglieder/Gönner/Spender» gut 85'000 Franken Einnahmen verbucht. Mitglieder zahlen 30 Franken pro Jahr, Gönner 100 Franken, Kollektivmitglieder 200 Franken. Das lässt nur einen Schluss zu: Das KF wird von deutlich weniger als 3000 Personen finanziell unterstützt – SKS und FRC dagegen von insgesamt 58'000. Auch das kümmert KF-Geschäftsleiter Rudin wenig. Er sagt, sein Verein vertrete nicht 2000 oder 60'000, sondern 500'000 Konsumenten.
Zu dieser kühnen Behauptung kommt er, weil er die Mitglieder aller Organisationen zählt, die Kollektivmitglied beim KF sind – also alle Mitglieder der Frauenorganisation Alliance F oder des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands. Dazu die Mitglieder des Kosmetik- und Waschmittelverbands und des Verbands Schweizer Bettwarenfabriken. Nur: Diese 500'000 wurden noch nie gefragt, ob sie sich durch das KF vertreten sehen.
Hinter der Hochrechnung stecken handfeste Interessen. Denn das kleine KF hat ein Legitimationsproblem. Es erhielt letztes Jahr zwar 21 Prozent der Bundesgelder für Konsumentenschützer, zählt aber wohl dreissigmal weniger zahlende Mitglieder als SKS und FRC. Die SKS bekam trotzdem nur 31 Prozent der Subventionen, die FRC 32 Prozent. Diese 210 786 Franken Bundesgelder braucht das KF. Der Verein wäre sonst pleite und könnte den Kampf «gegen Bevormundung» und «für die Wahlfreiheit der Konsumenten» nicht führen.
Wie das KF die Steuergelder zum Wohl der Konsumentinnen und Konsumenten einsetzt, zeigt sich zum Beispiel beim Rauchen. Hier kämpft der Verein für billige Zigaretten. Denn: «Die stetig steigende Tabaksteuer entmündigt den Konsumenten zunehmend und beschränkt ihn in seiner Wahlfreiheit», hustet das Konsumentenforum in seinem Jahresbericht.