Die Schweiz ist eine gigantische Gold-Drehscheibe. Fünf der weltweit grössten Goldraffinerien befinden sich hierzulande: drei im Kanton Wallis, eine in Bern und eine in Neuenburg. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 50 Prozent des weltweit abgebauten Goldes an diesen Standorten verarbeitet werden. Genaue Zahlen sind geheim. 

Das wollte die Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ändern. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz verlangte sie von der Eidgenössischen Zollverwaltung, die Goldlieferanten der Schweizer Raffinerien offenzulegen. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte diese Deklarationspflicht im März 2022 ab. Danach zog die NGO das Urteil weiter ans Bundesgericht. 

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Am Mittwoch folgte dieses der Vorinstanz. In einer Medienmitteilung schreibt das Bundesgericht: «Die fraglichen Informationen fallen unter das im Mehrwertsteuergesetz vorgesehene Steuergeheimnis und sind damit vom Auskunftsrecht gemäss Öffentlichkeitsgesetz ausgenommen.»

Warum ist die Goldbranche so verschwiegen?
Mark Pieth: Weil der Ursprung von Gold oft hochgradig problematisch ist. So gibt es zum Beispiel die Behauptung, dass die Schweiz Gold aus dem Sudan raffiniert. Ein Bürgerkriegsland. Wenn das stimmt, ist das eine Katastrophe für Schweizer Raffinerien.


Aber durch Verschwiegenheit macht man sich doch umso verdächtiger.
Und unglaubwürdig. Viele NGOs haben längst recherchiert, woher die Raffinerien ihr Gold haben. Das zeigt zum Beispiel der Bericht «Out of the Shadows» von Swissaid. Nur die Mengen kennt man nicht.

Zur Person

Mark Pieth
Quelle: Lucia Hunziker

Mark Pieth ist Antikorruptionsexperte und emeritierter Professor für Strafrecht und Kriminologie. 2019 ist sein Buch «Goldwäsche: Die schmutzigen Geheimnisse des Goldhandels» erschienen. 

Sind Sie überrascht über das heutige Urteil des Bundesgerichts?
Das Urteil überrascht mich gar nicht. Ich halte nicht viel vom Bundesgericht. Das Bundesgericht sät mit dem Entscheid Misstrauen gegenüber einer Branche, die immer wieder dreckiges oder illegales Gold bezieht.


Das sind harte Worte.
Ja, ich meine das genau so. Es gibt sehr viel schmutziges Gold in der Schweiz. Als Bürger kann ich nach diesem Entscheid nicht davon ausgehen, dass die Behörden seriös abklären, woher das Gold kommt. 


Hat der Entscheid des Bundesgerichts eine Auswirkung, oder bleibt jetzt einfach alles beim Alten?
Ab 2018 gab es eine ganze Reihe von Versuchen, nachhaltiges Gold zu fördern und den negativen Eindruck der Branche zu korrigieren. Mit dem Bundesgerichtsentscheid machen wir einen Schritt zurück. Die Raffinerien haben offensichtlich etwas zu verstecken. Da ist Misstrauen angebracht.
 

Ist die Begründung des Gerichts, die Daten fielen unter das Steuergeheimnis, nachvollziehbar? 
Das Steuergeheimnis ist ein indirekter Schutz des Geschäftsgeheimnisses. Als Geschäft muss man seine Einnahmequellen für die Mehrwertsteuererklärung offenlegen. Mehrwertsteuer bezahlen müssen die Raffinerien nicht.

«Es gibt Minen, wo Kinder arbeiten, giftiges Quecksilber eingesetzt wird und Wälder abgeholzt werden.»

Mark Pieth, Antikorruptionsexperte

Was ist die Bedeutung der Schweiz im globalen Goldhandel?
In der Raffinerie ist die Schweiz Weltmeisterin. Früher haben wir 70 Prozent des weltweiten Goldes raffiniert, heute sind es noch 50 Prozent. Das ist immer noch weit mehr als irgendein anderes Land.


Wie schmutzig ist das Gold, das in die Schweiz importiert und verarbeitet wird?
Es gibt Minen, wo Kinder arbeiten, giftiges Quecksilber eingesetzt wird und Wälder abgeholzt werden. Bei grösseren Minen herrscht oft Korruption, Enteignung der indigenen Bevölkerung, Vergiftung von Brunnen und Zurücklassen von gefährlichen Abraumhalden. 
 

Und Schweizer Raffinerien beziehen Gold aus solchen Minen?
Ja. Wenn sie 50 Prozent des Goldes in der Welt raffinieren, muss man davon ausgehen, dass das Gold in der Schweiz alles andere als sauber ist. NGOs haben Schweizer Raffinerien in den letzten 20 Jahren immer wieder auf die Probleme ihrer Lieferanten hingewiesen. Die haben das jeweils so lange abgestritten, wie sie konnten, und sich irgendwann von dem Standort zurückgezogen. Dieser Mechanismus wiederholt sich ständig. 

«Man kann den Behörden nicht trauen, dass sie genau hinschauen.»

Mark Pieth, Antikorruptionsexperte

Hat der Import von dreckigem Gold keine Konsequenzen für die Raffinerien?
Nein, man kann den Behörden nicht trauen, dass sie genau hinschauen. Und auch den Behörden selbst, beispielsweise dem Zoll, können wir nicht auf die Finger schauen. Es verstecken sich alle hinter dem Steuergeheimnis.


Hätte mehr Transparenz tatsächlich auch zu besseren Bedingungen in den Minen geführt?
Stellen Sie sich vor, Sie kaufen einen Ehering und erfahren, dass das Gold dafür von Kindern in Burkina Faso in einer Mine geschöpft wurde. Das wollen Sie nicht, Sie wollen nachhaltiges Gold. Transparenz würde zu einem dramatischen Imageschaden führen.


Die Bundesrichter sagten am Mittwoch, um Transparenz über den Goldhandel in der Schweiz zu schaffen, müsse man das Parlament anrufen. Stimmen Sie zu?
Das ist völlig aussichtslos. Es gibt so viel Lobbyismus in der Goldbranche, dass man im Parlament keine Mehrheit hinkriegen würde. Auch der Bundesrat will keine Gesetze, sondern auf Selbstregulierung vertrauen. Das hat er 2018 in einem Bericht festgehalten. Dieser Bericht ist jämmerlich. Selbstregulierung klappt nicht, das zeigt der Entscheid des Bundesgerichts. Die Raffinerien ziehen Stillschweigen der Glaubwürdigkeit vor. Damit nehmen sie in Kauf, dass man ihnen nichts mehr abnimmt.