Gesucht: Stossendster Strafbefehl des Jahres
Die meisten Straftaten in der Schweiz werden direkt von der Staatsanwaltschaft geahndet, ohne dass vorher die beschuldigte Person befragt wird. Nicht selten kommt es dabei zu Fehlentscheiden.
Veröffentlicht am 4. Dezember 2023 - 07:19 Uhr
Schweizer Staatsanwaltschaften haben viel Macht. Wenn eine Straftat passiert, erheben sie nicht nur Anklage und leiten die Ermittlungen. Oft bestimmen sie auch gleich das Strafmass. Mit einem Strafbefehl können Staatsanwälte in eigener Kompetenz Freiheitsstrafen von bis zu sechs Monaten und Geldstrafen von bis zu 180 Tagessätzen verhängen. Die Beschuldigten werden in den meisten Fällen nicht angehört und haben nur zehn Tage Zeit, gegen den Strafbefehl Einspruch zu erheben.
Diese Praxis hat grosse Makel. Es wird teils nicht sauber abgeklärt, was wirklich passiert ist. Strafbefehle als Versuchsballone auf gut Glück zugestellt – in der Hoffnung, dass niemand sich wehrt und die Sache damit erledigt ist. Sie werden nicht immer in eine Sprache übersetzt, die die Beschuldigten verstehen. Wenn Zustelladressen fehlen, werden die Strafbefehle fiktiv zugestellt. Das heisst: Die Behörde verschickt sie nicht mal – trotzdem werden sie rechtskräftig. Und die Einsprachefrist von zehn Tagen ist zu kurz, als dass die Beschuldigten ihre Chancen und Risiken gut abwägen könnten.
2 Tage im Gefängnis – danach Verfahren eingestellt
Obwohl Fachleute das Strafbefehlsverfahren seit Jahren kritisieren, änderte die Politik bisher nur wenig. Um auf diese strukturellen Defizite im Schweizer Rechtssystem aufmerksam zu machen, hat der Beobachter 2022 den Negativpreis «Fehlbefehl» ins Leben gerufen. Die Auszeichnung für den schludrigsten Strafbefehl des Jahres ging letztes Jahr an die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis. Ein Afghane verbrachte zwei Tage in Polizeihaft. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Verurteilung unzulässig war. Der Strafbefehl gegen ihn wurde aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
Kennen Sie Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft nachlässig gearbeitet hat? Wo ein Strafbefehlsverfahren nach Einsprache eingestellt wurde? Wo eine beschuldigte Person nicht angehört wurde? Gar jemand zu Unrecht im Gefängnis sass? Melden Sie sich jetzt bei uns, für die «Auszeichnung» des stossendsten Strafbefehls des Jahres 2024.
92 Prozent aller Straftaten werden mit Strafbefehlen erledigt. 94’862 waren das laut Bundesamt für Statistik im Jahr 2022. Ohne ein Gericht überzeugen zu müssen, können Staatsanwaltschaften Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten aussprechen. Trotz dieser grossen Macht wird ihre Arbeit kaum kontrolliert. Der Beobachter möchte das ändern.
In Kooperation mit dem Verein Entscheidsuche.ch und einer hochkarätigen Jury küren wir den Fehlbefehl 2024. Schicken Sie uns den Strafbefehl, den Sie stossend finden, mit einer kurzen Beschreibung des Falls an strafbefehl@beobachter.ch oder anonym unter sichermelden.ch.
Anmerkung: In einer ersten Version dieses Artikels schrieb der Beobachter, die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis habe einen Mann 75 Tage in ein Gefängnis gesteckt, ohne dass dieser wusste, warum. Das ist falsch. Dieser Fall ereignete sich nicht in Zürich, sondern in Basel. Den Schmähpreis «Fehlbefehl des Jahres» erhielt die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis für den Fall eines Afghanen, der zwei Tage in Polizeihaft verbrachte.
1 Kommentar
ein strafbefehlt bis zu 6 monaten kann "nur" erteilt werden, wenn der beschuldige die strafe anerkennt. die einsicht hat.
ist das nicht der fall muss ein ordentliches gericht darüber befinden
somit ist der ganze beitrag als falsch zu bezeichnen. und jegliches gericht bzw staatsanwaltschaft die welche "brief" zustellt ohne unterschrift und zustimmung ebenfalls als illegal zu bewerten...