Talal Aldroubi hat gekämpft und gewonnen. Und doch steht der Mann aus Syrien erneut vor einem Scherbenhaufen. «Ich weiss nicht, warum ich diese beharrliche Ablehnung verdient habe», sagt er. «Ich dachte, alles sei entschieden.»

Spiessrutenlauf über mehrere Jahre

Der Einbürgerungsfall aus dem Thurgau sorgte schweizweit für Schlagzeilen und gipfelte im Oktober 2023 nach fünfjähriger Auseinandersetzung vor Bundesgericht. Dies, nachdem erst die Einbürgerungskommission der Gemeinde Romanshorn TG, dann das kantonale Departement für Justiz und Sicherheit und schliesslich auch das Thurgauer Verwaltungsgericht das Einbürgerungsgesuch Aldroubis abgelehnt hatten.

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Wegen Alimentenbevorschussung wurde er nicht eingebürgert – trotz gelöschten Schuldscheinen.

Begründet wurde dies mit einem Schuldschein von Aldroubi über 11’500 Franken. Es handelt sich dabei um eine Alimentenbevorschussung durch seine frühere Wohngemeinde. Aldroubi hat sich mit der Gemeinde allerdings geeinigt, das Geld zurückzuzahlen. Im Gegenzug wurden die Schuldscheine aus dem Betreibungsregister gelöscht.

Dennoch sahen die Vorinstanzen in diesem Punkt einen Verstoss gegen das Einbürgerungskriterium der «geordneten finanziellen Verhältnisse». Das sei ungerecht, sagte Aldroubi.

 

Das Bundesgericht wies Romanshorn an, Aldroubi und seine Kinder einzubürgern.

Das Bundesgericht gab ihm recht. Die Einbürgerungskommission Romanshorn wurde höchstrichterlich angewiesen, Aldroubi sowie seine beiden Kinder im Alter von drei und sechs Jahren einzubürgern. Damit war der Fall, der dem Staat bis dahin Anwalts- und Verfahrenskosten von 60’000 Franken eingebrockt hatte, vom Tisch. Dachte Aldroubi. 

Nur noch das Kantonsbürgerrecht fehlte

Die Gemeinde Romanshorn erteilte Aldroubi und den Kindern im November 2023 das Gemeindebürgerrecht. Vom Staatssekretariat für Migration kam im Mai 2024 die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung. Damit fehlte nur noch das Kantonsbürgerrecht.

 

«Wie kann es sein, dass sich die Justizkommission über das Bundesgericht hinwegsetzt?»

Talal Aldroubi

Und dort, im Grossen Rat Thurgau, bahnt sich nun – ein Jahr nach dem Bundesgerichtsentscheid – ein Showdown an, mit dem weder Aldroubi noch sein Anwalt gerechnet hatten: Die Justizkommission, die jeweils die Einbürgerungsgesuche vorgängig prüft, stellt dem Grossen Rat trotz dem Bundesgerichtsentscheid den Antrag, Aldroubis Gesuch abzulehnen.

Angriff auf Rechtsordnung?

Für Aldroubi, der seit 2006 in der Schweiz lebt, ein Schock: «Wie kann es sein, dass sich die Justizkommission über einen Entscheid des Bundesgerichts hinwegsetzt?»

«Das werte ich als Angriff auf die Schweizer Rechtsordnung.»

Anwalt von Talal Aldroubi

Der Anwalt Aldroubis sagt: «Dieser Vorgang ist erstaunlich und besorgniserregend zugleich.» Das Urteil des Bundesgerichts sei überdeutlich und rechtlich bindend. «Dass sich die Justizkommission des Kantons Thurgau darüber hinwegsetzt, werte ich als Angriff auf die Schweizer Rechtsordnung und als Affront gegenüber dem Bundesgericht.» 

Integration und Deutschkenntnisse zählten nichts

Zumal die Justizkommission ihren Antrag auf Ablehnung auf exakt dasselbe Argument abstützt wie die früheren Instanzen: den Schuldschein, also das Geld. Das Bundesgericht hatte diese Begründung als «willkürlich» und «haltlos» gerügt. 

Denn andere Einbürgerungskriterien – das Bundesgericht hob insbesondere Aldroubis Integration, seine Deutschkenntnisse sowie verschiedene Arbeitsbemühungen und eine geplante Ausbildung als Dolmetscher hervor – seien erfüllt. 

Kommissionspräsidentin will sich nicht äussern

Warum hält die Justizkommission also an diesem Argument fest? Die Präsidentin der Justizkommission, FDP-Kantonsrätin Michèle Strähl, verzichtet auf Anfrage des Beobachters auf eine Stellungnahme. Die Justizkommission äussere sich als vorberatende Kommission nicht zu laufenden Einbürgerungsverfahren. 

Wie geht es nun weiter?

Der Anwalt Aldroubis hat in der Zwischenzeit eine Stellungnahme zuhanden der Justizkommission und der 130 Kantonsräte verschickt, in der er an das Bundesgerichtsurteil erinnert. Der Grosse Rat entscheidet über das Gesuch am 23. Oktober 2024. 

Sollte das Gesuch Aldroubis tatsächlich abgelehnt werden, würde der 46-Jährige den Entscheid noch einmal anfechten. Und dann müsste das Bundesgericht erneut – und auf Basis derselben Faktenlage – über das Einbürgerungsgesuch urteilen. Vor diesem Hintergrund könnte dieser Einbürgerungsprozess für den Kanton mit einer erneuten Anweisung enden.