Den Täter anzeigen?
Opfer können Anzeige erstatten. Doch wie läuft die Sache dann weiter?
aktualisiert am 3. November 2023 - 14:44 Uhr
Muss ich als Opfer Strafanzeige erstatten?
Nein. Sie haben zwar das Recht dazu. Im Gegensatz zu den Behörden sind Private aber dazu nicht verpflichtet, selbst dann nicht, wenn sie Zeugen eines Offizialdelikts geworden sind – also einer Straftat, die von Amts wegen verfolgt werden muss.
Wichtig hierbei: Haben Sie wegen eines Offizialdelikts eine Strafanzeige einmal eingereicht, lässt sie sich nicht mehr zurückziehen. Die zuständige Strafbehörde entscheidet, ob der Verzeigte aufgrund Ihrer Aussagen verurteilt werden kann oder nicht. Steht Aussage gegen Aussage, ist der Nachweis oft schwierig.
Zudem kann für Sie ein Mehraufwand entstehen, da Sie unter Umständen Ihre Schilderungen bei der Staatsanwaltschaft – und zwar in Anwesenheit der beschuldigten Person – nochmals bestätigen müssen. Ist Ihnen dieser Einsatz jedoch von vornherein zu hoch, lassen Sie die Anzeige besser bleiben. Das kann zum Beispiel dann sinnvoll sein, wenn der Täter von sich aus bereit ist, Ihnen den entstandenen Schaden zu ersetzen.
Was ist der Unterschied zwischen Strafanzeige und Strafantrag?
Gewisse Straftaten, die weniger schwer wiegen als Offizialdelikte, werden erst dann verfolgt, nachdem das Opfer einen Strafantrag gestellt hat. Deshalb spricht man bei solchen Straftaten – etwa bei Tätlichkeiten, einfacher Körperverletzung, Ehrverletzung , Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch – von sogenannten Antragsdelikten.
Für den Strafantrag, den Sie innert drei Monaten nach der Tat stellen müssen, erhalten Sie von der Polizei ein Formular. Mit diesem Formular können Sie gegebenenfalls auch sofort auf den Strafantrag verzichten.
Doch aufgepasst: Ein solcher Verzicht ist endgültig. Wenn Ihnen durch die Straftat ein Schaden entstanden ist, den Sie – etwa weil er nicht durch eine Versicherung gedeckt ist – im Rahmen des Strafverfahrens geltend machen wollen, müssen Sie den Strafantrag stellen. Sie können diesen später immer noch endgültig zurückziehen, und zwar bis zur Urteilseröffnung der zweiten kantonalen Instanz.
Wie fordere ich Schadenersatz?
Wurden Sie durch eine Straftat, zum Beispiel einen Einbruch, in Ihren Rechten unmittelbar verletzt, gelten Sie als geschädigte Person. Damit sind Sie aber nicht automatisch Partei des Strafverfahrens, sondern erst dann, wenn Sie gegenüber den Behörden ausdrücklich erklären, sich am Strafverfahren als Privatklägerin respektive als Privatkläger beteiligen zu wollen.
Die Staatsanwaltschaft stellt Ihnen ein entsprechendes Formular zu. Darin können Sie ankreuzen, ob Sie Straf- und/oder Zivilkläger werden wollen. Mit der Strafklage beteiligen Sie sich – neben der Staatsanwaltschaft – an der Verfolgung und Bestrafung der beschuldigten Person.
Sie gehen dabei aber auch ein gewisses Kostenrisiko ein, falls das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen wird. Bei der Zivilklage geht es hingegen «nur» darum, Schadenersatz und gegebenenfalls eine Genugtuung zu verlangen.
Wer Opfer einer Straftat geworden ist, hat ein Recht auf Opferhilfe. Doch was heisst das konkret und wohin können sich Betroffene wenden? Erfahren Sie als Beobachter-Mitglied unter anderem, welche Schutzmassnahmen Ihnen bei einem Verfahren zustehen und welche Bedingungen für eine finanzielle Entschädigung erfüllt sein müssen.
Habe ich Anspruch auf Opferhilfe?
Eine geschädigte Person gilt nach dem Gesetz auch als Opfer, wenn sie durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt ist. Ebenfalls auf die Opferhilfe zählen können die Angehörigen des Opfers, also die Ehegattin beziehungsweise der Ehegatte, der eingetragene Partner, die Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen.
Wichtig: Der Anspruch auf Opferhilfe besteht unabhängig davon, ob der Täter ermittelt worden ist, sich schuldhaft verhalten, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Es ist nur entscheidend, dass jemand Opfer einer Straftat – zum Beispiel Körperverletzung – wurde. Für jeden Kanton ist mindestens eine öffentliche oder private Beratungsstelle zuständig. Dort erhalten Opfer unentgeltliche Soforthilfe – manchmal sogar rund um die Uhr. Das Angebot umfasst medizinische, psychologische, soziale, finanzielle und rechtliche Hilfe.
Genugtuung – ein frommer Wunsch?
Menschen, die von einer Straftat persönlich besonders hart getroffen wurden oder einen Angehörigen verloren haben, können – nebst dem Schadenersatz – eine angemessene Genugtuung verlangen. Gemäss ihrem Zweck kommen Genugtuungen primär bei Tötungen, Sexualdelikten sowie bei Körperverletzungen von einer gewissen Schwere in Frage.
Letzteres ist vor allem bei bleibenden Schäden der Fall, zum Beispiel bei Gehörverlust oder bei einer entstellenden Narbe im Gesicht. Dasselbe gilt für Verletzungen, die zwar nicht dauerhaft sind, aber mit anhaltenden heftigen Schmerzen oder mit einem langen Heilungsprozess verbunden waren.
Massgebend für die Höhe der Genugtuung sind nicht die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern die erlittenen Schmerzen, die seelischen Leiden oder andere Beeinträchtigungen der Lebensfreude. Fazit: Für eine Ohrfeige oder eine leichte Verletzung, die von selbst wieder verheilt, gibt es nach Schweizer Recht keine Genugtuung.
Opferhilfestellen
Für jeden Kanton ist mindestens eine öffentliche oder private Opferhilfestelle zuständig. Die offizielle Informationswebsite der Kantone zur Opferhilfe enthält Infos für Betroffene sowie Adressen der kantonalen Beratungsstellen: www.opferhilfe-schweiz.ch
Für Opfer von Verkehrsdelikten gibt es eine spezialisierte Beratungsstelle:
RoadCross
Schweizer Strassenopfer-Stiftung
Zweierstrasse 22
8004 Zürich
Tel. 044 310 13 13
Internet: www.roadcross.ch
Fallbeispiel: Kann ich einen Strafantrag für unser minderjähriges Kind stellen?
Der Nachbar hat unseren 14-jährigen Sohn auf dem Schulweg bedroht. Kann ich bei der Polizei einen Strafantrag stellen?
Ja. Grundsätzlich dazu berechtigt ist zwar nur die Person, die durch die Tat selbst betroffen ist. Weil Ihr Sohn aber minderjährig ist, dürfen auch Sie als gesetzlicher Vertreter einen Strafantrag stellen. Das kann man bei jedem Polizeiposten tun (mündlich oder schriftlich) oder bei der Staatsanwaltschaft (schriftlich). Und es läuft ohne Anwalt. In komplizierten Fällen ist es aber ratsam, sich beraten zu lassen.
Dasselbe Recht auf einen Strafantrag steht Ihrem Sohn zu, denn er ist mit seinen 14 Jahren in Bezug darauf urteilsfähig. Das heisst, dass er schon vernunftgemäss beurteilen kann, was die möglichen Folgen sind.
Weil Sie und Ihr Sohn je ein selbständiges Antragsrecht haben, laufen auch die Fristen separat. Gemäss Gesetz erlischt das Recht nach drei Monaten – gerechnet ab dem Tag, an dem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt ist.
Norina Meyer
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