«Nie wieder Cordon bleu»
Julian R.* wurde von einer Zecke gestochen. Seither ist er allergisch auf Fleisch.
aktualisiert am 7. Juni 2018 - 10:05 Uhr
aufgezeichnet von Muriel Gnehm:
Meine Freunde und ich werden diesen Abend nie vergessen. Wir waren in unserer Lieblingsbeiz in Winterthur essen. Cordon bleu, Bier, gute Gespräche. Wieder draussen, pafften die Raucher, die anderen schauten zu – und ich kollabierte. Ohne Vorzeichen, ich wurde einfach bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, fuhren wir mit dem Taxi zu mir nach Hause, da ich nicht ins Spital wollte. Ich fühlte mich schwach und zittrig. Am nächsten Morgen ging es mir wieder gut. Zwei Monate später, andere Beiz, gleiche Freunde. Was ich gegessen habe, weiss ich nicht mehr. Aber wieder wurde ich bewusstlos.
Eine Woche darauf erzählte ich meinem Allergologen von den Ohnmachtsanfällen. Er vermutete eine Allergie , da ich auch sonst anfällig bin. Ich habe Ekzeme, eine Hausmilbenallergie und hatte Heuschnupfen, bis ich eine Desensibilisierung gemacht habe. Der Arzt machte viele Tests, meine Arme sahen aus wie ein Schlachtfeld.
Fünf Monate später eröffnete er mir triumphierend die Diagnose: Alpha-Gal-Syndrom. Alpha-Was? Davon hatte ich noch nie etwas gehört, und auch der Arzt meinte, dass ich sein erster Patient damit sei.
In den nächsten Wochen verschlang ich von Fachartikeln bis zu Forumseinträgen alles, was das Internet hergab. Das Alpha-Gal-Syndrom ist eine Fleischallergie, ausgelöst durch einen Zeckenstich . Alpha-Gal selbst ist ein Kohlenhydrat, das im Speichel der Zecke vorkommt und über den Stich in die menschliche Blutbahn gelangen kann. Dagegen bildet das Immunsystem Antikörper. Weil Alpha-Gal in Fleisch enthalten ist, löst es allergische Symptome aus.
«Dafür macht mir Kochen wieder Spass. In anderthalb Jahren habe ich kaum zweimal dasselbe zubereitet.»
Julian R.*, 31
Alpha-Gal findet sich im Fleisch aller Säugetiere – ausser bei Menschen und Affen. Ausserdem in Gelatine und manchen Medikamenten. Für mich heisst das: Ich darf kein Fleisch mehr essen – weder Rind noch Schwein, Wild oder Lamm. Nur Geflügel und Fisch sind erlaubt. Das ist kein Weltuntergang. Ich hatte mir ab und zu ein Cordon bleu gegönnt, aber nicht jeden Tag Fleisch gegessen.
Positiver Nebeneffekt der Allergie: Das Kochen macht mir wieder Spass. Seit der Diagnose vor anderthalb Jahren habe ich kaum zweimal dasselbe zubereitet. Mein Umfeld hat sich angepasst, an Grillabenden stehen Käse und Gemüse für mich bereit. Nur manchmal, auf dem Land, finde ich kaum Vegetarisches auf der Menükarte. Aber seien wir ehrlich: Es gibt so viel Schlimmeres als diese Allergie!
Mühsam ist einzig, dass ich immer Medikamente auf mir tragen muss. Die Aludose mit Kortison und Antihistamin-Tabletten ist kein Problem. Aber ich müsste auch den Adrenalinstick stets dabeihaben, den man sich bei den ersten Anzeichen eines allergischen Schocks in den Oberschenkel rammt. Ich kenne aber keinen Allergiker, der ihn immer mitschleppt. Er ist einfach zu gross, zu unhandlich.
Das Notfallset habe ich seit letztem Sommer, als ich nach einer Wanderung im Jura im Spital landete. Auf dem Heimweg fühlte ich mich plötzlich elend. Ich fror, schwitzte und hatte den Drang, in der Nähe einer Toilette zu sein. Meine Freundin und ich stiegen auf halber Strecke aus dem Zug und nahmen uns ein Hotelzimmer. Mit Toilette.
Schliesslich alarmierte sie den Notruf. Sie holten mich mit Blaulicht ab. Ich hatte einen allergischen Schock und blieb drei Tage im Spital. Es war die Reaktion auf einen Zeckenstich, die Symptome beim Alpha-Gal-Syndrom treten erst nach drei bis acht Stunden auf. Bis dahin wusste ich nicht, dass ich auch auf Zeckenstiche allergisch reagiere.
Ein paar Tage später hatte ich einen Termin beim Allergologen. Danach hatte ich Hunger und ging zu McDonald’s. Ich war wohl noch etwas aus der Bahn, auf jeden Fall bestellte ich einen Big Mac. Seither weiss ich: Das Notfallset funktioniert tatsächlich.