Schutz vor den Blutsaugern
Zecken sind nicht nur lästig, sie können auch gefährliche Krankheiten übertragen. In den letzten Jahren haben die Erkrankungen stark zugenommen, deshalb hat der Bund die Impfempfehlung angepasst.
aktualisiert am 29. April 2020 - 13:18 Uhr
Sie lauern auf Büschen, Sträuchern oder Gräsern und warten auf ihre nächste Blutmahlzeit: Zecken . Anders als vielfach vermutet, springen sie einen nicht an und lassen sich auch nicht von Bäumen fallen. Auf der Suche nach Nahrung strecken die Milbentiere ihre Vorderbeine aus, auf denen sich ihr Riechorgan befindet. Streift ein Wirt am Gras- oder Buschhalm vorbei, heften sie sich blitzschnell an ihr Opfer, suchen eine warme, schweissfeuchte Stelle und stechen dann meist unbemerkt zu.
Wenn die Temperaturen im Frühling rasch ansteigen, erwachen die Zecken aus ihrer Winterstarre und brauchen Blut, um sich entwickeln zu können. Parallel dazu zieht es viele Menschen raus in die Natur – optimale Bedingungen für die Zecken also. Wegen des Corona-Lockdowns sind die Menschen dieses Jahr vermehrt draussen aktiv. Ob es zu mehr Zeckenstichen kommen wird, lässt sich laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) noch nicht abschätzen, da die Zeckensaison erst begonnen hat.
Der schmerzlose Stich kann es in sich haben. Während die Zecke Blut saugt, können über ihren Speichel Krankheitserreger ins Blut des Opfers gelangen. Hierzulande sind laut Schätzungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zwischen fünf und 30, teils bis zu 50 Prozent der Zecken mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infiziert, besser bekannt unter dem Namen Borreliose. Und eine von 100 Zecken trägt den Erreger der Zeckenenzephalitis (Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME) in sich. Beim FSME-Virus erfolgt die Infektion direkt nach dem Einstich, beim Borreliose-Bakterium dauert es bis zu 16 Stunden, bis der Erreger auf das Opfer übertragen werden.
Beide Krankheiten können relativ harmlos verlaufen – aber auch zu schweren, teils unwiderruflichen gesundheitlichen Schäden führen. Das FSME-Virus kann eine Gehirn- oder Hirnhautentzündung auslösen, die etwa in einem Prozent der Fälle tödlich verläuft. «Gefürchtet ist bei dieser Erkrankung aber nicht die Sterblichkeit, sondern die bleibenden schweren Schäden, die sie verursachen kann», sagt der Zürcher Zeckenspezialist Norbert Satz.
Gerade für ältere Menschen mit einem schwächeren Immunsystem sei die Krankheit sehr gefährlich. «Ist man einmal erkrankt, gibt es kein Medikament dagegen, und ein relativ grosser Prozentsatz der Patienten ist nach dem Abklingen der Hirnentzündung invalid oder teilinvalid», sagt Satz. Die Schäden können von motorischen Störungen wie Lähmungen bis zu kognitiven Beeinträchtigungen wie ein Sprachverlust oder der Verlust des logischen Denkens reichen. Diese Schäden seien oft irreversibel, sagt Satz.
«FSME ist so gefürchtet, weil viele Erkrankte später invalid oder teilinvalid sind.»
Norbert Satz, Facharzt für Innere Medizin und Zeckenspezialist
Auch Eine unbehandelte Borreliose-Infektion kann im fortgeschrittenen Stadium zu schweren Beeinträchtigungen führen. Das Bakterium greift die Gewebestruktur an, etwa in Organen oder in Gelenken. «Wenn die Entzündung über Monate oder Jahre unbehandelt bleibt, kann ein Knorpel geschädigt werden – und dies lässt sich nicht mehr reparieren», sagt Norbert Satz. Auch Nervenschäden wie Taubheitsgefühle, brennende Schmerzen oder auch Hirn- und Herzentzündung sind Folgen einer unbehandelten Borreliose.
«Auch wenn man keinen Zeckenstich bemerkt hat, sollte man sich vom Arzt untersuchen lassen, wenn nach häufigen Aufenthalten im Freien plötzlich Symptome wie Gelenkentzündungen auftreten, die man sich nicht erklären kann», sagt Satz. Dass sich nach einer Infektion eine rote Stelle um die Einstichstelle bildet, ist in Europa nicht immer der Fall. Nur bei rund der Hälfte der Patienten zeigt sich dieses Symptom. Laut Norbert Satz berichten sogar nur 10 von 100 Patienten, dass sich eine Wanderröte gezeigt habe.
Das BAG appelliert, sich möglichst vor Zeckenstichen zu schützen. Der effektivste Schutz ist Kleidung, die die Haut abdeckt, und geschlossenes Schuhwerk. Zieht man lange Hosen und die Socken über die Hosenbeine ist es für die Zecken schwerer, zuzustechen. Zudem empfiehlt das BAG seit Anfang 2019 in der ganzen Schweiz eine Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis . «Wenn sich alle impfen lassen würden, wäre die FSME praktisch kein Problem mehr, denn dass jemand trotz Impfung erkrankt, kommt nur etwa ein Mal auf 10'000 Impfungen vor», sagt Satz.
Jährlich erkranken zwischen 100 bis 250 Personen an FSME. Trotz teils grossen Schwankungen zwischen den einzelnen Jahren hat die Fallzahl seit dem Jahr 2000 gemäss BAG-Statistik stark zugenommen. Im Jahr 2018 gab es gar einen sprunghaften Anstieg auf 377 FSME-Fälle.
Deshalb hat das BAG Anfang 2019 die Impfempfehlung ausgeweitet: Während die Impfung früher nur Personen empfohlen wurde, die sich im Mittelland und der Nordostschweiz häufig in der Natur aufhielten, gilt nun die ganze Schweiz als Hochrisikogebiet. Als Hochrisikogebiet bezeichnet man eine Region, wo eine von hundert Zecken mit dem FSME-Virus infiziert ist. Einzige Ausnahme sind die Kantone Genf und Tessin, die von der Ausbreitung der Zecken bisher verschont geblieben sind. Infizierte Zecken konnten mittlerweile bis auf zirka 2000 Meter über Meer nachgewiesen werden.
Damit man gegen die FSME-Viren immun wird, sind drei Impfdosen notwendig: die ersten beiden werden im Abstand von einem Monat vom Arzt oder einem Apotheker verabreicht. Sie bieten bereits einen zeitlich begrenzten Schutz gegen das Virus. Mit der dritten Impfdosis, die nach fünf bis zwölf Monaten gespritzt wird, erfolgt dann ein Langzeitschutz für zehn Jahre.
Die Ausweitung der Impfempfehlung des Bundes zeigte Wirkung. 2019 wurden über 40'000 Impfungen in Apotheken verabreicht – das sind laut Auskunft des Schweizer Apothekerverbandes Pharmasuisse viermal so viele wie 2018. Auch das BAG stellt eine Zunahme der Impfungen fest, sowohl bei den Kindern wie bei Erwachsenen. Die Zahl der verkauften Impfdosen habe sich 2019 verdoppelt. Und die Zahl der FSME-Infektionen ist gleichzeitig gesunken.
Dennoch sei es aktuell zu früh, diesen Krankheitsrückgang alleine der angepassten Impfempfehlung zuzuschreiben, wie ein Sprecher des BAG sagt. Auch das Wetter habe jeweils einen grossen Einfluss. Günstig für die Zecken ist neben warmen Temperaturen feuchtes Klima. Ob ein warmer Winter den Zecken hilft, ist hingegen nicht klar, gesicherte Daten dazu gibt es laut dem BAG nicht.
Wer sich jetzt häufig draussen aufhält, für den ist eine FSME-Impfung zu empfehlen. Impfungen können in Arztpraxen und Impfapotheken trotz Coronavirus durchgeführt werden. Einzige Bedingung ist, dass die zu impfende Person gesund ist und keine Symptome aufweist, die auf eine Covid-19-Erkrankung hindeuten.
Keine Impfung gibt es aber gegen Borreliose, die weit häufiger verbreitet ist als die FSME. Die Wahrscheinlichkeit, nach einem Zeckenstich an Borreliose zu erkranken, liegt bei etwa 5 Prozent – in der Schweiz trifft es jährlich rund 8000 bis 15'000 Personen. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Krankheit nicht meldepflichtig ist. Und nicht alle Infizierten entwickeln Krankheitssymptome oder sie bemerken sie erst in einem späteren Stadium. Die Krankheit lässt sich in einem frühen Stadium relativ gut mit Antibiotika behandeln, sodass nur in Einzelfällen weitere Krankheitssymptome entstehen.