Die Influencerin Anja Zeidler will bei der Behandlung ihres Tumors (siehe «Desmoid-Tumoren») vorläufig auf Schulmedizin verzichten. Stattdessen setze sie erst einmal auf verschiedene Nahrungsergänzungsmittel wie Sellerie und Traubenkernextrakte, auf das Ergründen von Traumata und auf positive Gedanken, schrieb kürzlich das Onlineportal 20min.ch. Zeidler bestätigte auf Nachfrage die geschilderten Sachverhalte. 

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Sie handle nicht leichtsinnig, habe die Entscheidung gemeinsam mit ihren Ärzten getroffen, sagt Zeidler. Ihre Naturheilärztin helfe ihr dabei. Und sollte der Tumor rasant wachsen, werde sie ihn schulmedizinisch behandeln lassen.

Desmoid-Tumoren

Aber können positive Gedanken wirklich Tumoren zum Schrumpfen oder gar Verschwinden bringen, können sie vielleicht Spontanheilungen bewirken? Lässt sich mit Sellerie eine Krebserkrankung in den Griff bekommen? Was nützt Kakao im Kampf gegen die Krankheit? Klar ist: Zeidlers Motto «Nützt s nüüt, so schadt s nüüt» stimmt nicht zwingend.

Kakaozeremonie

Sie gilt als altes schamanisches Ritual. Dabei wird vorwiegend meditiert und Kakao getrunken. Kakao enthält eine Aminosäure, die im Hirn in das Glückshormon Serotonin umgewandelt wird, sowie Anandamid, das in gewissen Kreisen «the bliss chemical» (Glückseligkeitschemikalie) genannt wird. Es bindet sich an die gleichen Rezeptoren im Gehirn wie Cannabinoide. Es soll, so die Theorie, während Kakaozeremonien zu Visionen führen und helfen, «Wahrheiten auszusprechen und Harmonie zu schaffen». Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Hingegen gibt es studienbasierte Erkenntnisse, dass eine hohe Konzentration von Anandamid im Blut von Schwangeren Anzeichen für einen möglichen Abort sind. Unklar ist, ob die hohe Anandamidkonzentration den Abort ausgelöst hat oder ein Nebenprodukt des Aborts ist.

Traubenkernextrakt OPC

Traubenkernextrakt ist antioxidativ und hat in Labortests tatsächlich Blutkrebszellen dazu gebracht, sich selber zu zerstören. Solche Tests sind allerdings kein Garant dafür, dass die Wirkstoffe beim Menschen nützen. Sie können lediglich aufzeigen, dass es sich lohnen könnte, weiterzuforschen – mit unbekannten Resultaten. Hingegen gibt es Hinweise, dass Präparate, die stark antioxidativ wirken, etwa auch hoch dosierter Traubenkernextrakt, die Wirkung von Strahlentherapie und Krebsmedikamenten abschwächen können und damit kontraproduktiv wirken würden.

Selleriesaft    

Ähnliches gilt auch für den Pflanzenfarbstoff Apigenin, der unter anderem in Sellerie enthalten ist und ebenfalls antioxidativ wirkt. Auch er hindert im Reagenzglas Krebszellen daran, sich zu verbreiten. Dass sich das auf den menschlichen Körper übertragen lässt, ist nicht bewiesen. 

Apigenin steht wie andere Antioxidantien im Ruf, Krebs vorzubeugen. Allerdings konnte selbst eine Studie mit 40’000 Frauen nicht erhärten, dass diejenigen, die viel Apigenin zu sich genommen hatten, weniger häufig an Krebs erkrankten als die anderen. Vielmehr besteht auch hier der Verdacht, dass dieser Stoff in hohen Mengen die Wirkung einer Chemotherapie abschwächt oder gar das Krebswachstum beschleunigt.  

Randensaft

Das Wurzelgemüse enthält viele wichtige Nährstoffe. In Sachen Krebsvorsorge oder gar Krebsheilung gilt dasselbe wie bei Sellerie und Co.: Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz. Die Randentherapie nach Paul Gerhardt Seeger, bei der zur Prophylaxe täglich lebenslang ein bis zwei Kilogramm des Gemüses gegessen werden sollen, birgt die Gefahr einer zu hohen Nitratbelastung im Körper.

Positive Gedanken

Dass Krebspatienten bessere Heilungschancen haben, wenn sie positiv denken, ist ein weit verbreiteter Glaube. Unbestritten ist, dass Kranke mit einer positiven Einstellung eine höhere Lebensqualität haben. Dass dadurch aber die Heilungschancen steigen, ist nicht wahr, wie eine Metastudie zu zwölf Untersuchungen zeigt. Vielmehr kann der Druck, für die Heilung positiv denken zu müssen, sich sogar negativ auswirken. Er kann beim Erkrankten zu Versagensgefühlen führen, wenn er trotzdem nicht gesund wird.

Besonders gefährlich sind in diesem Zusammenhang Pseudolehren wie die Germanische Neue Medizin nach Ryke Geerd Hamer oder die Lehren des selbsternannten Wunderheilers Bruno Gröning. Sie besagen, dass Krebspatienten quasi selbst schuld an ihrer Erkrankung sind. Es handle sich lediglich um innere Konflikte respektive um mangelnden Gottesglauben. Im Umkehrschluss sollen die Patienten die Krankheit aus eigener Kraft besiegen. Ein aussichtsloses und meist tödliches Unterfangen. Besonders perfid: Wenn die Heilung ausbleibt, ist der Patient selber schuld, weil er sich nicht genug Mühe gegeben hat.

Traumata aufarbeiten

Viele Menschen glauben, dass seelische Belastungen wie Traumata, Stress und Kummer Krebs auslösen können und dass Menschen, die ihre Gefühle schwer zum Ausdruck bringen, eher an Krebs erkranken als extrovertierte Personen. Nach heutigem Wissensstand gibt es keinen Persönlichkeitstypus, bei dem Krebs eher ausbricht als bei anderen. Allerdings können Kummer und Stress zum Beispiel zu erhöhtem Alkohol- und Nikotinkonsum sowie zu ungesunder Ernährung führen, was wiederum Krebs begünstigt.

Spontanheilungen

Die gute Nachricht: Spontanheilungen gibt es. Die schlechte: Sie sind extrem selten. Experten gehen bei spontanen Tumorrückbildungen von einem Fall auf 60’000 bis 100’000 Erkrankte aus. Gänzliche Spontanheilungen sind noch viel seltener. Krebspatienten sollten sich nicht auf diesen statistischen Sonderfall verlassen. Nach heutigem Wissensstand gibt es keine Möglichkeit für Krebspatienten, eine Spontanheilung herbeizuführen. «Betroffene sollten sich nicht unter Druck setzen, den Krebs durch die ‹richtige› Einstellung, Willensstärke oder umfassende Lebensänderungen bekämpfen zu müssen», schreibt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ).