So funktioniert der Corona-Impfstoff von Novavax
Mit Novavax könnte bald ein Produkt zugelassen werden, das wirkt wie klassische Impfstoffe – eine Alternative für Menschen, die den bisherigen Corona-Vakzinen misstrauen?
Veröffentlicht am 26. August 2021 - 14:17 Uhr
Viele Impfskeptiker trauen der mRNA-Technologie nicht über den Weg. Sie sei zu schnell entwickelt worden, nicht genügend erprobt, und unerwartete Langzeitwirkungen seien nicht auszuschliessen. Dass der Impfstoff Erbsubstanz (RNA) enthält, verunsichert manchen.
Der Impfstoff der US-Firma Novavax könnte Zweifler nun doch noch zum schützenden Piks verleiten. Denn er funktioniert anders als die Moderna- und Biontech-Impfung. Die Firma verwendet ein künstlich hergestelltes Spike-Protein von Sars-CoV-2, um das Immunsystem auf Abwehr zu trainieren.
Der Impfstoff stellt also direkt das Protein zur Verfügung, das die Immunreaktion auslöst, während dieses Molekül bei den mRNA-Impfstoffen erst im Körper gebildet wird. Diese Vorgehensweise ist bewährt und wird schon lange für Impfstoffe etwa gegen Tetanus, Keuchhusten, Diphtherie und Hepatitis B verwendet.
Das Novavax-Vakzin ist noch nicht zugelassen, bei der Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic wurde bisher auch kein Antrag eingereicht. Trotzdem hat die Schweiz schon sechs Millionen Dosen bestellt, was bei zwei Injektionen für drei Millionen Menschen ausreichen würde.
Die Testergebnisse sind vielversprechend. Eine Studie, veröffentlicht im «New England Journal of Medicine», zeigte eine Wirksamkeit von 96 Prozent gegenüber ursprünglichen Coronaviren. Damit hat Novavax noch etwas besser abgeschnitten als die gängigen mRNA-Impfstoffe, die in den Zulassungsstudien bei 95 Prozent eine symptomatische Infektion verhinderten.
Klassisch, aber anders
Bei näherem Hinsehen ist der Impfstoff von Novavax aber nicht sehr traditionell. Die Firma selbst spricht von einer «innovativen firmeneigenen rekombinanten Nanopartikel»-Technologie. Das bedeutet, dass der Impfstoff zum einen in Insektenzellkulturen hergestellt wird. Zum anderen handelt es sich nicht um Spike-Proteine in natürlicher Form, sondern diese werden zu kugelförmigen Nanopartikeln zusammengepackt.
Für das Immunsystem gleicht dieses Konstrukt einem Virus; man spricht deshalb von einem virusähnlichen Partikel. Es enthält keine Erbsubstanz. Doch was manche Impfskeptiker als Vorteil sehen, ist auch ein Problem. Denn die RNA, die die Biontech- und Moderna-Impfstoffe enthalten, verstärkt die Antwort der natürlichen Immunabwehr. Das ist ein Grund, warum die Impfstoffe so effektiv wirken. Die meisten kurzfristigen Nebenwirkungen nach einer mRNA-Impfung sind wohl der Preis für diesen Effekt.
«Das Schöne bei den RNA-Impfstoffen ist, dass sie ihr eigener Wirkverstärker sind», sagt denn auch Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich und in der Taskforce des Bundes zuständig für Impfstoffe. Impfstoffen, die wie Novavax auf der Basis von Proteinen funktionieren, muss man dagegen einen Wirkverstärker zufügen.
Rätselhaft, aber wirksam
Novavax geht aber einen neuen Weg beim Wirkverstärker, dem sogenannten Adjuvans. Die US-Firma verwendet dafür Nanopartikel: kleine Fettbläschen, in die Proteine eingebettet werden. Lieferant für diese spezifischen Proteine ist der Seifenbaum, der in Süd- und Mittelamerika wächst. Sie wurden schon in anderen Impfstoffen verwendet, aber noch nie als Nanopartikel.
«Bei den mRNA-Impfstoffen wissen wir ziemlich genau, wie der Wirkverstärkungseffekt zustande kommt. Das angeborene Immunsystem wird aktiviert durch Bindung der RNA an Rezeptoren innerhalb der Zelle», sagt Christian Münz. «Bei dem von Novavax verwendeten Adjuvans aus Seifenbaum-Extrakt wissen wir nicht genau, worauf seine Wirkung beruht.» Es sei eigentlich nicht mal klar, wie die Wirkverstärker auf molekularer Ebene arbeiten.
«Wir haben noch nicht vollständig verstanden, wie Adjuvanzien funktionieren», bestätigt Eberhard Hildt vom Paul-Ehrlich-Institut. Er ist Leiter der Abteilung Virologie der deutschen Zulassungsbehörde für Impfstoffe. «Allerdings werden viele seit Jahrzehnten verwendet und haben ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis.»
Bewährt, aber verpönt
Wirkverstärker haben auch schon zu Kontroversen geführt. Am häufigsten werden Aluminiumsalze dafür verwendet, etwa in Impfstoffen gegen Tetanus und Diphtherie. Sie wurden millionenfach verimpft. Bei Impfgegnern sind sie verpönt, obwohl die Datenlage sehr klar ist. «Übersichtsanalysen konnten keinen Zusammenhang mit dauerhaften oder schwerwiegenden Nebenwirkungen finden», heisst es bei Infovac.ch, der Informationsseite für Impfstoffe in der Schweiz.
Infovac.ch schreibt weiter: «Die Impfstoffe mit Aluminium gehen auch nicht mit einer erhöhten Rate von Allergien oder Immunkrankheiten einher. Das in Impfstoffen enthaltene Aluminium wird vom Körper auf die gleiche Weise eliminiert wie das in der Nahrung enthaltene.» Zudem: Mit der Nahrung wird ein Vielfaches an Aluminiumsalzen aufgenommen.
Bekannt ist nur eine sehr seltene Nebenwirkung, die allerdings mit einem anderen Adjuvans in Verbindung gebracht wird: Narkolepsie – eine Krankheit, bei der man ständig schläfrig ist und immer wieder plötzlich einschläft. Sie wurde beim Präparat Pandemrix bei Kindern und Jugendlichen 14-mal so häufig beobachtet wie bei Gleichaltrigen, die nicht geimpft waren.
Schädlich, aber selten
Pandemrix wurde 2009 gegen die Schweinegrippe eingesetzt. Bei einem anderen Impfstoff gegen die Schweinegrippe trat diese sehr seltene Nebenwirkung nicht auf. Eberhard Hildt vom Paul-Ehrlich-Institut hat bei Untersuchungen festgestellt, dass diese Nebenwirkung auf den Wirkverstärker Vitamin E zurückzuführen sein könnte. Es mag überraschen, dass ausgerechnet Vitamin E mit einer solchen Wirkung in Zusammenhang gebracht wird. «Die einmalige Menge, die mit einem Impfstoff als Adjuvans injiziert wird, ist aber vergleichsweise gross», sagt Eberhard Hildt.
Die Wissenschaftler um Hildt entdeckten nun, dass Vitamin E ein Gen anschalten kann, das den Abbau des Hormons Hypocretin verstärkt. Bei bestimmter genetischer Veranlagung könnte es sogar die Nervenzellen schädigen, die Hypocretin herstellen. Das Zugrundegehen dieser Zellen gilt als Ursache der Narkolepsie.
Tatsächlich war es so, dass nach einer Pandemrix-Injektion fast nur Menschen mit jener genetischen Veranlagung an Narkolepsie erkrankten. «Aus unserer Arbeit ergibt sich eine mögliche Erklärung dafür, aber das ist noch kein Beweis, es gibt auch andere Hypothesen», schränkt Hildt ein. Wie genau es zu der Komplikation Narkolepsie kam, wird weiter erforscht.
Der Fall Pandemrix legt jedenfalls nahe, dass Adjuvanzien Komplikationen hervorrufen können. Allerdings: Der bei Pandemrix verwendete Wirkstoffbeschleuniger wird bei aktuellen Impfstoffen nicht eingesetzt.
«Ich glaube nicht, dass beim Novavax-Impfstoff vermehrt unerwünschte Nebenwirkungen auftreten», sagt Christian Münz. «Allerdings wird der Adjuvanseffekt vermutlich geringer als bei den mRNA-Impfstoffen sein.» Daher erscheint es aus keiner Perspektive klug, mit dem Impfen so lange zuzuwarten, bis das Novavax-Vakzin erhältlich sein wird.
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