Wie riskant ist die Corona-Impfung?
Geheim gehaltene Todesfälle, Unfruchtbarkeit, Krebs, Entzündungen des Herzmuskels? Welche Nebenwirkungen die Corona-Impfstoffe wirklich haben können – und wie gefährlich sie sind.
Veröffentlicht am 8. Juni 2021 - 16:50 Uhr
Der Beobachter erhält viele Zuschriften, die sich kritisch zeigen gegenüber der Covid-19-Impfung. Darin ist die Rede von Unfruchtbarkeit, Krebs und einer Vielzahl verschwiegener Todesfälle, die es nach der Injektion der Präparate von Moderna und Biontech/Pfizer gebe. Was ist dran an den Gerüchten?
Die Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic sammelt alle Daten zu Nebenwirkungen von Impfungen in der Schweiz systematisch und wertet auch jene aus anderen Ländern aus.
90 Todesfälle in Zusammenhang mit Corona-Impfung: Vor allem über 80-Jährige mit Vorerkrankungen
Der schwerste Vorwurf, die angeblich vielen Toten nach der Impfung, lässt sich mit dieser Statistik entkräften: Bis zum 4. Juni 2021 sind 90 Personen in der Schweiz im Zusammenhang mit der Impfung verstorben – bei mehr als fünf Millionen verabreichten Covid-19-Impfdosen. Dem gegenüber stehen fast 11'000 Corona-Tote im Lande.
«Die Verstorbenen [nach Impfung] waren im Schnitt 81,6 Jahre alt und hatten mehrheitlich schwere Vorerkrankungen», heisst es in der zweiwöchigen Mitteilung von Swissmedic. «Diese Meldungen werden besonders sorgfältig analysiert.» Es gebe zwar einen zeitlichen Zusammenhang zur Impfung – doch als Todesursache seien Grunderkrankungen festgestellt worden wie Infektionen, kardiovaskuläre Ereignisse oder Erkrankungen der Lungen und Atemwege.
«Derzeit gibt es auch international keine Hinweise darauf, dass die eingesetzten mRNA-Impfstoffe zu einer erhöhten Rate von Todesfällen führen», schreibt Swissmedic.
Mehr Impfnebenwirkungen registriert, aber ...
Richtig ist aber – auch das geht aus den Daten von Swissmedic hervor: In absoluten Zahlen werden mehr Impfnebenwirkungen registriert als gewöhnlich. Im ganzen Jahr 2019 gab es nur 273 Meldungen, in den letzten sechs Monaten sind hingegen für die Covid-Impfstoffe rund zehnmal so viele Meldungen eingegangen.
Allerdings wurden auch noch nie in so kurzer Zeit so viele Schweizerinnen und Schweizer geimpft – mehr als drei Millionen. Die Zahl der sonstigen Impfungen wird nicht erhoben, deshalb ist ein direkter Vergleich nicht möglich. «Durch die hohe öffentliche Aufmerksamkeit werden bei den Covid-19-Impfstoffen mehr Nebenwirkungen gemeldet», sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi.
Schmerzen im Arm und Müdigkeit – «Diese Impfreaktion ist ein gutes Zeichen»
Klar ist schon seit den Studien zur Zulassung: Die Impfreaktion, also die unmittelbare Immunantwort in den ersten Tagen nach der Injektion, ist bei den RNA-Vakzinen stärker als etwa bei der Grippeimpfung.
90 Prozent der Moderna-Geimpften verspüren Schmerzen im Arm, bei der Grippeimpfung ist es bloss die Hälfte. Müdigkeit und Kopfschmerzen kommen bei den RNA-Geimpften dreimal so oft vor wie bei den Influenza-Geimpften, Fieber zeigt sich doppelt so oft.
«Diese Impfreaktion ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass das Immunsystem reagiert», sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich. Entsprechend ist die Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe weit höher als bei der Grippe.
Was ist mit den Herzmuskelentzündungen in Israel?
Diese unmittelbare Wirkung kann nach neusten Erkenntnissen sehr selten auch gefährlich werden. Daten aus Israel zeigen: Bei jungen Männern steigt das Risiko für eine Herzmuskelentzündung wenige Tage nach der Biontech/Pfizer-Impfung.
In Israel wurden zwar bei fünf Millionen zweifach geimpften Personen nur 110 Fälle registriert, aber bei Männern zwischen 16 und 24 Jahren steigt das Risiko für eine Herzmuskelentzündung nach der Impfung um das Fünf- bis 25-Fache. Laut dem Magazin «Science» erkrankte einer von 3000 bis 6000 der jungen Männer; die Verläufe waren meist mild und heilten nach mehreren Wochen Schonung ohne Folgen aus.
Die Nebenwirkung betrifft auch den Impfstoff von Moderna, der in Israel nicht benutzt wird. Denn in den USA untersuchen die Behörden ebenfalls Fälle von Herzmuskelentzündungen. Ärzte wurden schon angewiesen, bei jungen Menschen mit Symptomen wie Brustschmerz und Kurzatmigkeit an diese Diagnose zu denken. Im Magazin «Science» vermuten Wissenschaftler, dass die seltenen Herzmuskelentzündungen verursacht werden könnten durch eine besonders starke Immunantwort der jungen Männer auf die RNA-Injektion.
Die israelischen und die US-Behörden empfehlen den Impfstoff auch jungen Menschen trotzdem weiterhin – allein die Herzmuskelentzündung nach Covid-19 ist weitaus häufiger.
Schweiz: 12 Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach 5 Millionen Impfungen
Swissmedic sieht noch keinen erwiesenen ursächlichen Zusammenhang. Die Kontrollstelle hat in der Schweiz bislang bei fünf Millionen verabreichten Impfdosen zwölf Fälle von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung registriert – bei 18- bis 70-Jährigen, im Schnitt 8,5 Tage nach der Impfung.
«Wir beobachten die Situation und weisen medizinisches Fachpersonal darauf hin, auf diese mögliche Nebenwirkung zu achten», sagt Sprecher Lukas Jaggi.
Wie wahrscheinlich sind unabsehbare Langzeitfolgen?
Impfkritiker haben allerdings meist nicht Angst vor kurzfristigen Nebenwirkungen – sie fürchten sich vor unabsehbaren Langzeitfolgen. Absolute Sicherheit, dass der Impfstoff langfristig keine Schäden verursacht, kann es nicht geben – dafür wird er noch nicht lange genug benutzt. Aber wie wahrscheinlich sind sie?
Komplikationen wurden bislang noch nie mit zeitlich grossem Abstand zur Impfung beobachtet. Meistens dauert es höchstens Monate, bis eine Komplikation auftritt; weitere Wochen können vergehen, bis die Meldungen eingegangen und ausgewertet sind – wie jetzt in Israel, wo junge Menschen als Letzte geimpft wurden.
«Die lange etablierten Impfstoffe gegen Gelbfieber, Masern, Mumps und Röteln sind eigentlich frühe Versionen von mRNA-Impfstoffen.»
Steve Pascolo, Immunologe an der Uni Zürich
Manche Impfkritiker argumentieren, die völlig neue Wirkstoffklasse der mRNA-Impfstoffe könne unser Erbgut verändern. Denn bei ihnen wird die genetische Information für die Bildung eines Virusproteins injiziert, des sogenannten Spikes. Doch so neu ist das Prinzip nicht. Auf molekularer Ebene ist der neue Wirkmechanismus nur eine Weiterentwicklung von bewährter Impftechnologie.
«Die lange etablierten Impfstoffe gegen Gelbfieber, Masern, Mumps und Röteln sind eigentlich frühe Versionen von mRNA-Impfstoffen», sagt Steve Pascolo, Immunologe an der Uni Zürich. «Sie enthalten abgeschwächte Viren, die ihr RNA-Genom in unsere Zellen abgeben – die infizierten Zellen produzieren die viralen Proteine, die eine Entzündung auslösen und die Entwicklung einer Immunantwort ermöglichen.»
Dieser Mechanismus entspricht dem der modernen mRNA-Impfstoffe. Doch: Bei diesen wird nur die Information für ein einziges statt für mehrere Virusproteine injiziert, und die Virushülle fehlt. Langzeitfolgen von Impfungen gegen Mumps, Masern, Röteln und Gelbfieber sind nicht bekannt.
Krebs durch mRNA? Kaum vorstellbar
Wenn sie aktiv sind, werden alle unsere Gene ebenfalls in mRNA umgeschrieben. Weil unser Körper Gene an- und abschaltet, sind mRNA-Moleküle im Körper recht instabil und werden schnell abgebaut. Entsprechend zeigen Studien mit mRNA-Impfstoffen, dass diese im Muskel von Mäusen nach 19 Stunden schon zur Hälfte nicht mehr vorhanden waren.
Moderna belegte in seinen Studien zur Zulassung, dass 15 Stunden nach der Injektion in den Muskel dort schon die Hälfte der mRNA abgebaut war. Zudem gelangt die Impf-RNA nicht in den Zellkern, wo die menschliche Erbsubstanz liegt. Es ist also kaum vorstellbar, wie mRNA etwa Krebs auslösen können sollte.
Keine Hinweise auf Unfruchtbarkeit
Biontech wies an Ratten und Mäusen nach, wohin der injizierte Impfstoff gelangt – das meiste verbleibt im Muskel, ein Fünftel gelangt in die Leber – und in Hoden und Eierstöcke gelangen weniger als 0,1 Prozent der mRNA. Entsprechend gibt es keinerlei Hinweise, dass diese Impfstoffe die Fruchtbarkeit beeinträchtigen könnten.
«Ich finde es gut, kritisch zu sein gegenüber der Impfung – solange man offen gegenüber den Fakten bleibt», sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi. Er bittet Geimpfte: «Teilen Sie uns über Swissmedic.ch oder besser noch Ihrem Arzt mit, wenn Sie eine seltene Nebenwirkung feststellen. Wir freuen uns über jede Meldung: So können wir unsere Empfehlungen ständig verbessern.»
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