Einmal anstecken, bitte!
Mit den jüngsten Masernfällen kommt ein alter Brauch zurück: Masernpartys, bei denen sich Kinder anstecken sollen, um gegen die Krankheit immun zu werden. Ärzte aber warnen vor dieser Methode.
Veröffentlicht am 5. Oktober 2007 - 17:23 Uhr
Seit November vergangenen Jahres, dem Ausbruch der Masernepidemie, haben sich in der Schweiz 818 Menschen mit Masern angesteckt, 397 allein im Kanton Luzern. In 52 Fällen kam es nach Angaben der Luzerner Kantonsärzte zu Komplikationen. Darunter seien drei Hirn-, 19 Lungen- und 12 Mittelohrentzündungen gewesen. Die meisten dieser Komplikationen gab es bei Kindern und Jugendlichen - sie waren, bis auf einen Fall, alle nicht oder nicht vollständig geimpft.
Letzteres bereitet der Luzerner Kantonsärztin Annalis Marty Sorge. Und: Es fänden auch wieder sogenannte Masernpartys statt, bei denen sich ungeimpfte Kinder anstecken sollen. Genaue Zahlen hat Marty nicht. Ärzte würden nur in einzelnen Fällen melden, wenn sie von absichtlichen Ansteckungen erfahren. Immerhin hat Marty keine Anhaltspunkte, dass Masernpartys in Schulen veranstaltet werden oder gar Ärzte dazu aufrufen - in Deutschland hatten derartige Fälle für Schlagzeilen gesorgt.
Die private Vereinigung Aegis aus dem luzernischen Littau lehnt jegliche Impfungen ab. Deren Sprecherin Anita Petek-Dimmer sagt: «Wir haben viele Anfragen von Eltern, die ein masernkrankes Kind als Ansteckungsquelle suchen.» Aegis nennt interessierten Eltern allerdings keine Namen und Adressen. Die Vereinigung empfiehlt jedoch grundsätzlich, «gesunden Kindern zwischen einem und zehn Jahren die Möglichkeit einer Erkrankung anzubieten». Der Grund: Für die Entwicklung und für das Immunsystem eines Kindes sei es gut, die Krankheit durchzustehen.
Von derlei Methoden raten sowohl das Bundesamt für Gesundheit (BAG) als auch Ärzte ausdrücklich ab. Masernpartys waren in den fünfziger und sechziger Jahren weit verbreitet, als es noch keinen Impfstoff gab. Man wusste, dass die Krankheit für Erwachsene gefährlicher ist als für Kinder. Also sollten Mädchen und Buben die Masern vor der Pubertät hinter sich bringen und so immun gegen die Krankheit werden. Aus heutiger Sicht seien Masernpartys aber überholt und gefährlich, sagt Gregor Schubiger, Chef des Luzerner Kinderspitals: «Absichtliche Ansteckungen sind unverantwortlich. Eltern setzen ihre Kinder bewusst einer Gefahr aus, die zu einer schweren Erkrankung führen kann und im Vergleich zu einer Impfung viel gefährlicher ist.»
«Epidemie ist noch nicht überstanden»
Ob Masernparty oder Impfung - aus Sicht des Kindes beides willkürlich, argumentiert die Ärzte-Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen. Sie will sich nicht auf eine Empfehlung festlegen, rät aber entschieden von Masernpartys ab für den Fall, dass Babys in der Nähe sind. Der Grund: Säuglingsmasern haben ein sehr hohes Komplikationsrisiko. «Die Masernepidemie ist noch nicht überstanden», sagt Jean-Louis Zurcher vom BAG. Noch im September wurden pro Woche rund 30 neue Masernfälle gemeldet. Zurchers Empfehlung: «Eltern sollten kein Risiko eingehen und ihre Kinder impfen lassen.»
- Masern sind eine sehr ansteckende Viruskrankheit. Gefährdet sind Säuglinge, Jugendliche, Kinder und Erwachsene. Wer die Krankheit einmal durchsteht, ist danach immun dagegen. Masern beginnen mit einem Schnupfen, gefolgt von Husten und entzündeten Augen. Nach einigen Tagen steigt das Fieber, rote Flecken tauchen im Gesicht und am ganzen Körper auf. Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) kann es zu ernsthaften Komplikationen kommen. Dazu zählen Mittelohr- und Lungenentzündungen. Laut Schätzungen kommt es bei einem von 1000 bis 2000 Erkrankten zu einer Hirnentzündung.
- Die Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln werden in einer Spritze verabreicht (MMR-Impfung). Diese enthält Viren, die so geschwächt wurden, dass sie die Krankheit selbst nicht mehr verursachen können, aber die Bildung von Abwehrstoffen anregen. Nach zwei Impfdosen sind laut BAG mehr als 95 Prozent der Kinder geschützt. Die Krankenkassen bezahlen die MMR-Impfung aus der Grundversicherung. Eltern, die ihr Kind nur gegen eine Krankheit impfen lassen wollen, haben meist das Nachsehen: Es gibt immer weniger Einzelimpfstoffe.
- Laut BAG sollten Kinder die erste Impfdosis im Alter von 12 Monaten und die zweite Dosis im Alter von 15 bis 24 Monaten erhalten. Bei einem erhöhten Risiko könne ein Kind schon ab sechs Monaten geimpft werden. Kinder und Erwachsene unter 40 Jahren, die noch keine zweite Dosis erhalten haben, können die Impfung nachholen.
- Die Impfung kann Nebenwirkungen haben. Eines von zehn Kindern reagiert mit Fieber, eines von 50 mit Hautflecken, eines von 3000 mit einem Fieberkrampf. Es ist deshalb wichtig, das Fieber zu kontrollieren.