Kommentar zur Pseudomedizin
Stoppt die Wunderheiler!
Die Kontrolle über Medikamente und Chemikalien in der Schweiz hat Lücken. Davon profitieren zweifelhafte Händler. Das muss sich ändern.
Veröffentlicht am 7. Juli 2022 - 17:56 Uhr
Stellen Sie sich vor, ich würde behaupten: Wer einem Herzinfarkt vorbeugen will, soll Badreiniger schlucken. Der entferne nicht nur den Kalk an den Plättli, sondern auch Ablagerungen in den Arterien. Klingt gefährlich? Ist es auch. Tun Sie das bitte nicht.
Ähnlich Absurdes behaupten Pseudomediziner. Zinkchloridsalbe heile Hautkrebs, Chlordioxid kuriere Corona und Aids . Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass die ätzenden Chemikalien eine heilende Wirkung haben. Trotzdem glauben Tausende diese Ammenmärchen, und Pseudomediziner verdienen viel Geld damit.
Man könnte sagen: Alle sind selbst dafür verantwortlich, welchen Quellen sie trauen und was sie einnehmen. Doch die Wunderheiler sind offenbar so überzeugend, dass selbst anerkannte Ärztinnen und Therapeuten ihren Patienten die Tinkturen verabreichen.
Eigentlich sollten die Heilmittelbehörde Swissmedic und die Kantonsbehörden dafür sorgen, dass das nicht passiert. Doch das System krankt, und findige Händler nutzen die Lücken.
Trick 1: Durch das Netz der Zuständigkeiten schlüpfen
Oft ist unklar, welche Behörde für diese Borderline-Produkte zuständig ist. Sie bewegen sich zwischen Heilmittel-, Chemikalien- und Lebensmittelrecht – je nachdem ist ein anderes Amt zuständig. Swissmedic wird nur aktiv, wenn ein Produkt eine medizinische Wirkung hat oder einen Arzneiwirkstoff enthält. Viele verbreitete Pseudoheilmittel sind Chemikalien, Swissmedic kann also nichts tun. Unter Umständen gibt Swissmedic den Fall an die Kantone weiter. Dort denkt man manchmal, Swissmedic müsse handeln.
Es scheint also, als werde die heisse Kartoffel einfach weitergereicht . Derweil können die Händler teils jahrelang weitergeschäften.
Trick 2: Kantonswechsel
Wenn ein Kanton bei illegalen Heilsversprechen interveniert, tauchen Verkäufer anderswo unter. Vollzugsflüchtlinge nennt man das. 2014 verbot der Aargauer Kantonschemiker einem Galvaniker, Chemikalien als heilsam anzupreisen und sie überteuert zu verkaufen. 2016 gründete der Mann eine neue Firma, zog in den Kanton Bern und verkaufte sechs Jahre lang weiter – ohne Heilsversprechen. Doch sein Name wurde rege weitergereicht, als gute Bezugsquelle. Nachdem der Beobachter Fragen gestellt hatte, ordnete das Amt Massnahmen an. Nun verlegte der Galvaniker den Firmensitz nach Zürich.
Trick 3: Heilsversprechen und Verkauf trennen
Behörden müssen zweifelsfrei nachweisen, dass das Heilsversprechen auf ein Produkt zielt, das der Händler verkauft. Ein bekannter Pseudodoktor aus dem Kanton St. Gallen beschreibt in Büchern, Videos und Telegram-Kanälen, dass die Chemikalie Chlordioxid diverse Krankheiten heile. In Argentinien läuft wegen zwei Todesfällen ein Verfahren gegen ihn. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Seine Firma stellt ein Gerät her, mit dem man Chlordioxid produzieren kann. Doch der Kantonsapotheker schreitet nicht ein: Der Mann verkaufe das Gerät nicht in seinem Kanton (das tut eine Firma im Aargau für ihn). Die Heilsversprechen seien Ausdruck freier Meinungsäusserung.
Bundesrat bremst
Ähnlich sieht das der Bundesrat. Im März fragte SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo in einer Interpellation, ob es eine Gesetzesanpassung gegen den oben genannten Trick 3 brauche. Nein, befand der Bundesrat, das würde die Meinungsfreiheit tangieren.
Es ist höchste Zeit für klare Zuständigkeiten. Das Chaos bei Bund, Kantonen und Fachbereichen öffnet findigen Wunderheilern alle Türen. Auch für internationale Geschäfte von hier aus.
Die Heilmittelbehörde Swissmedic muss stärker auftreten, damit Pseudomediziner nicht länger im Bermudadreieck zwischen Heilmittel-, Chemikalien- und Lebensmittelgesetz abtauchen können. Und es braucht politische Entschlossenheit, den Kantonschemikern, -apothekern und Swissmedic die Ressourcen für die aufwendigen Recherchen zu geben.
Sonst landen die untauglichen und teils gefährlichen Mittel vielleicht plötzlich auch in Ihrem und meinem Medikamentenschrank.
Ein Netz von Firmen verkaufte Pastillen, die angeblich Covid heilen sollten. Sie enthielten eine ätzende Chemikalie. Nach Beobachter-Berichten intervenierten die Behörden.
Sie hiessen David19, Arcudine, Vibasin, Ovirex oder Malachlorite : Lutschpastillen, die grosse Mengen von Natriumchlorit und Zitronensäure enthielten und als angebliches Heilmittel gegen Covid-19 beworben wurden. Bei Einnahme entsteht im Mund ätzendes Chlordioxid.
Die Pastillen sind keine Medikamente, darum sind Heilsversprechen illegal. Der Beobachter berichtete mehrfach , nun schritt die Heilmittelbehörde ein: Swissmedic hat der verantwortlichen Firma Naturasana AG in Herisau AR ein Vertriebs- und Verkaufsverbot erteilt. «Chlordioxidlösungen wirken nicht gegen Covid-19, können aber zu Vergiftungen führen», schreibt die Behörde.
2 Kommentare
Ich selber und meine Familie haben nur gute Erfahrungen mit Chlordioxid gemacht. Selbstverständlich nimmt man das nicht pur ein! Auch nicht in der 0.3 prozentigen Lösung. Es wird extrem stark verdünnt. Auf Haut und Schleimhaut aufgetragen wirkt es wie die anderen Oxidanzien, Wasserstoffperoxid oder Kaliumpermanganat, die die Zahnmedizin verwendet oder die in Spitälern früher Standard waren und zum Teil heute noch zur Anwendung kommen. Im Gegensatz zu Wasserstoffperoxid und Kaliumpermanganat ist Chlordioxid das mildeste Oxidanz. Ein paar Tropfen auf ein Glas Wasser eingenommen sind absolut harmlos, wie man auch in kritischen Berichten lesen kann. Jeder Dritte Welt Reisende und viele Camper haben die so genannten Wasserdesinfektionstabletten bei sich, und die sind, aufgelöst im Kanister, nichts anderes. Ob Zahnfleischentzündung, Nagelfalzentzündung oder Blasenentzündung, ich habe keine Sorgen mehr, seit 0.3 prozentige Chlordioxidlösung in meiner Hausapotheke respektive dem Kühlschrank lagert.
Der Beitrag zeigt, dass der Patient resp. der Hilfe suchende seinen eigenen Verstand gebrauchen muss wenn es darum geht wie er behandelt werden soll. So lange wie der beschriebene Behördenwirrwarr besteht, gilt die Eigenverantwortung. Dazu gehört, dass man auf Vertrauenspersonen mit Fachkenntnissen im Umfeld hört. Und im Zweifelsfall: Negieren, nichts einnehmen.