«Nützts nichts, schadets nichts», hiess die Devise in jenen Zeiten, als Eltern sich und ihre Kinder mit Cremen einsalbten, von denen sie glaubten, sie würden Linderung bringen oder einfach nur schützen – zum Beispiel die Haut vor Sonnenbrand. Dass eine wohlriechende Creme vielleicht doch nicht ganz so harmlos ist, weiss man spätestens seit letztem Sommer.

Gross war damals das Erstaunen, als man erfuhr, dass es um die Spermienqualität der Rekruten schlecht bestellt sei und möglicherweise auch Sonnenschutzmittel etwas damit zu tun haben könnten. Denn viele Produkte, so hat sich herausgestellt, enthalten UV-Filter, die nicht nur die Haut vor den gefährlichen ultravioletten Strahlen schützen, sondern auch hormonverändernde Wirkung haben. UV-Filter finden sich auch in vielen Tagescremen, Lippenstiften, Make-ups, Duschmitteln und Parfümen.

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Die Folgen hormonähnlich wirkender Stoffe für Mensch, Tier und Umwelt haben Forscher um die Humantoxikologen Margret Schlumpf und Walter Lichtensteiger im Nationalen Forschungsprogramm 50 «Hormonaktive Chemikalien» untersucht. «Wir haben entdeckt, dass die frühe Entwicklung von Säugern ganz besonders empfindlich ist gegenüber hormonaktiven Substanzen», sagt Margret Schlumpf. Stillende oder schwangere Frauen müssten daher bei der Anwendung von Kosmetik- und Sonnenschutzmitteln besonders vorsichtig sein. Schlumpf appelliert an die Frauen, während dieser «hochempfindlichen Lebensphasen» auf Kosmetikartikel, die synthetische Chemikalien mit hormonähnlicher Wirkung enthalten, zu verzichten und stattdessen Naturkosmetika zu benützen.

Echt natürlich oder pseudo-bio?

Doch was sind Naturkosmetika genau? All jene Produkte, die nach Blumen, Wald und Kräutern riechen? Die Toxikologin Margret Schlumpf relativiert: «Nicht überall, wo ‹Naturkosmetik› draufsteht, ist auch Naturkosmetik drin.» Zudem ist «Naturkosmetik» kein geschützter Begriff. «Echt sind grundsätzlich jene Produkte, die keine synthetischen Chemikalien wie Silikone und ihre Derivate, Lösungsmittel und Hautweichmacher und keine Erdölderivate enthalten», sagt Théo Stalder von Biopartner, dem schweizweit grössten Vertrieb von Bioprodukten an Reformhäuser, Apotheken, Drogerien und Biofachgeschäfte.

Synthetische Stoffe machen laut Stalder in den herkömmlichen Kosmetika den Löwenanteil aus. Viele Hersteller priesen ihre Produkte über den pflanzlichen Inhaltsstoff an, der oft nur in minimaler Menge enthalten sei – etwa Aloe vera. Oft werde dabei verheimlicht, dass 99 Prozent aus synthetischen Stoffen bestehe. «Echte Naturkosmetik indes verwendet zu einem Grossteil tatsächlich natürliche Rohstoffe», sagt Stalder. «Wenn diese darüber hinaus aus biologischem Anbau stammen, was bei Herstellern wie Weleda, Lavera, Dr. Hauschka und vielen andern grösstenteils der Fall ist, kann man von biologischer Naturkosmetik sprechen.»

So einfach Stalders Erklärung klingt: Dem Kunden ist damit kaum geholfen. Was in einem Kosmetikprodukt drin ist, steht auf der Verpackung. Nur verstehen die wenigsten, was mit Begriffen wie «Polyglyceryl-3 Diisostearate», «Potassium Silicate» oder «Butylphenyl Methylpropional» gemeint ist. Was «natürlich» und was synthetisch ist, ist für Laien erst recht nicht ersichtlich.

«Echtheit» kennt viele Labels

Labels bieten Orientierungshilfe: Max Havelaar für fairen Handel, die Knospe für biologische Lebensmittel. Auch viele Naturkosmetikprodukte sind zertifiziert und tragen das Logo eines Labels, das «Echtheit» garantiert. Allerdings gibt es nicht nur ein Logo. In Europa haben gleich mehrere Organisationen ihr eigenes Label geschaffen. Zum Leidwesen der Konsumenten sind aber ihre Anforderungen unterschiedlich definiert.

Das deutsche Prüfzeichen BDIH («Kontrollierte Natur-Kosmetik») des Bundesverbands Deutscher Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und Körperpflegemittel etwa verlangt, dass der Einsatz pflanzlicher Rohstoffe so weit wie möglich aus kontrolliertem biologischem Anbau oder zertifizierter Wildsammlung stammen muss. Die Erläuterung, was «so weit als möglich» genau heisst, fehlt allerdings.

Das französische Label Ecocert wiederum verlangt, dass 95 Prozent der enthaltenen Stoffe biologisch zertifizierbar sein müssen. Die Briten haben ihr Soil-Association-Label, AIAB/ICEA leistet italienischen Konsumenten Orientierungshilfe, Ecogarantie den belgischen.

Die Schweiz kennt kein eigenes Kosmetiklabel. Die bei uns erhältlichen Produkte von Weleda, Dr. Hauschka, Lavera und anderen tragen mehrheitlich das BDIH-Signet auf ihren Verpackungen. Nun lancieren die drei Firmen gemeinsam mit drei weiteren deutschen Naturkosmetikfirmen (Santaverde, Primavera, Logocos/Logona), dem deutschen Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel und in Allianz mit dem Schweizerischen Kosmetik- und Waschmittelverband das neue Naturkosmetiklabel «NaTrue», das international Anwendung finden soll.

Grosser Aufwand für die Kleinen

«NaTrue» wird Produkte in drei Qualitätsstufen (Sterne) zertifizieren, womit mehr Transparenz garantiert werden soll. Ein Stern bezeichnet Naturkosmetik, die den Grundanforderungen an Inhaltsstoffe aus der Natur entspricht. Es ist auch festgelegt, welche Verfahren zur schonenden Verarbeitung der Zutaten erlaubt sind. Zwei Sterne bedeuten: Die enthaltenen Naturstoffe stammen zu mindestens 70 Prozent aus kontrolliert biologischer Erzeugung und/oder aus kontrollierter Wildsammlung gemäss den Kriterien der EU-Ökoverordnung. Drei Sterne stehen für reine Biokosmetik: Die pflanzlichen Rohstoffe stammen zu mindestens 95 Prozent aus biologischer Erzeugung.

Bereits Ende Februar sollten die ersten «NaTrue»-zertifizierten Kosmetika im Schweizer Handel erhältlich sein. Der Zertifizierungsprozess läuft über Bio-Inspecta, die auch für die Vergabe der Bio-Knospe für Lebensmittel zuständig ist. Wer ausser Weleda, Dr. Hauschka und Lavera den Zertifizierungsprozess positiv abschliessen wird, kann Bio-Inspecta noch nicht sagen.

Viele kleinere Hersteller werden sich wohl gar nicht erst um die Zertifizierung bemühen. Robert und Josiane Wegmüller zum Beispiel richten sich bei der Auswahl der Rohstoffe für ihre Produktelinie «RobertundJosiane» zwar nach den BDIH-Richtlinien – verwenden also keine Silikone, keine synthetischen Farb-, Duft- und Konservierungsstoffe und betreiben viel Aufwand, um die pflanzlichen Rohstoffe in Bioqualität zu finden. Die Zertifizierung wäre aber «zu aufwendig und zu teuer» für die kleine Firma, sagt Wegmüller.

Wachstumsmarkt Naturkosmetik

Auch die bekannteren Soglio-Produkte, seit 30 Jahren auf dem Markt, werden ohne das «NaTrue»-Label auskommen. Zwar teilen die Bündner «grundsätzlich die Zielsetzungen der Richtlinien», sagt Geschäftsführer Martin Ermatinger, «aber um die Soglio-Qualität möglich zu machen, brauchen wir zu einem kleinen Prozentsatz auch Rohstoffe, die nicht in der Naturkosmetikliste enthalten sind».

Am Beispiel der Parabene erläutert er die Problematik des Labelwesens. In der herkömmlichen Kosmetik werden Parabene als Konservierungsmittel verwendet, um die Enzymaktivität von Stoffen zu unterbinden – von Schafmolke etwa, die in gewissen Soglio-Produkten enthalten ist. Das BDIH-Label lässt Parabene nicht zu, weil sie im Verdacht stehen, allergische Reaktionen hervorzurufen. Stattdessen ist dort Alkohol zugelassen, worauf Soglio wiederum gänzlich verzichtet. «Wir sind überzeugt, dass Alkohol für sensible Haut ungeeignet ist», sagt Martin Ermatinger. Wichtig sei ohnehin, dass die Gesamtzusammensetzung von Kosmetikprodukten beurteilt werde. Der Soglio-Chef plädiert für genaues Hinschauen bei Kosmetika, die als Naturprodukte vermarktet werden – umso mehr, als im Sog des Bio-Booms immer mehr Produkte auf den Markt kommen.

Das Geschäft mit Natur- und Biokosmetik blüht. In der Schweiz wächst der Markt laut Théo Stalder von Biopartner im zweistelligen Bereich. Detaillierte Erhebungen sind nicht vorhanden. Der Grossverteiler Coop hat den Trend frühzeitig erkannt und das Angebot stetig ausgebaut. Man ist mit der Entwicklung zufrieden, der Naturkosmetiksektor entwickle sich «überdurchschnittlich gut». Umsatzzahlen gibt Coop jedoch nicht bekannt. Das weltweite Volumen im Jahr 2007 schätzt der Marketing- und Informationsservice «Organic Monitor» auf fünf Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2012 rechnet er bereits mit zehn Milliarden. Vor allem grosse Firmen wie Weleda, Dr. Hauschka und Lavera melden Umsatzsteigerungen.

Auch Firmen, die bisher synthetische Kosmetik hergestellt haben, steigen in den Markt ein. So hat L’Oréal neben Body Shop auch das kleine Naturkosmetiklabel Sanoflore aufgekauft. Clarins schnappte sich Kibio, wie Sanoflore mit dem französischen Ecocert-Label zertifiziert. Ob die Marken sich zusätzlich mit dem «NaTrue»-Label auszeichnen können, ist bis jetzt noch nicht geklärt.

Kampf der Labels droht

Unsicher ist auch, ob sich das neue Label durchsetzen wird. Denn kaum wurde «NaTrue» 2008 angekündigt, konnten sich auch die Vertreter der bestehenden Labels auf einen gemeinsamen Standard einigen: Auch sie lancieren nun ein neues Label, den «Cosmos Standard». Dass es zu einem Gerangel um die Deutungshoheit kommen wird, ist für Sara Zürcher von Bio-Inspecta absehbar.

Sicher ist: Bei der herkömmlichen Kosmetik ist es für die Kunden noch schwieriger, Durchblick zu erhalten. Und solange die Wirkung hormonaktiver und anderer problematischer Stoffe in Shampoos, Pomaden und Cremen nicht genau erforscht ist, können selbst die Apotheker ihren Kundinnen und Kunden oft nicht weiterhelfen.

Kosmetik: Bedenkliche und gefährliche Stoffe


Was in Kosmetikprodukten in welchen Mengen enthalten sein darf, ist in der «Verordnung über kosmetische Mittel» des Eidgenössischen Departements des Innern geregelt. Doch Kritiker bemängeln, dass zu viele Stoffe zugelassen sind, die sich im Körper oder in der Natur ablagern, den Hormonhaushalt bei Mensch und Tier verändern oder möglicherweise sogar krebserregend sein könnten. Besorgt sind Fachleute zudem über die kumulative Wirkung hormonwirksamer Stoffe: Gemische wirken sich signifikant stärker aus als die Einzelstoffe. Eine Auswahl problematischer Stoffe in Kosmetika:

Phthalate
Als Weichmacher öffnen sie künstlich die Hautbarrieren und machen die Haut aufnahmebereiter. Einzelne Phthalate stehen unter Verdacht, hormonwirksam zu sein und sich negativ auf die Fortpflanzungsfähigkeit der Männer auszuwirken. Tests der Zeitschrift «Öko-Test» zeigen, dass Phthalate in Cremen und Duschgels verbreitet sind.

Silikone und ihre Derivate
Zu finden etwa in Lippenstiften, Duschmitteln, Shampoos, Haut- und Haarpflegemitteln. Sie können den Hautstoffwechsel belasten und sind biologisch kaum abbaubar, also umweltbelastend.

Paraffine und ihre Abkömmlinge
Sammelbegriff für zahlreiche Erdölderivate. Vaseline besteht zu einem grossen Teil aus Paraffin. Laut «Öko-Test» fördert ein Paraffingehalt von über zehn Prozent die Austrocknung der Haut, was die Hautalterung fördere. Ausserdem können sich Paraffine in Leber, Niere und Lymphknoten anreichern. In vielen Cremen sei der Paraffinanteil höher als zehn Prozent.

Formaldehyd-Abspalter
Das Konservierungsmittel wird als krebserregend eingestuft, darf aber in kleinen Dosen eingesetzt werden. Gemäss «Öko-Test» können bereits geringe Mengen davon die Schleimhäute reizen und Allergien auslösen.

PEG-Derivate
Vor allem als Emulgatoren in Kosmetika verwendet. Sie können laut dem Rat-geber «Kosmetik-Inhaltsstoffe von A bis Z» hautirritierend sein und die Haut durchlässiger machen für Schadstoffe.

Weitere Infos

Heinz Knieriemen und Paul Silas Pfyl: «Kosmetik-Inhaltsstoffe von A bis Z. Der kritische Ratgeber»; AT-Verlag, 2005, 254 Seiten, Fr. 16.90; «Öko-Test Jahrbuch Kosmetik», Fr. 17.50, an grossen Kiosken erhältlich.