Die Zahlen sind vielversprechend: Weltweit haben bislang rund 3000 Menschen Internet-Hilfsprogramme gegen soziale Phobie getestet, unter anderem für eine Studie an der Uni Bern. Und gut 50 Prozent der Teilnehmer waren nach den Testläufen geheilt, obwohl sie vorher bis zu 30 Jahre unter intensiven Ängsten gelitten hatten. Die Hilfe übers Internet, so das Fazit, ist damit ähnlich wirksam wie eine Therapie von Angesicht zu Angesicht.

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Ob dies auch via Smartphone funktioniert, soll jetzt eine neue Studie mit 150 Teilnehmern zeigen. «Selbsthilfe-Apps erleben im Moment einen Boom», sagt Studienleiter Thomas Berger. Das Angebot ist gross. Die Programme bieten zumeist eine Mischung aus Hintergrundwissen und praktischen Übungen für den Alltag, mit denen Betroffene beispielsweise Ängste überwinden sollen. Bislang aber sei über die Wirksamkeit dieser Apps wenig bekannt. Vieles wird versprochen, aber kaum etwas ist untermauert.

Als Argument wird zum Beispiel häufig angeführt: Mit den Apps könnten Nutzer das angelesene Wissen leichter in der Praxis anwenden. Schliesslich hätten sie es immer abrufbereit, wenn sie es brauchen. Psychologe Thomas Berger hat gewisse Zweifel an dieser Theorie. Es sei zumindest fraglich, ob sich der Anwender überhaupt auf die Situation einlasse, die ihm Angst einflösse. Das sei ein grosser Schritt, wo es doch einfacher und sicherer scheine, den Blick gar nicht erst vom Handydisplay zu lösen und in der virtuellen Welt zu bleiben.

«Üben ist der Schlüssel zum Erfolg!»

«Sophie», Selbsthilfe-App

Für ihre Studie hat die Universität Bern eine eigene Angst-App namens «Sophie» entwickelt: Wer sie aufs Handy lädt, erfährt gleich, worauf es ankommt: «Üben ist der Schlüssel zum Erfolg!» Wer glaube, die App wirke wie eine Pille bei Kopfschmerzen, liege falsch. Die vorgeschlagenen Übungen und Techniken müssen intensiv erlernt und im Alltag verankert werden. Das geht nicht von allein und schon gar nicht von heute auf morgen. «Sophie» erfordert Ausdauer und Disziplin.

Einer der Gründe dafür ist, dass man sich nicht einfach durch das Programm klicken kann. Die Lektionen schliessen mit Aufgaben und Übungen ab, zum Beispiel mit der Aufforderung, ängstigende Situationen zu notieren: das Essen mit Arbeitskollegen? Die Sitzung mit den Abteilungsleitern? Man muss sich überlegen, was die schlimmsten Befürchtungen sind: was andere denken könnten? Ob diese die körperlichen Symptome wie Erröten und Zittern bemerken? Erst danach kann man die nächste Lektion freischalten.

Die Motivation ist entscheidend

Das klingt nach einem umfangreichen Fernstudium – und tatsächlich gibt es Parallelen. «Die Frage nach der Motivation ist auch bei uns entscheidend», sagt Thomas Berger. Bei vielen Selbsthilfeprogrammen ist die Abbrecherquote hoch, vor allem wenn Teilnehmer kein Feedback bekommen. Besser, das haben Studien ebenfalls gezeigt, ist «geleitete Selbsthilfe», bei der Psychologen kontaktiert werden können. Diese klären mit den Interessenten zu Beginn, ob das Programm für ihr Problem das richtige ist. Und geben den Teilnehmern später regelmässig Rückmeldungen. Wenn sie etwas gut gemacht haben. Oder wenn Durchhänger drohen, Misserfolge verdaut werden müssen.

«Die App ist ein niederschwelliges Angebot, um eine Erkrankung besser zu verstehen.»

Christian Zottl, Geschäftsführer der Deutschen Angst-Selbsthilfe

«Einem Gerät bin ich nichts schuldig. Deshalb ist es gut, wenn einen jemand in die Pflicht nimmt», sagt Christian Zottl, Geschäftsführer der Deutschen Angst-Selbsthilfe. In dieser Funktion hat er die Berner App getestet – und wäre ohne Begleitperson wahrscheinlich ausgestiegen. Nicht immer habe er Lust und Gelegenheit gehabt, die vorgeschlagenen Entspannungsübungen zu machen. Der Austausch schaffe eine gute Bindung und eine gewisse Verbindlichkeit.

Zottl kann die App im Grundsatz empfehlen: «Sie ist ein niederschwelliges Angebot, um sich mit seiner Erkrankung zu befassen, sie besser zu verstehen.» Das Programm könne helfen, erste Strategien zu entwickeln, um bestimmte Alltagssituationen zu meistern. «Vielleicht gelingt es danach eher, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschliessen oder einen Therapeuten aufzusuchen», sagt Zottl.

Ein vertrauenwürdiger Partner hilft

Zottl rät, bei der Suche nach einer geeigneten App auf einen vertrauenswürdigen Partner zu setzen. Zum Beispiel eine Universität, die Teilnehmer für ein Forschungsprojekt sucht. Hier prüfen Ethikkommissionen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Kommerzielle Anbieter hält er für weniger vertrauenswürdig. Wichtig ist für ihn darüber hinaus, ob der Datenschutz gewährleistet ist und persönliche Angaben nur verschlüsselt und nicht an Dritte weitergegeben werden.

Ein weiterer Vorteil, wenn eine Hochschule Entwicklerin und Herausgeberin ist: Die Nutzer können davon ausgehen, dass die Hilfsprogramme fachlich und methodisch fundiert sind. Und nicht zu Dingen auffordern, die kontraproduktiv sind und die Ängste noch verschlimmern. Idealerweise leitet die App dazu an, in kleinen Schritten vorzugehen. Angenommen, man geht seinen Nachbarn aus dem Weg, weil man eine spontane Begegnung fürchtet. Eine erste Stufe wäre: Wenn ich jemanden am Briefkasten treffe, grüsse ich einfach kurz. Thomas Berger: «Solche Konfrontationsübungen werden bei Betroffenen immer Angst auslösen.» Und leichte Überforderung, die aber nötig ist, um ein Stück weiterzukommen und die übertriebene Angst zu besiegen (siehe «Klassische Therapien», unten).

Wissen schafft Orientierung

Ein gutes Hilfsprogramm lässt Menschen mit sozialer Phobie damit aber nicht allein, sondern erklärt, weshalb es wichtig ist, sich solchen Situationen zu stellen. Und was in diesen Momenten mit ihnen und ihrer Angst passiert. Dieses Wissen gibt den Teilnehmern Orientierung und Kontrolle.

Sie können sich dann eher auf eine Konfrontation einlassen. Und fassen Mut für das nächste Mal. Vielleicht gelingt es dann ja schon bald, den Nachbarn zu fragen, wie es ihm geht.

Nichts gegen akute Krisen

Die Studienleiter weisen ausdrücklich darauf hin, dass Onlineprogramme nicht in allen Situationen helfen können. Kriseninterventionen sind unmöglich. Menschen mit akuten Suizidgedanken sind nach wie vor auf ambulante Hilfe oder Kliniken angewiesen. Weitere Informationen über die App und weitere Online-Selbsthilfeprogramme, die derzeit getestet werden, finden Sie auf www.online-therapy.ch

Klassische Therapien: Was gegen Ängste hilft

Es ist die Angst, sich in einer Runde kritisch zu äussern, mit anderen essen zu gehen oder Feste zu besuchen. Die Sozialphobie zählt zu den häufigsten psychischen Störungen. Die Befürchtung ist immer ähnlich: Man könnte sich peinlich verhalten, sich blamieren, von anderen ausgelacht werden.

Sozialphobikern ist bewusst, dass ihre Ängste unverhältnismässig und meist unbegründet sind. Sie gehen weit über das hinaus, was alle manchmal erleben, etwa die Nervosität vor einem Vortrag.

Wer eine Sozialphobie hat, geht ängstigenden Situationen aus dem Weg, was das Leiden verstärken und Betroffene im Alltag behindern kann. Psychotherapie ist dagegen ein gutes Mittel, vor allem kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze: Man lernt, negative Bewertungen zu überprüfen und durch angemessene zu ersetzen. Zugleich stellt man sich denjenigen Situationen, die Angst auslösen.

Viele Therapeuten arbeiten auch erfolgreich mit Entspannungstechniken wie autogenem Training. Erforscht wurde in den letzten Jahren die Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Studien zeigen, dass die Medikamente helfen können, mit ängstigenden Situationen besser klarzukommen.