Nora L.: «Ich leide unter Furcht vor dem Tod. Ich habe ein gutes Leben und habe richtig Angst davor, es durch Unfall oder Krankheit zu verlieren. Wie soll ich damit umgehen? Ich habe schon versucht, mit Freunden darüber zu sprechen, aber es scheint niemanden zu geben, der das gleiche Problem hat.»

Dieser Eindruck täuscht Sie nicht. Da wir Menschen wissen, dass wir sterben müssen, ist es zwar unmöglich, damit kein Problem zu haben. Die Frage ist nur, ob man sich damit auseinandersetzt oder das Thema bis zum letzten Moment verdrängt.

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Für Letzteres ist es bei Ihnen natürlich zu spät. Sie haben angefangen, über den Tod, Ihren Tod, nachzudenken – und der einzige Ausweg besteht jetzt darin, die für Sie richtige Einstellung dazu zu finden. Das halte ich aber für ein gutes Projekt. Es ist nämlich unnatürlich, dass wir in unserer westlichen Kultur wann immer möglich so tun, als gäbe es den Tod nicht. Und wenn er dann doch eintritt, erscheint er als tragischer Unfall, als Ausnahmeerscheinung, und er trifft stets die andern.

Ein befristetes Geschenk

Natürlich sehen Sie das richtig, dass Sie Ihr Leben eines Tages durch Unfall oder Krankheit verlieren werden. Das ist aber kein Grund, Angst zu haben, es ist eher ein Grund, das Leben als befristetes Geschenk zu sehen und sich umso mehr daran zu freuen.

Der Tod gehört als derart grosse Herausforderung zum Leben, dass sich natürlich Religionen und Philosophen damit ausgiebig beschäftigt und Antworten gesucht haben. Zu ganz unterschiedlichen Ansichten und Konsequenzen kommen dabei der deutsche Philosoph Martin Heidegger, der Schweizer Schriftsteller Elias Canetti und der tibetische Lama Sogyal Rinpoche.

Heidegger hat den Ausdruck «Sein zum Tode» geprägt. Wir sollen uns nach seiner Meinung durchaus bewusst sein, dass unser Sein, unser Leben, am Ende zum Tod führt, nur deshalb hat es seine einzigartige Qualität. Lebewesen, die nicht wissen, dass sie sterben, wissen auch nicht, was sie am Leben haben.

Elias Canetti widerspricht dem deutlich. Er schreibt: «Ich verfluche den Tod. Ich kann nicht anders, ich stosse den Tod zurück.» Er verurteilt die totale Verdrängung des Todes ebenfalls, aber er verbietet das Einverstandensein damit. Zwar kommt der Tod unvermeidbar auf uns zu, aber man soll ihm nicht die Ehre erweisen, mit ihm zu rechnen.

Ganz anders sieht das Sogyal Rinpoche. Weil tibetische Buddhisten von einer seelischen Wiedergeburt überzeugt sind, verliert für sie der Tod viel von seinem Schrecken: Er stellt ja nur einen Übergang und nicht ein Ende dar. Davon, ob einem dieser Übergang gut gelingt, hängt es ab, ob die Seele eine ruhige Zwischenphase bis zur Reinkarnation erleben darf. Das wiederum hat zur Folge, dass sich ein Buddhist das ganze Leben auf einen guten Tod vorbereitet: durch ein Leben voller Mitgefühl, durch Meditation und durch Einüben der richtigen Einstellung zum Leben.

Vergänglichkeit gibt es auch im Leben

Buddhistische Mönche sind deswegen nicht traurig, sondern lächeln viel und lieben das Leben. Als Rinpoche zum ersten Mal in den Westen kam, staunte er über den Umgang der Menschen hier mit dem Tod. Entweder würden sie ihn völlig verdrängen oder aber ihn panisch fürchten. Er beschreibt in einem leicht lesbaren Buch, wie man sich auf den Tod vorbereiten, sich mit ihm versöhnen kann.

Eine der ersten Übungen besteht darin, mitten im Leben immer wieder zu lernen, dass alles vergänglich ist. Alles geht vorbei. Wir müssen immer wieder Abschied nehmen, loslassen, Verluste verarbeiten. Wer das täglich übt, bereitet sich auf den unvermeidlichen Verlust des Lebens vor. Rinpoche beschreibt auch, wie tibetische Lamas den Sterbeprozess sehen, und er empfiehlt, sich dabei einen Seelenbegleiter vorzustellen, wenn man bei Bewusstsein ist, als Buddhist seinen Lehrer, als Christ zum Beispiel Jesus.

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