Wenn Kinder die langjährige Freundschaft belasten
Was tun, wenn langjährige Freunde Eltern werden und sich alles nur noch um deren Kinder dreht? Klare Kommunikation ist gefragt – von beiden Seiten.
Veröffentlicht am 24. Februar 2022 - 15:24 Uhr
Leserfrage: «Viele meiner Freunde haben Kinder. Einladungen werden oft zu einem ‹Kindergarten›. Das nervt. Was tun?»
Antwort von Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin:
Mein Rat für Sie: Haben Sie Geduld! Spätestens in 15 Jahren, wenn die Eltern beginnen, sich brennend nach einer erneut kinderlosen Zeit zu sehnen, werden Sie und Ihre Freunde wieder zueinanderfinden…
Aber ernsthaft: Kinder machen tatsächlich einen grossen Unterschied aus. Von einer Horde von ungebundenen, ungezwungenen gut 20-Jährigen mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten «kippen» im Lauf der Jahre erst Einzelne, dann immer mehr auf die andere Seite: Sie beenden ihre Ausbildung, binden sich dauerhaft – und gründen Familien. Die Kluft zwischen jenen mit Kindern und jenen ohne Kinder kann immens sein
.
Man hat sich irgendwie verloren und hofft doch, dass alles beim Alten bleibt.
«Es wird erwartet, dass der Jö-Effekt von kleinen Kindern bei allen wirkt.»
Christine Harzheim, Psychologin FSP und systemische Familientherapeutin
Bei den Zurückgebliebenen macht sich mit der Zeit eine gewisse Fassungslosigkeit breit. Sie schauen zu, wie die jungen Eltern mit der Geburt plötzlich wehrlos zu versinken scheinen in eine Welt, in der nichts Cooles, nichts wirklich Erwachsenes und Freies mehr stattfindet. Stattdessen Müdigkeit, Windelsorten und Selbstaufgabe.
Wie kann das sein? Was passiert hier?
Säuglinge sind über eine lange Zeit auf allumfassende Fürsorge angewiesen. Sie könnten sonst nicht überleben. Gesichert wird dieses Rund-um-die-Uhr-umsorgt-Werden durch angelegte Bindungsmuster bei den Kleinen; bei den Grossen wirkt das, was man Kindchenschema oder Jö-Effekt nennt. Diese biologisch stark wirkenden Muster garantieren, dass das Kind auch in Momenten, in denen die Liebe überstrapaziert wird – in schlaflosen Nächten
, bei stundenlangen Schreiattacken und so weiter –, keinen Schaden nimmt.
Es ist also überaus wichtig und sinnvoll, dass Eltern sich hier ein Stück weit der Selbstaufgabe hingeben.
Kompliziert wird es, wenn Eltern von ihren alten (und kinderlosen) Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass diese die neue Sicht dessen teilen, was im Leben wirklich zählt. Sie laden ein zu Kindergeburtstag, Erste-Zähne-Gesprächen und Ausflügen mit Wickeltasche statt Spass und Prosecco.
Gesellschaftlich wird erwartet, dass der Jö-Effekt bei allen Erwachsenen wirkt. Grundsätzlich sollte man Kinder mögen, alles andere wirkt unschön.
Tatsächlich ist dem aber nicht so. Wie im Tierreich wirkt der Welpenschutz meist nur im eigenen Rudel. Auch Comedian Hazel Brugger, die seit einem knappen Jahr Mutter ist, sinniert in einem ihrer Podcasts, ob es nicht mit der Zuneigung zu Kindern so ist, dass man zwar beim eigenen Nachwuchs plötzlich komplett in einen irrationalen Verzückungszustand verfällt, aber eben nur gegenüber diesem einen Kind und nicht gegenüber Kindern an sich. Die der anderen lassen einen oft eher kühl.
Was kann man nun tun, wenn sich wegen der Kinderfrage ein Graben auftut zwischen ehemals Vertrauten?
Fakt ist, dass sich an diesem Punkt viele Freundschaften verändern. Sie gehen auseinander oder werden zu Fernbeziehungen. Die Frage ist, wie gut wir mit solchen Veränderungen umgehen können, wie tolerant und verständnisvoll wir wirklich sind. Auch andere Ereignisse können plötzlich ein Leben auf den Kopf stellen und damit das Beziehungsgefüge verändern. Eine neue Partnerschaft, eine Erkrankung oder ein Auslandaufenthalt
.
Hier ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was für Erwartungen und Wünsche man an die Freunde hat. Was man befürchtet. Das gilt für Eltern und Nichteltern.
- Wie geht es mir, und wie sieht das beim anderen aus?
- Was steht zwischen uns?
- Was können wir aussprechen und klären, und was sind wunde Punkte, die das Ganze gefährden?
Es lohnt sich, hier ohne Furcht den ersten Schritt zu wagen und das Thema anzusprechen. Es geht nicht um Entweder-oder, sondern darum, sich unter neuen Bedingungen aufrichtig zu begegnen.
Aus Gewohnheit einen Kontakt aufrechtzuerhalten, der uns nicht mehr entspricht, und uns dann nach jedem Treffen zu empören oder lustig zu machen, ist nicht fair.
Freundschaften können auch Zeiten auf Eis überstehen. Man geht vorübergehend getrennte Wege. Nicht weil man sich nicht mehr mag, sondern weil die Lebenswelten aktuell nicht mehr übereinstimmen.
Vielleicht lebt die verschworene Gemeinschaft aus vergangenen Zeiten dann wieder auf, wenn die Beteiligten in den Fünfzigern oder Sechzigern sind.
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2 Kommentare
Meine Erfahrung mit Freunden, die heiraten und dann Nachwuchs haben, sind nicht gerade positiv, da sich alles um die kleinen Racker dreht und du, als langjähriger Freund in jedem Fall auf der Strecke bleibst. Es werden tausende von Fotos der Kleinen gemacht und viele kommunizieren in einer Kindersprache, was rein erzieherisch ungünstig ist, doch dazu darf man sich als Aussenstehender natürlich nicht äussern. Als Kinderloser wirst du von Eltern sowieso nicht mehr richtig wahrgenommen, was natürlich die Beziehung mehr und mehr versanden lässt. Ich, für meine Person, ziehe mich daher von solchen Leuten zurück, weil die ehemalige Beziehungsstruktur nicht mehr vorhanden ist und ich nicht bereit bin, meine Persönlichkeit der Familie der Freunde anzupassen, nur damit ich am Rande geduldet bin. Dass ich warte bis deren Kinder erwachsen sind und ich dann wieder, als ob nichts gewesen wäre, die Beziehung weiter verfolge, geht schon gar nicht, da Familienmenschen in der Regel nicht mehr so ticken, wie vorher.
Sehr wichtiges Thema, danke dass darüber geschrieben wird. Mir scheint jedoch hier etwas ähnliches zu passieren wie ich es (Alleinstehend) oft erlebt habe bei meinen Freunden (mit Familie): Die Idee, dass die Freundschaft (wieder oder immer noch) so sein müsse wie man als "junge wilde Mitt-20-er" war.
Mit 35, 40 und erst recht 50 habe auch ich als die kinderlose, berufstätige Freundin nicht mehr die gleichen Bedürfnisse wie damals. Es ist schade, wenn Freunde sich zurückziehen, weil sie glauben, dass ich bis in alle Nacht mit ihnen durch die Bars ziehen möchte. Mir würde es durchaus reichen, wenn sie sich Zeit nehmen würden an einem Samstag nachmittag auf einen Kaffee in der Stadt. Oder sich einmal freischaufeln für ein Abendessen. Leider musste ich die bittere Erfahrung machen, dass für viele Familienmenschen nicht einmal mehr das eine Option ist. Man zieht ins Einfamilienhaus in die Agglo, der Samstag ist dem Grosseinkauf gewidmet. Generell ist das Weekend sowieso die "wertvolle Familienzeit" (O-Ton eine Freundin von mir). Das message im Umkehrschluss ist klar: Die Zeit die man mit Freunden verbringt ist in dem Fall weniger wertvoll und muss hintenanstehen. Als kinderlose alleinstehende Freundin rutscht man so immer mehr vom Radar.