Einmal Yoga, bitte, Herr Doktor!
Immer öfter wird Yoga als Therapie eingesetzt. Es hilft gegen Asthma, Diabetes, Angstzustände und chronische Schmerzen. Aber Yoga hat auch seine Risiken.
aktualisiert am 21. Juni 2018 - 10:35 Uhr
Yoga ist mehr als ein Lifestyleangebot. Das weiss Stefan Begré. Der leitende Arzt an der Zürcher Privatklinik Hohenegg setzt Yoga längst auch in der Therapie ein: «Weil man damit eine schonende Stärkung der Muskulatur und eine Entspannung des ganzen Organismus erreichen kann.»
Es habe sich gezeigt, dass Yoga «bei vielen Patienten Beweglichkeit und Kraft fördert, aber auch eine achtsame Haltung im Umgang mit Krankheit», so der Mediziner, der schwerpunktmässig psychosomatische Erkrankungen behandelt. Davon könne die ganze Gesellschaft profitieren. «Wie bei allen Bewegungsmethoden sind jedoch Ausdauer und Regelmässigkeit entscheidend für den Erfolg. Einmal, zweimal Yoga machen und dann meinen, der Schmerz vergehe, ist eine Illusion.»
«Mit Yoga lässt sich die physische Belastbarkeit nach Krankheiten und Unfällen steigern.»
Ludwig Schelosky, Leitender Arzt Neurologie, Kantonsspital Münsterlingen
«Wenn es regelmässig angewandt wird, lindert Yoga Schmerzen, die als Folge von Abnutzungserscheinungen im Bewegungsapparat auftreten können», sagt Ludwig Schelosky, leitender Arzt Neurologie am Kantonsspital Münsterlingen TG. Er setzt Yoga und ähnliche Therapien bei Erkrankungen des Bewegungsapparats ein. «Damit lässt sich die physische Belastbarkeit nach Krankheiten und Unfällen steigern.»
Wichtig dabei sei allerdings nicht nur, dass der Therapeut über gute Kenntnisse der Physiologie verfüge, sondern auch über psychologisches Einfühlungsvermögen: «Nur damit können Patienten motiviert werden, die Yogaübungen auch selbst anzuwenden. Und das ist schliesslich der Sinn der Sache», sagt Schelosky.
Der Neurologe warnt aber ausdrücklich: «Übungen darf man nie in den Schmerz hinein machen.» Bei akuten Schmerzen könne Yoga sogar kontraproduktiv wirken. In der Rekonvaleszenz direkt nach Operationen seien Medikamente wirksamer. «Es gibt keine evidenzbasierten Studien, dass Therapien, auch Physiotherapien, in dieser Phase überhaupt einen Nutzen bringen.»
Oft hilft Yoga gegen chronische Schmerzen. Das hat eine US-Studie mit Patienten nachgewiesen, die unter Rückenbeschwerden litten. Nach fünf Monaten Training benötigten diejenigen, die dreimal pro Woche mindestens eine Viertelstunde Viniyoga praktizierten, deutlich weniger Medikamente – und waren zudem beweglicher als die Patienten der Vergleichsgruppe, die nur Physiotherapie erhielten. Die Studienautoren warnen aber auch hier: Anstrengendere Yogastile wie Ashtanga Vinyasa seien nicht geeignet für Patienten, die über keine Erfahrung mit Yoga verfügten.
Die Berner Hausärztin Simone Rohrbach-Späth bestätigt das. Sie setzt Yoga als Schmerztherapie ein. «Eine gute Yogapraxis berücksichtigt immer die individuellen Möglichkeiten und Einschränkungen, übt im schmerzfreien Bereich und überprüft anschliessend die Wirkung», sagt die Schulmedizinerin, die über eine fünfjährige Ausbildung als Yogalehrerin und Yogatherapeutin verfügt. «Yogatherapie behandelt nicht Diagnosen, sondern den Menschen als Ganzes.»
Yoga kann zudem bei Diabetes, Asthma und Angstzuständen helfen. Aber es kann auch schaden. Vor allem stark forcierte Körperhaltungen und ein hoher Leistungsdruck können gravierende Folgen haben – von Verletzungen und Überdehnungen bis hin zu Hirnschädigungen. Zudem ist bei Herzerkrankungen , Arthrose und erhöhtem Augendruck Vorsicht geboten.
Der US-Wissenschaftsjournalist William J. Broad warnt vor allem vor Extremangeboten wie Bikram-Yoga , das bei 40 Grad ausgeübt wird. Er fordert, dass Yoga als Therapie sich sehr viel stärker an der Wissenschaft ausrichten müsse. Zudem müsse die Ausbildung der Therapeuten professionalisiert werden.
Diese Kritik gilt auch für die Schweiz. Auch hier ist das Angebot völlig unübersichtlich . Derzeit bilden zehn verschiedene private Schulen Yogalehrer aus. Unabhängige Kontrollen gibt es keine. In vielen Kantonen brauchen Anbieter nicht einmal eine Bewilligung, um eine Praxis zu eröffnen.
Die Berufsbezeichnung Yoga-Therapeut ist bis heute kein geschützter Titel in der Schweiz. Der Berufsverband Yoga Schweiz weist deshalb darauf hin, dass es bezüglich Qualität, Ausbildungsinhalten und Ausbildungsdauer grosse Unterschiede gebe. Ein Hinweis für einen genügend hohen Ausbildungsstand eines Yoga-Therapeuten ist ein Eintrag im Register des Berufsverbandes Yoga Schweiz. Wer in die Liste aufgenommen werden will, muss eine von Yoga Schweiz anerkannte vierjährige Ausbildung absolviert haben.
Wann und wie hilft Yoga?
Das körperbetonte Yoga, das unter dem Sammelbegriff Hatha-Yoga angeboten wird, wirkt unterstützend als Gesundheitsprävention und in bestimmten Formen als Therapie nach Krankheiten.
Welches Yoga eignet sich als Therapie?
Die Yogaformen nach B. K. S. Iyengar oder Viniyoga sind am stärksten therapeutisch orientiert. Man führt die Übungen langsam und mehrmals durch, auch mit Hilfsmitteln, um Stellungen richtig einzunehmen. Der Ablauf ist aufbauend und ausgleichend und wird an die individuellen Möglichkeiten der Übenden angepasst.
Bei welchen Beschwerden wird Yoga angewandt?
Bei muskulär bedingten chronischen Schmerzen und als Entspannungsmethode bei Angstzuständen. Medizinisch empfohlen wird es auch bei Erkrankungen wie multipler Sklerose oder Diabetes.
Wie findet man geeignete Anbieter?
Die Verbände Swissyoga.ch und Yoga.ch führen Listen der Verbandsmitglieder mit Hinweis auf Methode, Ausbildung und Krankenkassenanerkennung. Das Erfahrungsmedizinische Register (EMR) listet Therapeuten mit EMR-Qualitätslabel oder Branchendiplom Komplementärtherapeut/-in für Yogatherapie auf.
Wie beteiligen sich Krankenkassen an den Kosten?
Einige Kassen beteiligen sich über Zusatzversicherungen an den Kosten für Yogakurse – meist im Rahmen der Beiträge an die Gesundheitsprävention. Die Grundversicherung übernimmt die vollen Kosten bei Anbietern mit anerkannten Ausbildungen, die Yoga als Zusatz anbieten (Physiotherapeutinnen, Bewegungstherapeuten), nach ärztlicher Verschreibung für jeweils neun Anwendungen.