Wo ist der Gin hin?
Eine Brennerei versenkt eine 800-Kilo-Kugel mit Alkohol im Bodensee. Sie verschwindet. Was das mit Muscheln und Rasiermessern zu tun hat.
Veröffentlicht am 2. Februar 2023 - 14:00 Uhr
«Blick», 14. 12. 2022: «Mysteriöser Diebstahl auf dem Grund des Bodensees!»
Am Anfang stand ein Werbegag. «Wie können wir unseren ‹Bodensee-Gin› noch näher an den Bodensee heranbringen?», fragten sich Jenny Strohmeier und Cello Fisch.
In Romanshorn TG brennen sie mit ihrer Firma Fishgroup seit 2017 Wacholderschnaps . Die Lösung: in den See damit!
Seither reift ihr Brand jeweils 100 Tage lang in einer Edelstahlkugel in 20 Metern Tiefe. «Ich bin überzeugt, dass der Gin dabei etwas vom Geist des wunderschönen Bodensees aufnimmt», sagt Jenny Strohmeier. Der Geist beträgt am Ende 41 Prozent, so steht es auf der Flasche.
Doch als sie im Dezember die 300 Kilo schwere Kugel aus dem Wasser fischen wollen, ist sie weg. Nicht ganz spurlos: Der 500 Kilo schwere Betonsockel hat auf einer Fläche von exakt 120 mal 120 Zentimetern sämtliche Muscheln getötet.
Muscheln killen, um Gin zu machen? Das klingt nach einem Verbrechen an der Natur. Doch es geht um die berüchtigte invasive Art Quagga aus dem Schwarzen Meer.
Sie hat im Schwäbischen Meer rein gar nichts zu suchen. Dennoch macht sie sich hier breit, frisst den darbenden Bodenseefelchen das Plankton weg, verstopft Wasserleitungen und zerschneidet Badegästen die Fusssohlen. Nur gut also, wenn einige Quaggas ins Seegras beissen.
«Wir haben nicht mehr Bestellungen, seit die Sache bekannt ist.»
Jenny Strohmeier, Fishgroup
Doch wie kam der Gin weg? Einige verdächtigen die Hersteller. Sie hätten den Diebstahl inszeniert, als PR-Stunt.
Immerhin gab es Medienanfragen sogar aus Nachbarländern und den USA. «Ich bin ja nicht blöd», sagt Cello Fisch zum Vorwurf. «Wir haben nicht mehr Bestellungen, seit die Sache bekannt ist», sagt Jenny Strohmeier.
Der Diebstahl bringe etwa 40'000 Franken Umsatzeinbusse. Hat also wirklich jemand die kriminelle Energie aufgebracht, 230 Liter Gin aus einem See zu klauen?
Vielleicht taugt da «Ockhams Rasiermesser». Von mehreren möglichen Erklärungen soll man die einfachste vorziehen, so der Philosoph Wilhelm von Ockham (1288–1347). Doch einfach ist es auch für Diebe nicht, 800 Kilo aus 20 Metern Tiefe zu hieven.
Es braucht Taucher, ein Pontonboot mit Kran oder Hebesäcke, unter Wasser mit Luft gefüllt.
Mitte Januar hat die Polizei die Ermittlungen eingestellt – wegen mangelnder Hinweise. Da hilft auch kein Rasiermesser.
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