Das 14-jährige Spiel zwischen Intrum und Schuldner
Zunächst mit drohenden Worten, dann mit Charmeoffensiven und Rabatt-Aktionen. Wie ein Inkassounternehmen 14 Jahre lang alles versucht, eine offene Forderung einzutreiben.
Veröffentlicht am 8. August 2018 - 17:06 Uhr,
aktualisiert am 9. August 2018 - 16:29 Uhr
Was passiert eigentlich, wenn man Mahnungen von Inkassofirmen konsequent ignoriert? Um das herauszufinden, braucht es Sturheit und gute Nerven. Peter Stoller aus Zürich hat augenscheinlich beides und lässt es 2004 darauf ankommen.
Er hatte eine Forderung der Cablecom (heute UPC ) erhalten, mit der er nicht einverstanden war. Es geht um 20 Franken. Stoller entschliesst sich, keine Beschwerde einzulegen, sondern die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen und abzuwarten. Im September 2004 kommt dann der erste Brief vom Inkassounternehmen Intrum, das inzwischen 64 Franken fordert, inklusive eines « Verzugsschadens». 2004 – in diesem Jahr wird Griechenland überraschend Fussball-Europameister und das Videoportal YouTube existiert noch nicht.
Es folgt ein 14-jähriges Spiel zwischen der Inkassofirma und Stoller. Sie lässt bei der Geldeintreibung nichts unversucht, während er amüsiert dem Treiben folgt.
Anfangs versucht es Intrum vor allem mit Einschüchterung. Sollte Stoller nicht zahlen, werde man eine für ihn folgenreiche Betreibung einleiten. Im Herbst 2004 heisst es in einem Brief, dass dies nun seine «letzte Chance zur Wahrung der guten Bonität » sei. Ein halbes Jahr später schreibt Intrum, dass die Betreibung nun angeblich eingeleitet wurde. Die Überschrift des Briefes in grossen Lettern: «Sie riskieren eine Pfändung!»
Stoller allerdings lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und handelt weiter nach dem Motto: abwarten und Tee trinken. Bis heute wartet er auf einen Brief vom Betreibungsamt – vergeblich.
2007 ändert Intrum die Strategie. Neu versucht man mit Charmeoffensiven und einer Reihe von «Rabatt-Aktionen», Stoller die Zahlung des umstrittenen und kontinuierlich steigenden Betrags schmackhaft zu machen. «Happy 2007, Herr Stoller», wünscht Intrum mit einem grossen farbigen Banner, verbunden mit einer Reduktion von 30 Prozent auf die offene Forderung. Weiter folgen «Herbstreduktionen» in Höhe von 40 Prozent sowie eine «Olympia 2010»-Reduktion von sportlichen 50 Prozent, die Stoller die Chance geben soll, «einen eleganten Sprung über den eigenen Schuldenschatten zu machen». Die graphische Abteilung gab sich hier besonders Mühe und zeigt einen springenden Olympioniken umkreist vom Olympia-Motto: Dabei sein ist alles.
2011 und 2012 wagt es Intrum, sogar den Weihnachtsmann zu instrumentalisieren. Freundlich um die Ecke schauend, schlägt er Stoller vor, die Forderung in zwei Raten zu zahlen. Ein schönes Geschenk zum Fest, doch Stoller will es nicht. Anfang 2017 schliesslich der letzte Versuch, Stoller mit optischen Extras zu überzeugen. Ein Skifahrer fährt den Berg hinab, daneben die Überschrift: «Geradewegs in die schuldenfreie Zielgerade», diesmal verbunden mit 30 Prozent Reduktion. Dies bildet gleichzeitig Höhepunkt und Ende des kreativen Schaffens von Intrum in dieser Angelegenheit.
Bis April dieses Jahres dauert das Spiel. Dann konnte Peter Stoller «nicht widerstehen, doch einmal zu antworten». Er schreibt eine E-Mail, in der er Intrum auf die Absurdität der 14-jährigen Serie von Briefen aufmerksam macht. Und siehe da, das Inkassounternehmen stellt die Angelegenheit umgehend ein. So einfach ist das – eigentlich.
Wie begründet Intrum die 14 Jahre anhaltende Mahnungsflut und die anfänglichen Betreibungsandrohungen? Daniela Brunner, Kommunikationsleiterin von Intrum, erklärt, dass jede offene Forderung «mittels eines Scorings qualifiziert wird». Das sogenannte Scoring bei Inkassofirmen berücksichtigt meist die Höhe der Forderung und deren Fälligkeit sowie die früheren und aktuellen Inkasso-Verfahren gegen den jeweiligen Schuldner. Laut Brunner werde aufgrund dieses Scoring-Werts dann entschieden, ob rechtliche Schritte eingeleitet oder lediglich regelmässige Zahlungserinnerungen verschickt werden. «Bei Herrn Stoller haben wir damals entschieden, dass es sich nicht lohnt, rechtliche Schritte einzuleiten. Daher hat er regelmässig von uns Schreiben erhalten.» Das bedeutet wohl, Stoller hätte Mahnungen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag bekommen.
Für Intrum war also schon von Beginn an klar, dass keine rechtlichen Schritte eingeleitet werden. Wieso dann die anfänglichen Betreibungs- und Pfändungsdrohungen? Waren das etwa reine Einschüchterungsversuche?
Daniela Brunner ist es wichtig zu betonen, dass man sich seitens Intrum weiterentwickelt habe. Die Intrum von heute sei ein anderes Unternehmen als 2004. «Wir haben in den letzten Jahren die Art und Weise unserer Kommunikation angepasst.» Man kommuniziere heutzutage fair, transparent und trotzdem konsequent. Was nach einem astreinen Eingeständnis früherer Fehlhandlungen klingt, möchte Intrum selbstverständlich nicht so verstanden wissen.
Für Nicole Müller vom Beobachter-Beratungszentrum ist der Fall klar. «Wir raten Betroffenen, unberechtigte Forderungen eines Inkassobüros einmal schriftlich zu bestreiten und auf weitere Schreiben nicht mehr zu reagieren». Peter Stoller hat inzwischen übrigens ein schlagendes Argument: Selbst wenn die Forderung der UPC zu Recht bestanden hätte, sie wäre seit 2009 verjährt.
Fordert das Inkassobüro einen Verzugsschaden? Beobachter-Mitglieder wehren sich gegen unberechtigte Forderungen mit dem Musterbrief «Bestreitung des Verzugsschadens», der praktisch heruntergeladen und ausgedruckt werden kann.
2 Kommentare
Ich habe am 14.Juni 2019 eine Forderung von anno domini 16.06.1992 erhalten....
Da sind ja 14 Jahre noch gnädig!!!