«Patienten auszuladen wäre eine Frechheit»
Eine private Organisation soll die Qualität und Wirtschaftlichkeit von Arzt- und Spitalleistungen verbessern. Patientenschützer dürften nicht mehr mitreden. Sie sind empört.
Veröffentlicht am 18. Januar 2019 - 09:54 Uhr,
aktualisiert am 17. Januar 2019 - 21:06 Uhr
Beobachter: Frau Hochuli, der Ständerat hat einen Gesetzesentwurf für die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen präsentiert. Mitreden sollen alle, die Kantone, die Ärzteschaft und die Versicherer – nur die Versicherten und ihre Organisationen nicht. Sie sagten im «Landboten», das sei ein Affront. Um Eitelkeiten geht es wohl nicht?
Susanne Hochuli: Natürlich nicht. Aber die grösste Betroffenengruppe, die Patienten und ihre Organisationen, auszuladen, ist absurd und nicht akzeptierbar. Patientenorganisationen
müssen ihr Wissen weitergeben können. Das ist sinnvoll und nötig.
Wieso?
Nur der Versicherte selber weiss, wie er behandelt wurde und ob es ihm danach besser oder im schlimmsten Fall schlechter geht. Bei Patientenorganisationen fliessen diese Erfahrungen zusammen. Auf diese Informationen zugunsten der Qualitätsverbesserung zu verzichten, wäre schlicht fahrlässig. Die Versicherer sollten nicht massgeblich in Qualitätskommissionen vertreten sein, sondern die erbrachten Leistungen
aufgrund von WZW-Kriterien, also Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, überprüfen, was offensichtlich nur mangelhaft gemacht wird. Der Gegenvorschlag des Nationalrats wäre eine «Eidgenössische Qualitätskommission». Dieses Gremium arbeitet zuhanden des Bundesrates Qualitätsmassnahmen aus. Der Bundesrat kann diese Massnahmen in die KLV, also die Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, einfliessen lassen. In der Qualitätskommission wären die Versicherten und ihre Organisationen laut dem Vorschlag des Nationalrats vertreten.
«Auf die Patientensicht zu verzichten wäre fahrlässig.»
Susanne Hochuli, Stiftungsratspräsidentin Schweizerischen Patientenorganisation SPO
Geht es nach dem Ständerat, soll eine private Organisation die Aufsichtsfunktion wahrnehmen. Würde man damit nicht den Bock zum Gärtner machen?
Absolut. Die Gruppierungen, die kontrolliert werden müssen, würden sich selber kontrollieren. Eine Frechheit gegenüber den Versicherten, die notabene das 80 Milliarden Franken teure Gesundheitssystem über Prämien- und Steuergelder finanzieren.
Wieso wehren sich die Ärzte und Spitäler so vehement gegen mehr Kontrolle?
Mehr Kontrolle würde zu nötigen Veränderung führen. Veränderungen machen immer Angst. Aber vor allem geht es ums Geld. Das sieht man schön bei der Umsetzung von Vorschlägen zu mehr Qualität in Spitälern. Der nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken ANQ macht beispielsweise Messungen in einem Spital und liefert dann Empfehlungen, wie dieser oder jener Bereich verbessert werden könnte. Doch die Spitäler lassen oft sehr viel Zeit verstreichen, bis sie etwas ändern. Denn es kostet fast immer Geld, die Missstände zu beheben. Auch wenn übers Ganze gesehen mehr Qualität auch einen positiven Einfluss auf unnötige Kosten hat.
«Veränderungen machen immer Angst, und Missstände zu beheben kostet fast immer Geld.»
Susanne Hochuli, frühere Gesundheitsvorsteherin des Kantons Aargau
Anne Bütikofer, die Direktorin der Ärztevereinigung FMH äusserte sich gegen Sanktionen und Strafmöglichkeiten bei Spitälern. Wie sehen Sie das?
Das ist eine Ohrfeige für alle Versicherten. Und auch für jene Leistungserbringer, die gut arbeiten. Ich halte es mit dem Grundsatz «Aus Konsequenzen lernen», nicht nur bei der Erziehung von Kindern, sondern eben auch bei medizinischen Leistungserbringern.
Der Bundesrat möchte die Ärzte und andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen besser beaufsichtigen. Zu viele Prämiengelder flössen in Behandlungen mit zu kleinem Nutzen, ist er sich sicher. «Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit» lautet der Titel der Vorlage.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Patientenvertreter zusammen mit Kantonen, Ärzten, Krankenkassen und Experten die Qualitätsvorgaben im Gesundheitsmarkt durchsetzen. 2018 beschloss der Nationalrat, dass dazu eine Behörde gegründet werden soll: Die «Eidgenössischen Qualitätskommission». Der Ständerat will dagegen eine private «Gemeinsame Organisation» zur Qualitätshüterin ernennen – bei der die Versicherten und ihre Vertreterorganisationen nicht mit eingebunden wären.
Das Modell, das viele Forderungen des Ärzteverband FMH aufgenommen hat, wird am 18. Januar 2019 in der Ständerätlichen Sozial- und Gesundheitskommission SGK diskutiert. SGK-Chef Joachim Eders sitzt übriges auch in einem FMH-Berater-Gremium.
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