Die Reise der Tomate
Warum sind importierte Früchte und Gemüse bei uns so teuer? Eine Spurensuche zwischen Mailand und Zürich – und bei den Importbestimmungen der Eidgenossenschaft.
Veröffentlicht am 15. Februar 2012 - 10:37 Uhr
«Zwei Euro das Kilo? Viel zu viel. Eins achtzig kannst du haben.» Ohne das Okay des Verkäufers abzuwarten, füllt der Einkäufer im Stehen einen Lieferschein aus – für 100 Kilo Ramati-Tomaten. Draussen ist es stockdunkel, es wird noch ein paar Stunden dauern, bis die Sonne über Mailand aufgeht.
Drinnen, in den Hallen des Engrosmarkts, stehen hinter Frucht- und Gemüsebeigen Männer in dicken Jacken, die Kappen tief über die Ohren gezogen. Ein markiger Spruch da, ein Schulterklopfen dort, eine Einladung auf einen Espresso aus dem Pappbecher.
Jede der vier riesigen Hallen ausserhalb der Industriestadt ist voll von Waren. Auberginen aller Farben und Formen, Kakis, Kiwis, Bananen, Datteln, Salatköpfe, Tomaten in allen Schattierungen. Wäre es nicht so bitterkalt, käme man sich vor wie im Paradies. Oder zumindest wie im Schlaraffenland.
Die Ramati-Tomaten werden 24 Stunden später per Sattelschlepper in den Zürcher Engrosmarkt geliefert. Von dort geht die Ware weiter zu den Detailhändlern. Auf die 1.80 Euro, die das Kilo in Mailand gekostet hat, schlägt der Importeur fünf bis acht Prozent Bereitstellungsgebühr. Dann noch 30 Rappen Transportkosten, zehn Rappen Verzollungsgebühr plus seine Marge von rund 20 Prozent. Macht rund Fr. 3.30 für das Kilo.
Im Sommer wäre es teurer. Denn weil im Winter in der Schweiz keine Tomaten wachsen, ist die Einfuhr zollfrei – abgesehen von der Grundgebühr. Erst im Sommer wird der Import zusätzlich kosten. Der Grund dafür: In der Schweiz besteht seit den fünfziger Jahren ein ausgeklügeltes System zur Regelung des Imports. Damals wurde das Land von einer Ernteschwemme überrollt, davor wollte man die einheimischen Gemüse- und Obstproduzenten schützen.
Deshalb führte man ein dreistufiges Regime ein: Deckt die inländische Produktion die Nachfrage, werden Importe mit sehr hohen Zöllen belegt. Kann der Markt nur teilweise aus dem Inland versorgt werden, bewilligt das Bundesamt für Landwirtschaft für diese Produkte Kontingente. Fehlen bestimmte Produkte (etwa Aprikosen im April) oder werden sie in der Schweiz gar nicht angebaut (Zitrusfrüchte), sind die Grenzen offen und die Zölle niedrig. Sollte die Schweiz mit der EU ein Zollfreiabkommen für Lebensmittel abschliessen, werden diese Vorschriften hinfällig.
Doch so weit ist die Schweiz nicht – und die Konsumenten zahlen im Laden dafür die Zeche. Aus den 1.80 Euro, die der Importeur in Mailand für das Kilo Ramati-Tomaten zahlt, werden so Fr. 3.30, auf die der Detailhändler nochmals rund 40 Prozent draufschlägt, einzelne auch deutlich mehr. Damit kostet das Kilo mindestens Fr. 4.60 – mehr als doppelt so viel wie beim Einkauf.
Eine andere Preispolitik verfolgen Discounter wie Aldi und Lidl: Sie kaufen sehr grosse Mengen ein, können deshalb einen besseren Preis aushandeln und verrechnen eine deutlich tiefere Marge. Letzten Frühling appellierte deshalb der Verband schweizerischer Gemüseproduzenten, die Konsumenten mögen doch auf die Schnäppchenjagd bei Günstiganbietern verzichten. Es blieb ein frommer Wunsch.
Die Gemüse- und Obstbauern bekommen nur rund 30 Prozent des Verkaufspreises. Ebenso viel bekommen Lagerhalter und Zwischenhändler zusammen. Am meisten kassiert der Detailhandel mit seinen restlichen 40 Prozent des Verkaufspreises. Bei Importgütern ist der Anteil der Produzenten am Verkaufspreis noch kleiner. Er liegt dann sehr deutlich unter 30 Prozent.
Insgesamt werden pro Jahr rund 390'000 Tonnen Gemüse in der Schweiz produziert. Hinzu kommen rund 300'000 Tonnen aus dem Ausland – im Wert von 560 Millionen Franken. Drei Viertel der Ware stammen aus der EU. Bei Früchten ist das Verhältnis von Import und Eigenanbau umgekehrt: 60 Prozent kommen aus dem Ausland, 40 aus dem Inland, wobei die Zahlen saisonal stark schwanken. Im Winter ist der Importanteil höher, vor allem wegen Gütern aus den Tropen.
Was in der Schweiz gerade wächst, erfassen die zentralen Meldestellen der Kantone – die Produzenten melden ihnen jeweils, wie viel bei ihnen aktuell zur Ernte bereitsteht. Diese Meldungen werden bei der Schweizerischen Zentralstelle für Gemüsebau und Spezialkulturen zusammengefasst. Sie überprüft «mittels Plausibilitätskontrollen», ob die Meldungen den Tatsachen entsprechen.
Importeure werfen Schweizer Produzenten immer wieder vor, sie manipulierten mit Falschmeldungen das System und hätten so ein Mittel in der Hand, um sich vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Ein unhaltbarer Vorwurf, findet Thomas Wieland, Geschäftsführer der Zentralstelle: «Die Grenzen können nicht geschlossen werden, das funktioniert nicht. Zum einen wissen die kantonalen Meldestellen sehr genau Bescheid über die einzelnen Produzenten, zum anderen hat das wirtschaftlich schwierige Umfeld Produzenten, Händler und den Detailhandel zusammengeschweisst. Wer heute langfristig bestehen will, leistet sich keine Mogeleien.»
Nicht alles wird von der Einfuhrregelung erfasst. Sorten und Kreuzungen, die zum Entstehungszeitpunkt der Importregelungen in der Schweiz unbekannt waren, wurden nicht nachträglich in die Liste aufgenommen. Das führt zu absurden Zuständen. Der Romanesco-Blumenkohl etwa ist zollfrei geblieben, weil er damals in der Schweiz nicht angebaut wurde.
Andere Neuzüchtungen wiederum werden der biologischen Sorte zugeschlagen – Datterino-Tomaten etwa den Cherrytomaten. Deshalb kosten sie während der Schweizer Tomatensaison Fr. 6.50 Zoll pro Kilo – obwohl sie hier gar nicht angebaut werden, es also keine Produzenten zu schützen gibt. Gleiches gilt für die italienische Abate-Birne: Sie gehört zur Oberkategorie «Birne», bei der Fr. 1.20 Zoll pro Kilo anfallen. Das macht sie für Konsumenten fast doppelt so teuer wie hiesige Birnen – obwohl sie in Mailand gleich teuer ist wie irgendeine andere Birne.