Fälschen im grossen Stil
Die jüngsten Lebensmittelskandale zeigen: Es sind keineswegs einzelne Produzenten oder Händler, die mit Waren Schindluder treiben, die Konsumenten arglistig täuschen und abzocken. Vielmehr handelt es sich um organisierte Kriminalität.
Veröffentlicht am 15. April 2013 - 09:04 Uhr
13'000 Flaschen minderwertiges, gepanschtes Olivenöl, 30 Tonnen gefälschte Tomatensauce, 77'000 Kilogramm künstlicher Käse, 12'000 Flaschen gepanschter Wein sowie fünf Tonnen minderwertiger Fisch und Meeresfrüchte – all dies fiel der Operation Opson, einer gemeinsamen Einsatztruppe von Europol und Interpol, 2011 bei Kontrollen in die Hände. In einer einzigen Woche. Letzten Dezember beschlagnahmte Opson 385'000 Liter verschnittene Flüssigkeiten wie Wodka, Wein, Sojasauce und Orangensaft. Hinzu kamen Fleisch, Fisch und Krustentiere, die nicht mehr für den Verzehr geeignet waren, sowie gefälschte Schokoriegel und Würzmittel.
Nie war es im Lebensmittelbereich so einfach, zu betrügen, zu panschen, zu verfälschen, wie heute. Immer mehr Zwischenhändler, ein immer höherer Verarbeitungsgrad der Produkte, unzählige Zulieferer für ein einziges Endprodukt, immer schnellere Wege in einer globalisierten Welt und immer mehr Menschen, die sich ausschliesslich von Fertigprodukten ernähren, leisten dem Beschiss am Esser Vorschub. Mitunter gar mit schwersten gesundheitlichen Folgen für die Konsumenten: 2008 mussten in China sechs Kinder sterben, 294'000 erkrankten teils schwer, weil ein Muttermilchersatz mit der Chemikalie Melamin versetzt worden war.
Dass Betrügereien im Lebensmittelbereich massiv zunehmen, zeigt die Food Fraud Database der US-amerikanischen Organisation Pharmacopeial Convention. Diese Datenbank erfasst alle seit 1980 in englischer Sprache publizierten Betrugsfälle in der Lebensmittelindustrie. Allein in den Jahren 2011 und 2012 mussten 800 neue Fälle eingespeist werden. Das entspricht einer Zunahme des gesamten ursprünglichen Datenbestands um 60 Prozent.
Zu den Spitzenreitern unter den gepanschten Lebensmitteln gehören ausgerechnet Olivenöl, Milch, Honig, Safran, Orangensaft, Kaffee, Apfelsaft, Tee, Fisch, schwarzer Pfeffer, also noch nicht einmal Produkte, die aus mehreren Zutaten bestehen, sondern Waren, die eigentlich «naturrein» sein sollten.
Die Panscher lassen sich einiges einfallen: Safran wird gern gestreckt mit Glyzerin, Sandelholzpulver, dem unter Allergieverdacht stehenden Farbstoff Tartrazin (E 102), Borax, der unter anderem Reinigungsmitteln und Insektiziden beigesetzt wird, oder auch mit Bariumsulfat, das normalerweise als Röntgenkontrastmittel Verwendung findet. Statt Teeblättern enthalten gefälschte Teebeutel gefärbtes Sägemehl, und schwarzen Pfeffer ersetzen findige Betrüger durch Papayasamen oder gefärbte Gerste.
Im besonders grossen Stil gepanscht wird in der Volksrepublik China. In der Hauptstadt Peking kümmert sich deshalb ein spezialisiertes Polizeiteam ausschliesslich um die Verfolgung und Aufklärung derartiger Delikte. Allein im ersten Halbjahr 2011 deckte diese Einheit über 1000 Betrugsfälle auf. Viele der Panschereien waren schwer gesundheitsgefährdend, etwa die Fütterung von Mastschweinen mit dem Dopingmittel Clenbuterol, einem Fettverbrenner, der verhindern sollte, dass die Tiere Fett statt Muskelmasse ansetzten.
Doch wer sich in Sicherheit wiegt – China ist schliesslich weit weg –, irrt. Immer wieder gelangen verfälschte Lebensmittel aus Asien in der Schweiz in Umlauf. Anfang 2002 verhängte das Bundesamt für Veterinärwesen ein Importverbot für chinesisches Pouletfleisch, weil die Importware mit unerlaubten Antibiotika verseucht war. Im Jahr 2008 wurden in der Schweiz, wenn auch nur in geringen Mengen, melaminverseuchte Milchpulverprodukte entdeckt. 2011 wurde bei Kontrollen festgestellt, dass rund ein Drittel der Proben von Thaigemüse teils weit über dem Grenzwert mit Pestiziden belastet war.
Schindluder mit Lebensmitteln wird aber auch hierzulande getrieben. Kürzlich fanden Berner Lebensmittelkontrolleure bei einer Inspektion rund zwei Tonnen tiefgekühlten Fisch und Meeresfrüchte, deren Haltbarkeitsdatum seit über zehn Jahren abgelaufen war. Versteckt hatte man den Gammelfisch unter regulärer Ware.