Das Lärmen der Lerchen
Beobachter-Kolumnistin Lisa Christ wundert sich über Frühaufsteher und andere schräge Vögel.
Veröffentlicht am 19. April 2024 - 15:36 Uhr
Kürzlich wurde ich wieder einmal vom lieblichen Röhren eines Laubbläsers aus meinen Träumen gerissen. Hach ja, die im Frühling aufkeimende Vorliebe jeglicher Schweizer Hausmeister, lärmige Angelegenheiten morgens zu verrichten.
Abgesehen davon, dass die paar wenigen Laubgewächse, die in unserem Innenhof stehen, im Frühling viel zu wenig Laub abwerfen, als dass der Einsatz eines solchen Geräts gerechtfertigt wäre, leuchtet mir nicht ein, warum man solche Arbeiten nicht am Nachmittag macht, wenn die meisten Menschen wach sind – oder bereits wieder müde. Zum Überwinden des Nachmittagstiefs eignet sich so eine frische Brise mit gehörig Bass hervorragend.
Alles immer um acht Uhr morgens
Aber nein – egal ob Bohrarbeiten, Hämmereien, Bauarbeiten an der Fassade oder eben Gartenputzaktionen mit dem Laubbläser, alles muss Punkt acht Uhr erledigt werden.
Nachteulen wie ich haben da einfach nichts zu melden. Dabei soll es mehr Eulen (Nachtmenschen) als Lerchen (Frühaufsteherinnen) geben.
«Ich bin kein Vogel und fresse auch keine Würmer.»
Lisa Christ
Es stellt sich die Frage, warum die Welt dennoch auf Lerchen ausgerichtet ist. Ich nehme an, weil sie lauter sind.
Dass es Menschen gibt, die gern um fünf Uhr aufstehen, weiss ich nur, weil sie es mir jeweils unter die Nase reiben, sobald sie erfahren, dass ich ihr Schicksal nicht teile. «Was, du schläfst bis zehn?! Also ich stehe jeden Tag um fünf auf!» Ja, wow, danke für die Info, aber dafür kriegst du von mir keinen Applaus.
Maden im Smoothie
Die unter dem Kapitalismus glorifizierte Schlaflosigkeit der Hustle-Culture ist für mich kein Anlass zum Feiern. Wie konnte sich diese ganze «Der frühe Vogel fängt den Wurm»-Geschichte überhaupt durchsetzen? Ich bin kein Vogel und fresse auch keine Würmer.
Wenn überhaupt, dann bin ich eine Eule. Und die frisst primär Mäuse. Dass sich Lerchen künftig von der Lebensmittelindustrie gezüchtete Maden in den Frühstücks-Protein-Smoothie mixen, halte ich allerdings für gar nicht mal so abwegig.
Vor zehn nicht ansprechbar
Meine gesamte Kindheit und Jugend über musste ich mich jeden Morgen allzu früh aus dem Bett quälen, entgegen meiner inneren Uhr. Dass ich vor zehn Uhr weder aufnahmefähig noch ansprechbar war, hat sich bis heute nicht geändert. Man gewöhnt sich eben nicht an alles.
Aber an die blöden Sprüche und Vorurteile schon. Und lernt irgendwann, sie abprallen zu lassen. Mittlerweile lasse ich mir meinen hart erkämpften Alltag mit genügend Schlaf von keinem Vogel mehr madigmachen. Eigentlich ist das Einzige, was mir jetzt noch in die Quere kommen kann, ein Laubbläser.