Es war ein Knall, als Forscherinnen der Universität Zürich im September 2023 die erschreckenden Resultate ihrer Pilotstudie über sexuelle Missbräuche in der katholischen Kirche präsentierten: über 1000 Fälle, ein Grossteil davon minderjährige Opfer.

Missbrauch bei der Kirche: Worum geht es?

Die Bischofskonferenz, die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (kantonale Kirchen) und die Ordensgesellschaften versprachen bereits damals: Massnahmen – um künftig Missbräuche zu verhindern. 

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Überblick: Was sind die Massnahmen – und wo steht die Kirche?

Acht Monate später zeigt sich: Die Kirche ist noch nicht viel weiter, wie ein Auftritt der Kirchenverantwortlichen vor den Medien Ende Mai zeigt.

1. Ein Kirchengericht für die Schweiz

Im vergangenen Herbst kündigte Bischof Joseph Bonnemain an, bis Ende 2024 in der Schweiz ein kirchliches Strafgericht einzuführen.

Dieses Gericht sollte – ergänzend zum weltlichen Gericht – beispielsweise gegen einen fehlbaren Priester ein Berufsverbot verhängen oder ihn ganz aus dem Klerikerstand entheben können.

Das Problem: Heute liegt die oberste Gewalt in jedem Bistum beim Bischof, eine Gewaltenteilung gibt es nicht. 

Stand der Dinge: Die Einführung eines kirchlichen Strafgerichts bis Ende 2024 scheint unwahrscheinlich. Zurzeit ist unklar, welche Kriterien Richterinnen und Richter sowie weitere Fachpersonen dereinst erfüllen müssen, wie dieses Gericht finanziert wird und wo der Sitz wäre.

Darüber muss sich die Bischofskonferenz mit den kantonalen Kirchen und der Gemeinschaft der Orden einigen. Zudem muss Rom dieses Strafgericht absegnen. Jetzt will Bischof Bonnemain bis im Herbst einen «Konzeptentwurf» vorlegen.

2. Unabhängige Anlaufstellen für Missbrauchsopfer

Im Herbst kündigte die katholische Kirche «unabhängige Meldestellen» für Missbrauchsopfer der Kirche an. Jetzt schlagen die Kirchenverantwortlichen vor, Opferberatung, Meldestellen und Fallbearbeitung/Intervention zu entflechten – weil die internen Melde- und Interventionsstrukturen «unzureichend» seien.

«Aus fachlicher Sicht sind Opferberatung und Meldestrukturen organisatorisch und personell klar voneinander zu trennen», heisst es in einem Zwischenbericht der katholischen Kirche.

Stand der Dinge: Geplant ist, die Beratung der Betroffenen den kantonalen Opferberatungsstellen zu übertragen. Die Kooperation mit den Opferhilfestellen und die kirchlichen Koordinationsstellen sollen im Januar 2025 eingeführt werden.

Offen ist, wie sich die katholische Kirche finanziell an den Opferberatungsstellen beteiligen wird.

Hier geht es zur Beobachter-Hilfe für Betroffene

3. Assessments für künftige Priester

Mit der Pilotstudie kündigten die Kirchenverantwortlichen eine Professionalisierung des Personalwesens an. Bereits heute gibt es im Rahmen der Priesterausbildung psychologische Abklärungsgespräche.

Allerdings sind diese schweizweit nicht einheitlich geregelt. Und kirchliche Mitarbeitende, die in sensiblen Bereichen arbeiten, werden nicht überprüft.

Stand der Dinge: Jetzt will die katholische Kirche ihre Mitarbeitenden mit «schweizweit einheitlichen Assessments» auf ihre Eignung für den pastoralen Dienst hin prüfen. Mit solchen Assessments für neu einzustellende Personen soll 2025 gestartet werden.

Unklar ist, wer diese Gespräche führen wird. Unklar ist auch, was mit Personen passiert, bei denen bei den Abklärungen «Entwicklungsbedarf» oder «Risiken» erkannt werden.

4. Professionalisierung der Personaldossiers

Die Pilotstudie der Uni Zürich zeigte, dass die Kirche jahrzehntelang in vielen Fällen geradezu grobfahrlässig mit Sexualstraftätern umgegangen ist.

Jetzt konstatiert die Kirchenführung selbstkritisch, das sei auch Ausdruck «einer teils mangelhaften Professionalisierung» des Personalwesens.

Stand der Dinge: Inzwischen wurde der Personalvermittler Rundstedt für eine erste Analyse beigezogen. Bis zum Dezember 2024 sollen Standards zur Führung von Personaldossiers, zum Informationsaustausch und zur Archivierung ausgearbeitet werden. Die Einführung ist für Anfang 2025 geplant.

Unklar ist, wie diese einheitlichen Standards verbindlich geregelt werden sollen. Die Bistümer, die Römisch-Katholische Zentralkonferenz sowie die Ordensgemeinschaften geniessen innerhalb der Kirche grosse Autonomie. 

5. Aktenvernichtung

Die Uni Zürich kam zum Schluss, dass bisher teilweise systematisch Akten über Missbräuche vernichtet wurden. Jetzt sollen alle kirchlichen Verantwortlichen an der Spitze von Bistümern, Landeskirchen und Ordensgemeinschaften eine «Selbstverpflichtung» unterzeichnen – dass sie keine Akten mehr vernichten.

Stand der Dinge: Das Problem: Während die Bischöfe diese «Selbstverpflichtung» bereits unterzeichnet haben, ist bis heute nicht bekannt, welche Ordensgemeinschaften diese Selbstverpflichtung unterzeichnet haben. Und welche nicht. Die kantonalen Kirchen haben diese Selbstverpflichtung – bis auf eine – unterzeichnet.

Der Churer Bischof Bonnemain ist innerhalb der Bischofskonferenz verantwortlich für das Thema. Er sagt: «Die Zusammenarbeit der kirchlichen Organisationen erfordert viel Absprache, ist aber der einzige Weg, um dem Missbrauch konsequent entgegenzutreten.»

Aufruf

Sind Sie von sexuellem Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche betroffen?

Das laufende historische Forschungsprojekt der Uni Zürich sucht Betroffene, die über ihre Erlebnisse berichten:
forschung-missbrauch@hist.uzh.ch