Ein Fuss im Wasser
Michel Huissoud, ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, beobachtet Politik und Verwaltung kritisch weiter. Diesmal ärgert er sich über fehlende Zugänge zu Seen.
Veröffentlicht am 26. Januar 2024 - 18:06 Uhr
Im Zuge der immer häufigeren und längeren Trockenperioden wird die Schweiz von ihren Nachbarn zunehmend unter Druck gesetzt. Die wollen Mindestwassermengen etwa für die Kühlung der französischen Atomkraftwerke, die Binnenschifffahrt auf dem Rhein und die Bewässerung der italienischen Landwirtschaft. Das ist der Beginn dessen, was manche vor Jahren als Krieg ums Wasser prognostizierten. Aber droht der Schweiz noch eine andere Gefahr: ein Krieg um die Gewässer?
In der Sommerhitze strömen die Menschen zu den Seen und Flüssen. Das Problem: Die Ufer sind mehrheitlich in Privatbesitz. Die Schweiz hat das Privileg, immer mehr wohlhabende Menschen anzuziehen, und diese Leute lieben es, sich direkt am Wasser niederzulassen.
Wem gehören die Seen?
Doch wem gehören eigentlich die Seen im Land? Das Schweizer Zivilgesetzbuch ist eindeutig: Öffentliche Gewässer fallen nicht in den Privatbereich. Jeder kann also entlang der Ufer paddeln oder schwimmen, an Strände gehen und von dort die Privateigentümer bestaunen.
Die Trennlinie, die ein Grundstück vom See abgrenzt, wird nicht von allen Kantonen gleich definiert. Faustregel: Solange man sich auf einem mit Wasser bedeckten Grund oder einem Strand befindet, ist man nicht auf Privatbesitz. Und eine gute Nachricht: Wenn die Trockenheit den Seespiegel senkt, gehört die frei gewordene Fläche ebenfalls zum öffentlichen Grund.
Es gibt auch juristische Schritte; im Jahr 2009 gegen Michael Schumacher am Genfersee, aktuell gegen Roger Federer in Rapperswil.
Die Herausforderung besteht jedoch darin, wie man diese öffentlichen Räume zu Fuss erreichen kann. Auch auf diese Frage liefert das Gesetz eine Antwort: Die Landschaft ist zu schonen – «insbesondere sollen See- und Flussufer frei gehalten und öffentlicher Zugang und Begehung erleichtert werden».
Viele Behörden bleiben untätig
Es wäre Aufgabe der Kantone und Gemeinden, diesen Grundsatz des Raumplanungsgesetzes zu konkretisieren. In der Praxis wehren sich die Eigentümer und ihre Anwältinnen, errichten Zäune und gestalten die Ufer um. Viele Behörden bleiben untätig.
Das provoziert politische Reaktionen. Im Kanton Zürich wird die Bevölkerung am 3. März 2024 über eine Initiative abstimmen, die dem Kanton die Aufgabe für den Bau eines Uferwegs am Zürichsee überträgt.
Der See gehört allen
Und es gibt auch juristische Schritte; im Jahr 2009 gegen Michael Schumacher am Genfersee, aktuell gegen Roger Federer in Rapperswil. Ausgang? Ungewiss. Denn das Bundesgericht ist der Ansicht, dass nur Nachbarinnen und Nachbarn ein Bauprojekt am Ufer anfechten können. Dabei wird vergessen, dass der See ein Gemeingut ist und in diesem Sinne die gesamte Bevölkerung Nachbar der betroffenen Parzelle ist. Jede und jeder sollte also beschwerdeberechtigt sein.
In der Zwischenzeit bleibt der Bevölkerung also nichts anderes übrig, als Ufer, Strände, Stege und Häfen friedlich zu besetzen. Vor allem, wenn die Fensterläden geschlossen sind. Das dürfte häufiger der Fall sein, weilen die Eigentümer und Eigentümerinnen dann ja vermutlich gerade in einer ihrer anderen Immobilien mit Seezugang – irgendwo auf dieser Welt.