Selenski in der Schweiz, Mieterschutz und gefährliche Atemgeräte
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Der Nachrichtenüberblick des Beobachters.
Veröffentlicht am 19. Januar 2024 - 12:38 Uhr
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein.
Diesmal:
- Selenski besucht die Schweiz: Was die Ukraine will und was sie bekommt
- Mieterschutz: Vermieterfreundliche neue Gesetze kommen vors Volk
- Gefährliche Atemgeräte: Hersteller wusste seit Jahren von Problemen
- Altersvorsorge: Der Abstimmungskampf hat begonnen
Aber zuerst:
Das Zitat der Woche
Seit dem 1. Januar gilt im Kanton Zürich das neue Taxigesetz. Alle Taxifahrerinnen und Taxifahrer müssen jetzt nachweisen, dass sie die deutsche Sprache auf B1-Niveau sprechen. 1500 Fahrer erfüllen diese Anforderungen nicht und verlieren ihre Zulassung. Dazu sagte George Botonakis, Präsident des Zürcher Taxiverbands, in einem Interview mit der «NZZ»:
«Die Leute sind selber schuld, wenn sie nun am Hungertuch nagen.»
Die Änderung sei zu erwarten gewesen, man habe die Taxifahrer längst über die Änderungen informiert. Sie hätten Zeit gehabt, sich weiterzubilden und Deutsch zu lernen, findet Botonakis. Doch selbst Schweizer mit Muttersprache Deutsch stellt die neue Regel vor bürokratische und finanzielle Hürden. Der Taxifahrer Walter Müller musste 100 Franken zahlen, um eine Bestätigung seiner alten Schule aus dem Archiv zu holen. Ein anderer Fahrer mit Muttersprache «Bärndüütsch» musste zum eineinhalbstündigen Sprachtest antreten. Kostenpunkt: 250 Franken.
Wirklich wichtig war diese Woche:
Selenski besucht die Schweiz: Was die Ukraine will und was sie bekomm
Darum geht es: Der ukrainische Präsident hat zum ersten Mal seit Kriegsausbruch die Schweiz besucht. Am Montag traf er im Bundeshaus hochrangige Politikerinnen. Am Dienstag hielt er eine Rede am Weltwirtschaftsforum in Davos. Nach dem Treffen mit Bundespräsidentin Viola Amherd gab diese bekannt, dass die Schweiz eine internationale Friedenskonferenz ausrichten wolle.
Darum ist es wichtig: Die Schweiz wurde international immer wieder scharf kritisiert, weil sie der Ukraine keine Waffen und keine – dringend benötigte – Munition liefert. Bei Kriegsausbruch trug sie zudem erst nach enormem internationalen Druck die Sanktionen gegen Russland voll mit. Ein Argument für diesen Kurs war, dass man sich auf diplomatischem Weg für den Frieden einsetzen und darum auch den Draht zu Russland nicht kappen wolle. Jetzt könnte sich die mehr oder weniger neutrale Schweiz tatsächlich als nützliche Vermittlerin erweisen.
Das sagt der Beobachter dazu: Die Schweiz richtet eine Friedenskonferenz aus, an der eine Kriegspartei nicht dabei sein will. Und sie unterstützt im Grundsatz die Bedingungen, die die andere Seite für Frieden stellt. Nicht gerade ideale Voraussetzungen, um viel auszurichten. So die zynische Sicht. Aber immerhin: Die Schweiz setzt endlich selber ein Zeichen – und jeder Krieg endet irgendwann am Verhandlungstisch.
⇒ Jetzt lesen: Wie endet der Ukrainekrieg?
Mieterschutz: Vermieterfreundliche neue Gesetze kommen vors Volk
Darum gehts: Am Dienstag hat eine Allianz um den Mieterinnen- und Mieterverband (MV) die Unterschriften für ein Doppelreferendum eingereicht. In der Herbstsession nahm das Parlament zwei Gesetzesvorlagen im Mietrecht an. Diese schwächen die Stellung der Mieterinnen und begünstigen die Eigentümerschaft. Konkret soll die Anmeldung des Eigenbedarfs einfacher werden, die Untervermietung erschwert.
Darum ist es wichtig: Die geplante Gesetzesänderung stösst auf grossen Widerstand. Je Referendum wurden rund 76’000 Unterschriften eingereicht. Nötig wären 50’000. MV-Präsident Carlo Sommaruga sagt: «Viele Menschen sind besorgt über die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Sie sagen klar Stopp dazu, dass man sie künftig einfacher aus ihrer Wohnung rauswerfen kann.»
Das sagt der Beobachter dazu: Worum geht es bei der Gesetzesrevision genau? Was sagt das Referendumskomitee? Was sagen die Gegner? Wir haben die wichtigsten Fragen für Sie beantwortet.
⇒ Jetzt lesen: Allianz will Mieterinnen und Mieter schützen
Gefährliche Atemgeräte: Hersteller wusste seit Jahren von Problemen
Darum gehts: Mehrere Zehntausend Menschen in der Schweiz leiden unter Schlafapnoe und verwenden Beatmungsgeräte von Philips. Im Sommer 2021 wurde bekannt, dass diese Geräte schwerwiegende Probleme aufwiesen, darunter der Zerfall des lärmdämpfenden Schaumstoffs und die Freisetzung potenziell gesundheitsgefährdender Chemikalien. Recherchen des Beobachters zeigen nun, dass Philips bereits Jahre vor dem Rückruf von diesen Problemen wusste. Philips verneint das.
Darum ist das wichtig: Es gab Verzögerungen bei der Rückrufaktion, mangelnde Kooperation seitens des Herstellers Philips und sogar Berichte über Todesfälle, die mit den Problemen der Beatmungsgeräte in Verbindung stehen könnten. Die Angelegenheit hat juristische Konsequenzen. Aktuell läuft ein Strafverfahren gegen Philips.
Das sagt der Beobachter dazu: Die mangelnde Reaktion von Philips auf die Probleme und die unzureichende Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden könnte gravierende Folgen für die Patienten haben. Aufgrund der fehlerhaften Geräte waren sie während Jahren potenziell giftigen Stoffen ausgesetzt.
⇒ Jetzt lesen: Gift aus dem Beatmungsgerät
Altersvorsorge: Der Abstimmungskampf hat begonnen
Darum gehts: In sechs Wochen steht die Abstimmung über eine Initiative an, die die Altersvorsorge deutlich aufstocken will. Bei einem Ja bekämen alle derzeitigen und künftigen Rentner eine 13. Monatsrente – also rund acht Prozent mehr AHV-Rente pro Jahr. Diese Woche haben sowohl Befürworter als auch Gegnerinnen ihre Argumente präsentiert. Und in einer ersten repräsentativen Umfrage sprachen sich ganze 71 Prozent der Befragten dafür aus.
Darum ist das wichtig: Für die Gewerkschaften, die die Initiative lanciert haben, wäre ein Ja ein historischer Coup. Bis jetzt scheiterten alle ihre Versuche, per Volksabstimmung den Sozialstaat auszubauen. Zuletzt 2016, als sich 59 Prozent gegen eine Erhöhung der AHV um zehn Prozent aussprachen. Die Befürworter sagen, die Erhöhung sei dringend nötig, um die Altersarmut zu bekämpfen. Die Gegner sagen, die AHV sei jetzt schon wackelig finanziert, was unfair gegenüber den Jungen sei.
Das sagt der Beobachter dazu: Weder droht bei einem Nein massenhafte Altersarmut, noch bricht bei einem Ja die Wirtschaft zusammen. Bedeutender ist eigentlich die gleichzeitige Abstimmung über eine Erhöhung des Rentenalters – das wäre ein grosser Reformschritt, um die AHV nachhaltiger und fairer zu finanzieren. Und in diesem Zusammenhang erscheint auch die 13. AHV-Rente in einem anderen Licht: Sie würde die Erhöhung des Rentenalters etwas ausgleichen.
⇒ Jetzt lesen: Der grösste Brocken geht an die soziale Wohlfahrt
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Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Oliver Fuchs, Antonella Nagel, Matthias Pflume, Sarah Serafini und Dominique Strebel.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.
3 Kommentare
Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock: Wie hält es die Ukraine mit der Demokratie?
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