Das Schönste am Winter ist der Moment, wenn ich die Daunenjacke aus dem Schrank hole und in der Tasche eine Zwanzigernote finde. Oder wie wir freischaffenden Künstlerinnen und Künstler es nennen: dreizehnter Monatslohn.

Der Rest ist weniger erfreulich. Von allen Jahreszeiten ist der Winter definitiv die mühsamste; die Tage sind zu kurz, zu kalt und zu dunkel. Die wenigen Sonnenstunden, die uns bleiben, verbringen wir in schlecht belüfteten Innenräumen und stecken uns dort mit exotischen Krankheitserregern an; Bakterien und Viren, die aus genau den warmen Ländern stammen, in denen man die Adventszeit viel lieber verbringen würde.

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«Die immer länger werdende Weihnachtszeit ­verstösst klar gegen internationales ­Völkerrecht.»

Einziger Lichtblick ist der Wintersport. Er bietet eine kurze Auszeit von Tristesse und Dunkelheit. Und wem Skifahren zu teuer ist, der kann sich seinen Beinbruch auch bequem zu Hause vor dem Briefkasten holen. Mit dem so gesparten Geld darf man sich dann auch eine halbe Stunde auf dem Weihnachtsmarkt gönnen.

Ohne Feiertage und Weihnachtsmärkte wäre der Winter beinahe aushaltbar. Doch leider verbringen wir zwei der drei Wintermonate mit Weihnachten, der Vorbereitung auf Weihnachten oder den Nachwehen von Weihnachten. Und jedes Jahr beginnt das Spiel früher. Die immer länger werdende Weihnachtszeit ist eine Zumutung fürs Nervenkleid und verstösst mit ihrer aggressiven Expansionspolitik klar gegen internationales Völkerrecht.

Die Zeit der Torschlusspanik

Und als wäre die Adventszeit nicht schon stressig genug, verfallen zwei Wochen vor Weihnachten auch noch alle in Torschlusspanik. Alles, was im bisherigen Jahr aufgeschoben oder ignoriert wurde, muss jetzt sofort angepackt werden. Dann prasseln im Minutentakt Mails ein mit Bitten: «Kannst du noch schnell ...», «Würdest du noch ...», «Deine Oma würde sich freuen ...». Nach der Altjahrswoche sind dann alle so frustriert und gebeutelt, dass wir unser Leben grundsätzlich überdenken müssen; der wahre Grund für all die Neujahrsvorsätze.

Bald nur noch eine Jahreszeit statt vier

Wer es sich leisten kann, fliegt deshalb vorzeitig in den Süden und entkommt so der Kälte und der eigenen Familie. Sommer im Dezember? Mit dem nötigen Kleingeld lassen sich Jahreszeiten auch zu anderen Jahreszeiten geniessen. Und im Schatten eines Jojobastrauchs lässt sich die Flugscham wunderbar schöntrinken.

Doch zum Glück sind die Tage des Winters gezählt. Dank dem Klimawandel unterscheiden sich die Jahreszeiten immer weniger. Schnee, Hagel und Hitzewelle treten neu nicht nur in jeder Jahreszeit auf – sie tun es oft sogar am selben Tag. Statt Frühling, Sommer, Herbst und Winter haben wir bald nur noch eine einzige, heiss-matschige Jahreszeit: den Schwerbstling.

Zur Person
Patrick «Karpi» Karpiczenko