Mehr Mittel gegen Menschenhandel: Ständerat sagt Nein
Der Nationalrat hat 2020 mehr Mittel gefordert, um den Menschenhandel in der Schweiz zu bekämpfen. Jetzt macht der Ständerat ihm einen Strich durch die Rechnung.
Veröffentlicht am 11. September 2024 - 17:01 Uhr
Nannys, die für 300 Franken Lohn pro Monat schuften müssen und geschlagen werden. Frauen, die unter falschem Vorwand in die Schweiz gelockt und hier zu Sexarbeit gezwungen werden. Hausangestellte, die für Tiefstlöhne und ohne Arbeitssicherheit rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen. Menschenhandel ist moderne Sklaverei.
So sieht es auch das Gesetz: Wer in der Schweiz andere zum «Zwecke der Ausbeutung» anwirbt, vermittelt oder beherbergt, wird nach Artikel 182 des Schweizerischen Strafgesetzbuches zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt.
In der Praxis gibt es pro Jahr nur rund zehn Verurteilungen.
Zumindest in der Theorie. Praktisch werden nur wenige bestraft – jährlich gibt es bloss rund zehn Verurteilungen. Auf der anderen Seite stehen jedes Jahr mehrere Hundert Opfer, die von der Schweizer Plattform gegen Menschenhandel, Plateforme Traite, ermittelt werden können. Die Dunkelziffer ist hoch, denn verlässliche Zahlen gibt es nicht.
«Die Schweiz ist ein beliebtes Ziel- und Transitland.»
Marianne Streiff-Feller, ehemalige EVP-Nationalrätin
Der Nationalrat entschied im Dezember 2020, dass der Bund mehr Mittel für die Bekämpfung von Menschenhandel und für den Schutz der Opfer bereitstellen soll.
Die Schweiz sei ein beliebtes «Ziel- und Transitland», begründete die ehemalige EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller ihre Motion.
Ständerat sieht keinen weiteren Handlungsbedarf
Seither sind fast vier Jahre vergangen. In der Zwischenzeit wurde ein neuer Nationaler Aktionsplan gegen Menschenhandel für die Jahre 2023 bis 2027 verabschiedet. Deshalb sieht der Ständerat nun keinen weiteren Handlungsbedarf mehr. Er versenkte den Antrag, den auch der Bundesrat ablehnte, diese Woche einstimmig.
Bundesrat: Bekämpfung ist Aufgabe der Kantone
SP-Justizminister Beat Jans betonte in der kurzen Debatte, dass die Kantone für die Strafverfolgung zuständig seien. Beim polizeilichen Informationsaustausch mit dem Ausland leiste der Bund Unterstützung, und mit dem neuen Aktionsplan habe das Bundesamt für Polizei zudem 200’000 Franken mehr pro Jahr zur Verfügung, um Organisationen und Projekte zu unterstützen.
«Menschenhandel kennt keine Kantonsgrenzen.»
Platforme Traite gegen Menschenhandel
Der Plateforme Traite reicht das nicht. Der Bund entziehe sich mit seinem Vorgehen der Verantwortung. Menschenhandel kenne keine Kantonsgrenzen. «Die Ressourcen sind von Kanton zu Kanton äusserst unterschiedlich», schreibt die Organisation.
In manchen Kantonen gebe es bei den Strafverfolgungsbehörden wenig Bewusstsein für die Problematik. So bewege sich die Anzahl Verurteilungen im Verhältnis zu den identifizierten Opfern trotz des Nationalen Aktionsplans im einstelligen Prozentbereich.
«Dies widerspiegelt sehr deutlich, dass nicht genügend Ressourcen für die Bekämpfung von Menschenhandel verfügbar gemacht werden.»
Fachgruppe sieht grossen Handlungsbedarf in der Schweiz
Mit dieser Einschätzung ist die Organisation nicht alleine. Noch im Juni hatte eine Gruppe von Fachleuten des Europarats (Greta) beim Schutz der Opfer von Menschenhandel in der Schweiz grossen Handlungsbedarf festgestellt.
Greta überprüft alle vier Jahre die Umsetzung des für die Schweiz bindenden europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung von Menschenhandel.