Schweiz verletzte das Recht auf Familienleben
Ein aus Bosnien-Herzegowina stammender Mann wurde zu Unrecht ausgewiesen. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Veröffentlicht am 18. September 2024 - 15:20 Uhr
194 Gramm. So viel Kokain hatte ein aus Bosnien-Herzegowina stammender Mann bei sich, als er im Februar 2018 in der Nähe von Zürich von der Polizei erwischt wurde.
Wenige Monate später verurteilte ihn das Bezirksgericht Zürich zu einer bedingten Gefängnisstrafe wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz – und verwies ihn für fünf Jahre aus der Schweiz.
Diesen Entscheid zog der Beschuldigte bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Er sah sein Recht auf Wahrung des Familienlebens verletzt. Denn seit 2013 ist der Mann mit einer in der Schweiz aufgewachsenen Frau verheiratet – die beiden haben zwei Kinder.
Einmaliges Vergehen
Zudem machte er geltend, dass es sich um einen einmaligen Verstoss handle. Zwischen dem ersten Urteil von 2018 und der definitiven Verweisung im Jahr 2020 arbeitete er als Gärtner – ohne weiteres Verschulden.
Die Schweizer Gerichte argumentierten, dass der Mann vor der Straftat nie eine Festanstellung gehabt habe, kaum Deutsch spreche und nicht integriert sei. Da die Töchter noch klein seien und sich seine Frau als ausgebildete Pflegefachfrau beruflich schnell integrieren dürfte, könne er mit seiner Familie gut in einer neuen Umgebung Fuss fassen.
Verhältnis zum EGMR angespannt
Das sah der EGMR anders. Die Richterinnen und Richter aus Strassburg erklärten, dass die Schweizer Gerichte eine ungenügende Interessenabwägung vorgenommen hätten. Das öffentliche Interesse an der Ausweisung sei höher gewichtet worden als das Recht des Mannes, mit seiner Familie zusammenleben zu können – und damit habe die Schweiz gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verstossen.
Das Recht auf Ehe und Familie ist ein Grundrecht, das auch in der schweizerischen Bundesverfassung verankert ist. Der Staat ist dazu verpflichtet, die Grundrechte zu wahren. Er darf sie nur unter bestimmten Voraussetzungen einschränken.
Der Fall ist brisant, weil er das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen dem EGMR und der Schweiz weiter belastet. Anfang Jahr hatte der Gerichtshof die Schweiz gerügt: Sie tue zu wenig, um ihre Bevölkerung vor den Folgen der Klimaerwärmung zu schützen.
1 Kommentar
Die Schweizer Behörden haben nicht nur das Recht des Mannes auf familiäres Zusammenleben verletzt, sondern in erster Linie die Rechte seiner Ehefrau und seiner Kinder. Diese haben genau so ein Recht auf Familienleben. Ihnen kann nicht entgegen gehalten werden, sie seien zu wenig integriert. Es darf Ihnen nicht zugemutet werden, in ein fremdes Land auszuwandern. Sie haben nie dort gelebt. Es ist ihr Menschenrecht, in ihrer Heimat verbleiben zu dürfen.
Da haben die Vertreter der Schweiz einen blinden Fleck für die Rechte der Frau und der Kinder.
Menschenrechte gewähren, indem man Leute zum Auswandern auffordert, weil der eigene Staat diese nicht gewähren will? Dieses Argument finde ich peinlich.