Bewilligungs-Chaos in der Physiotherapie
Therapeutinnen und Therapeuten müssen je nach Kanton bis zu 1000 Franken für eine Bewilligung zahlen. Das sorgt für Ärger.
Veröffentlicht am 13. Januar 2025 - 17:55 Uhr
Das Gesundheitsberufegesetz regelt seit 2020, welche beruflichen Anforderungen in der Schweiz in der Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie und für Hebammen gelten.
Ein Detail sorgt jetzt aber kurz vor dem Ablauf der Übergangsfrist für ordentlich Zündstoff: dass es für die Ausübung des Berufs «in eigener fachlicher Verantwortung» eine Bewilligung des Kantons braucht. Was heisst das genau? Sind damit die Praxisinhaberinnen gemeint? Alle Mitarbeiter in leitender Position? Oder einfach alle, die als Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten arbeiten?
Im Aargau Glück, im Thurgau Pech
Das klingt nach Erbsenzählerei, aber es geht um ziemlich viel Geld: Im Kanton Zürich kostet eine Berufsausübungsbewilligung 800 Franken. Und der Kanton entschied zunächst, dass alle Physiotherapeuten zahlen müssen, egal, ob sie angestellt sind oder die eigene Praxis leiten. Ausser denjenigen in den Spitälern – für sie gelten andere Regeln.
In anderen Kantonen sind die Vorschriften anders, auch die Gebühren teilweise viel tiefer. Der Aargau verlangt gemäss Medinside nur 200 Franken – und das auch nur von den leitenden Physiotherapeuten in einer Praxis. Im Thurgau kostet die Bewilligung laut Branchenverband Physioswiss sogar 1000 Franken. Unterschiedlich sind offenbar auch die Übergangsfristen – nicht einmal der Physioverband selber hat den kompletten Überblick.
«Es ist halt ein weiteres Ärgernis, das viele Therapeuten belastet. Gerade jetzt, wo die Stimmung ohnehin im Keller ist.»
Alina Mahr, Physiotherapeutin in Zürich
Bei den Betroffenen sorgen die ungleichen Bedingungen für Ärger: «Das bringt nicht nur Kosten, sondern auch keinerlei Mehrwert für Patienten – oder für überhaupt irgendjemanden», sagt Alina Mahr, Physiotherapeutin in Zürich, zum Beobachter. «Es ist halt ein weiteres Ärgernis, das viele Therapeuten belastet. Gerade jetzt, wo die Stimmung wegen der Tarifkürzungen und Verhandlungen ohnehin im Keller ist.»
«Der Branchenverband Physioswiss steht voll und ganz hinter dem Gesundheitsberufegesetz – wenn es denn von den Kantonen korrekt interpretiert würde», sagt Cornelia Furrer von der Geschäftsleitung des Verbands. «Nicht so wie jetzt, wo die Regeln in jedem Kanton anders sind.»
Bis zu 20’000 Therapeutinnen und Therapeuten sind betroffen
Betroffen von diesem Chaos sind viele: Schweizweit gibt es gemäss Furrer rund 18’000 bis 20’000 Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten. Die neuen Regeln mit der Berufsausübungsbewilligung und die teils hohen Preise hätten in der Branche für sehr grossen Aufruhr gesorgt.
«In vielen Kantonen haben sie einen administrativen Moloch gebaut.»
Cornelia Furrer, Branchenverband Physioswiss
Den Auslöser für das Chaos sieht Furrer darin, dass Anfang 2022 der Bund die Verordnung geändert hat. Neu seien die Kantone für die Zulassung zuständig. Zuvor sei das über die Krankenversicherer organisiert gewesen. «Plötzlich haben 26 Kantone eine neue Aufgabe bekommen. In vielen Kantonen haben sie einen administrativen Moloch gebaut», sagt Furrer.
Die Physiotherapie-Organisation SwissODP bereitet laut Medinside eine Klage vor. Gerichte sollen feststellen, wie das Gesetz auszulegen ist.
In Zürich kommt ein Rechtsgutachten
Auch Pflegefachpersonen und die Spitex sind von den neuen Regeln betroffen. Im Kanton Zürich wehrten sie sich erfolgreich. Mitte Dezember zog Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli die Reissleine: Sie lässt die kantonale Umsetzung des Bundesgesetzes über die Gesundheitsberufe durch ein externes Rechtsgutachten überprüfen.
Anfang März will die Gesundheitsdirektion über das weitere Vorgehen informieren. Bis dahin müssen alle angestellten Berufsangehörigen ohne Leitungsfunktion nichts machen und können weiterarbeiten, auch ohne Bewilligung.
Auch der Preisüberwacher ist unzufrieden
Rückenwind gibt den Kritikern eine Analyse des Preisüberwachers. Anfang 2024 stellte er fest: «Der Preisüberwacher kann die ausserordentlich hohen Unterschiede nicht nachvollziehen.» Die Kantone sollten fixe Gebühren statt Bandbreiten beschliessen und gewisse Schwellenwerte nicht überschreiten. Für die Berufsausübungsbewilligung in den Gesundheitsberufen setzt er diesen Schwellenwert bei 500 Franken an.
Zudem würden einige Kantone ihre Informationspflicht nicht genügend wahrnehmen: Sie informierten nicht im Voraus über die Höhe der Gebühren.
- Medinside: «Bewilligungs-Wildwuchs: Physio-Firmen bereiten Klage vor»
- Physioswiss, Regionalverband Zürich-Glarus: «Vorläufig keine BAB notwendig für angestellte Physios im Kanton Zürich!»
- Medienmitteilung Kanton Zürich: «Umsetzung des eidgenössischen Gesundheitsberufegesetzes wird überprüft»
- Analyse des Preisüberwachers: «Berufsausübungsbewilligungen und Zulassungen OKP»