Billig boomt – auch bei Bioprodukten
Billigprodukte und Discounter wie Aldi, Lidl & Co. sind seit Ausbruch der Pandemie gefragt wie nie. Nun reagieren Migros und Coop – und senken die Preise auf breiter Front.
Migros-Kind, Coop-Kind, und das wars? Mitnichten. In den letzten Jahren hat sich nicht nur verändert, wo die Schweizerinnen und Schweizer einkaufen. Sondern auch was sie kaufen. Die Corona-Pandemie hat zwei Trends verstärkt, die so gar nicht zusammenpassen wollen.
Zum einen wurden deutlich mehr teure Bioprodukte gekauft. Migros konnte den Umsatz um fast 16, Coop um über 14 Prozent steigern. Zum anderen hat die Pandemie mehr Konsumentinnen zu Schnäppchenjägerinnen gemacht. Dass Schweizer resistent gegen Billigware seien, war schon vor Corona eine Fehlannahme. Die Discounter Aldi Suisse und Lidl haben seit ihrem Markteintritt 2005 und 2009 ein beachtliches Wachstum hingelegt.
Aldi Suisse, Lidl und Denner als klare Gewinner
In der Pandemie hat sich der Billigtrend noch zugespitzt. Neben den Discountern waren auch die günstigen Linien von Coop und Migros, Prix Garantie und M-Budget, stark gefragt. «Der Preis spielt für Schweizer Konsumenten eine immer grössere Rolle», bestätigt Nordal Cavadini, Detailhandelsexperte beim Beratungsunternehmen Oliver Wyman. «Eine Krise bedeutet Unsicherheit. Und das bedeutet im Zweifel weniger ausgeben.»
Hinzu kam, dass Schweizer über längere Zeit nicht im Ausland einkaufen konnten. Discounter in der Schweiz gewannen so selbst Kundinnen, die vor der Pandemie noch nie einen Fuss in ihre Läden gesetzt hatten. Aldi Suisse, Lidl und die Migros-Tochter Denner gehörten zu den klaren Gewinnern der Krise.
Migros und Coop, die unbestrittenen Nummern eins und zwei, kämpfen nun mit allen Mitteln dagegen, dass ihre Kundschaft abspringt, wieder im Ausland oder beim inländischen Discounter shoppt. Denn auch die Grossverteiler haben von den geschlossenen Grenzen profitiert, so Detailhandelsexperte Cavadini. Um mithalten zu können, senken sie die Preise, locken mit Aktionen oder bauen das Billigsortiment aus.
Coop hat letztes Jahr seine Prix-Garantie-Linie um 450 Artikel ergänzt, nun sind es 1400 – von Apfelschorle über Hummus bis Fajitas. Bis Ende 2021 wolle man im Tiefpreissegment mit Hunderten neuen Artikeln ausbauen, sagt eine Sprecherin. Zudem hat Coop seit dem letzten Jahr bei fast 2000 Produkten dauerhaft den Preis gesenkt.
Die Migros baut beim M-Budget-Sortiment aus, das aktuell aus über 500 Produkten besteht. Zudem wurden letztes Jahr die Preise von über 1500 Artikeln gesenkt, etwa von Gruyère, Red Bull oder Halbrahm, dieses Jahr kamen über 1000 Produkte dazu. «Unser Ziel ist klar: Es soll keinen Grund mehr geben, zum Discounter zu gehen», sagte Marketingchef Matthias Wunderlin letzten Herbst.
Discounter immer beliebter
Ob die Massnahmen dafür ausreichen, ist fraglich. Denn die Discounter werden bei den Schweizerinnen und Schweizern immer beliebter. Neun Prozent von 1000 Befragten gaben in einer Studie des Marktforschungsinstituts Marketagent Schweiz an, am liebsten bei Lidl einzukaufen. Sieben Prozent bevorzugten Aldi Suisse. Damit sind die ausländischen Discounter beliebter als der Schweizer Billigladen Denner.
Die neu entdeckte Liebe zu den Discountern tut vor allem der Migros weh. Nur noch 47 Prozent kaufen der Umfrage nach heute am liebsten beim orangen Riesen ein. Vor zehn Jahren erklärten noch 55 Prozent, ein Migros-Kind zu sein. Auch Coop büsste zuletzt an Beliebtheit ein: 2011 war Coop für 30 Prozent der Laden des Vertrauens, heute ist er es noch für 27 Prozent.
Das habe auch damit zu tun, dass die Discounter ihr Image poliert hätten, sagt Detailhandelsexperte Cavadini. «Sie übernehmen immer mehr von dem, was die traditionellen Detailhändler wie Migros und Coop ausmacht: Backshops im Laden, frische und regionale Produkte, Swissness», so Cavadini.
«Der Bedarf an Nachhaltigkeit ist breit in allen Einkommens- und Altersklassen verankert.»
Nordal Cavadini, Detailhandelsexperte
Dass auch die Discounter die Preise weiter senken, setzt Migros und Coop noch stärker unter Druck. Aldi Suisse hat seit letztem Jahr bei der Hälfte des Standardsortiments die Preise dauerhaft gesenkt. Man wolle dem Einkaufstourismus entgegenwirken, sagte der damalige Aldi-Suisse-Chef Timo Schuster.
Damit nicht genug. Nun greifen die Discounter Migros und Coop dort an, wo es richtig wehtut: beim Biosegment, mit dem sich die beiden bislang abheben konnten. Die oft teureren Produkte sorgten für satte Umsätze. Jetzt aber bauen Aldi Suisse und Lidl fleissig ihre eigenen Biolinien aus. Beide führen bereits je 300 Bioprodukte. Bei Aldi Suisse macht das fast einen Fünftel des Sortiments aus.
Und die Schweizer Kunden beissen an. Aldi Suisse konnte den Umsatz mit Bioprodukten im Corona-Jahr 2020 um 55 Prozent steigern. Bei Lidl waren es fast 50 Prozent. Beide wollen das Biosortiment nun erweitern. Die Discounter dürfen zwar das strenge Schweizer Knospe-Label nicht verwenden – obwohl sie mit zertifizierten Schweizer Biobäuerinnen zusammenarbeiten. Denn ihr Biosortiment ist für das Label zu klein. Die Kunden scheint das aber nicht zu stören.
Jetzt wird Bio bei Migros und Coop billiger
«Der Bedarf an Nachhaltigkeit ist mittlerweile ziemlich allgemein», sagt Detailhandelsexperte Cavadini. «Er lässt sich nicht auf einzelne Kundensegmente reduzieren, sondern ist breit in allen Einkommens- und Altersklassen verankert.» So kaufen die Schweizer zwar weiterhin auch bei Coop und Migros ihr Biogemüse und die Biojoghurts. Immer häufiger gönnen sie sich aber auch günstigeres Discount-Bio.
Wie reagieren Migros und Coop? Auch sie senken die Preise von Bioprodukten, Coop etwa bei der Naturaplan-Linie. Bei wie vielen Produkten genau, will der Händler nicht angeben.
Ein «signifikanter Anteil» der dauerhaften Preisabschläge habe Bioprodukte betroffen, teilt die Migros mit. Sie hat den Vorteil, mit Alnatura günstige Produkte der deutschen Biomarke anbieten zu können. Hier baut die Genossenschaft aus: In der Schweiz betreibt sie mittlerweile 16 Alnatura-Filialen, weitere sollen folgen. Derzeit entsteht etwa am Zürcher Limmatplatz eine Prestigefiliale direkt gegenüber dem Migros-Hauptsitz. Die Migros-Tochter Denner importiert zudem mit Enerbio günstige Bioprodukte des deutschen Drogeriemarkts Rossmann.
Cavadini geht davon aus, dass sich der Preiskampf im Detailhandel noch weiter zuspitzen wird. Denn im Hintergrund lauert eine Gefahr: die Inflation. «Viele Branchenvertreter rechnen mit einer Geldentwertung und höheren Herstellungskosten», so Cavadini. Dies zeichne sich bereits an den Rohstoffmärkten ab. Auch in diesem Szenario dürften die Discounter den Takt angeben. Sie können auf Massenproduktion setzen und die Kosten eher tief halten. Migros und Coop müssen sich etwas einfallen lassen, um die Kundinnen und Kunden bei der Stange zu halten.
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5 Kommentare
Leere Worte! Noch immer kosten Lebensmittel in der Schweiz 4-5x soviel wie im Rest der Welt. Fleisch ist zum absoluten Luxusartikel geworden, was man auch am geringen Pro-Kopf-Konsum sieht! Da muss noch sehr, sehr viel gehen!
Man soll dort einkaufen, wo das Tierwohl und die Natur am wenigsten beeinträchtigt werden, in Kombination GAV d. h.
dort wo dem Verkaufspersonal, Löhne bezahlt werden, die zum Leben reichen und der GAV nicht ausgehebelt bezw. "clever" umgangen wird.
Also sicher nicht bei Migros und Coop!
Ja, bisher hat man bei Coop und Migros für Bio-Lebensmittel zuviel bezahlt. Das hat kürzlich der Tages Anzeiger aufgezeigt. Danach sind die Margen dieser beiden Detaillisten auf Bio 3x (!) höher als auf dem entsprechenden konventionellen Lebensmittel gleicher Menge (z.B. Fleisch). Die Bauern dagegen müssen sich mit einem Minimargenzuschlag begnügen. Kurz und bündig: Bisher ein Supergeschäft für die Detaillisten.
Die Diskussion auf der Ebene der engen Argumente hat keinen Sinn. Das Ziel der aktuellen Kampagne ist ein sehr banales: die Bio-Wirtschaft soll zerstört werden. Die Marketing-Psychologen haben das sehr gefickt eingeschädelt - eh: geschickt eingefädelt. Indem jetzt die dummen Konsumenten verlangen, dass die Preise für Bio-Produkte fallen sollen, können sich die Strategen über die Hintertür aus der Verantwortung für das kommende Desaster stehlen.