Das Gurken-Dilemma
Gemüse ohne Hülle verdirbt, argumentiert der Handel. Doch das Plastik landet tonnenweise auf unseren Feldern. Was tun?
Veröffentlicht am 25. April 2019 - 18:04 Uhr,
aktualisiert am 25. April 2019 - 17:13 Uhr
Sie stammen aus Almería, der Extremadura und von Gran Canaria. Sie kosten zwischen Fr. 0.99 und Fr. 3.20. Und sie tragen alle eine Plastikfolie über ihrer grünen Haut: die spanischen Salatgurken von Migros, Coop, Aldi und Lidl.
Dass Gurken eine zweite Hülle aus Plastik bekommen, nervt viele Konsumenten. Muss das sein? Nein, sagt Aldi Deutschland. Der Riese verzichtet bei Gurken seit ein paar Wochen auf die Plastikhülle. Damit liessen sich 120 Tonnen Kunststoffmüll pro Jahr sparen. Die unverpackte Gurke komme gleich frisch und knackig in die Läden, dank verkürzter Transportwege und weil Zwischenlager aufgehoben wurden. Ein tagesgenaues Bestellsystem in den Filialen verhindere, dass die Wegwerfquote steigt.
In der Schweiz folgt dem Beispiel niemand. Aldi Suisse, Lidl, Coop und Migros finden die Idee nicht einmal prüfenswert. Von Mai bis September habe man das Plastikproblem sowieso kaum, da man dann hauptsächlich unverpackte Schweizer Gurken verkaufe. Und in den Wintermonaten schütze das Plastik die Gurken vor Wasserverlust beim Transport, heisst es bei den vier Grossverteilern. Wenn man die Hülle entferne, werde die Gurke schneller schrumpelig und lande öfter im Kompost. Wer auf Plastik verzichte, fördere die Lebensmittelverschwendung .
Die Schweizer Detailhändler reduzieren den Kunststoffverbrauch beim Gemüse ebenfalls – aber nicht bei den Gurken. Die Migros etwa bietet mehr unverpackte Bio-Peperoni an, Coop und Aldi setzen auf Zwiebelnetze aus Zellulose statt Plastik.
Das Engagement ist nicht ganz freiwillig. Das Schweizer Parlament setzt Druck auf. Die Räte verpflichteten den Bundesrat diesen Frühling, Massnahmen zu ergreifen, um die Verwendung von Plastikverpackungen «innert nützlicher Frist erheblich zu reduzieren». «Namentlich soll auch das Problem angegangen werden, dass Plastik immer häufiger im Kompost landet und via Grüngut auf die Äcker gelangt», teilte die zuständige Kommission mit.
Jährlich landen so 50 Tonnen Plastikpartikel auf Schweizer Feldern , schreibt Konrad Schleiss in einem Bericht für das Bundesamt für Umwelt. Der Leiter des Inspektorats der Kompostier- und Vergärbranche befasst sich seit Jahren mit dem Problem. Und die 50 Tonnen sind konservativ geschätzt.
Wie viel Mikroplastik
genau im Recycling-Dünger aus Lebensmittelabfällen und Haushaltskompost steckt, weiss niemand. Genaue Messmethoden fehlen. «Vielleicht enthalten die Produkte so kleine Plastikteile, für die Laboratorien noch keine verlässlichen Messmethoden gefunden haben», sagt Schleiss. Deshalb teste man neue Messtechniken.
«Strenge Grenzwerte sind wichtig. Sonst landet das Plastik irgendwann im Essen.»
Werner Humbel, Geschäftsleiter Recycling Energie
«Es ist wichtig, dass der Plastikanteil im Recycling-Dünger sinkt», sagt Umweltchemiker Michael Sander von der ETH Zürich. Man wisse nicht genau, wie gefährlich er ist. Klar ist, dass Mikroplastik zum Beispiel das Wachstum von Regenwürmern hemmen kann. «Mikroplastik sollte nicht in die Umwelt gelangen. Denn es ist in der Regel nicht abbaubar und bleibt daher sehr lange in der Umwelt.»
Das Plastik, das sich in rezykliertem Dünger findet, sei ein «grosses Problem», bestätigt Petar Mandaliev vom Bundesamt für Umwelt. «Deshalb haben wir die Grenzwerte für Kunststoffreste im Dünger massiv reduziert.» Mandaliev genügt das aber noch nicht. Bei den Kontrollen des brancheneigenen Inspektorats fiel letztes Jahr jedes fünfte Kompostprodukt durch. Das Labor fand im Recyclingdünger bis zu 1,8 Prozent Plastik. Erlaubt sind höchstens 0,1 Prozent.
«Strenge Grenzwerte sind wichtig. Sonst landet das Plastik irgendwann im Essen», sagt Werner Humbel. Der Aargauer Unternehmer betreibt die grösste Biogasanlage der Schweiz. Bei ihm landen schrumpelige Bio-Gurken von Coop, vakuumiertes Bündnerfleisch der Migros oder Joghurtbecher von Aldi. Seine Firma, Recycling Energie, schreddert die verpackten Lebensmittel, vergärt sie zu Gas und verkauft die Reste als Dünger an Bauern.
20'000 Tonnen abgelaufene Lebensmittel liefern ihm die Detailhändler jedes Jahr nach Nesselnbach. «Zehn Prozent davon sind Plastik», sagt Humbel. Er filtere mit seinem selbst gebauten Separator alle Plastikteile heraus, die grösser als 0,1 Millimeter sind. «Unser Gärgut ist sauberer, als es die Vorschriften verlangen.»
Die Detailhändler schafften es zwar, dass der Abfallberg aus Lebensmitteln nicht grösser werde, sagt Humbel. «Das Plastikproblem müssen wir aber angehen. Sonst bekommt die Landwirtschaft irgendwann ein Problem.» Die Programme, mit denen die Grossverteiler den Plastikverbrauch reduzieren wollen, seien sicher gut gemeint, reichten aber nicht. «Es ist völlig egal, wenn eine von zehn Gurken ohne Plastikhülle verkauft wird.»
Es gäbe nur zwei Lösungen: Entweder entferne man das Plastik von Hand von allen Lebensmitteln, die kompostiert werden – wie es die Detailhändler bis vor 15 Jahren tun mussten. Oder man verwende ausschliesslich biologisch abbaubares Plastik. Wenn sich nichts ändere, sei man irgendwann am Punkt, dass man die vergärten Lebensmittel verfeuern müsse, weil sie zu viele Fremdstoffe aufwiesen, sagt Humbel. So, wie das beim Klärschlamm geschieht. «Doch Nahrungsmittel zu verbrennen, ist eine Todsünde.»
1 Kommentar
Es ist etwas traurig, dass Herr Humbel den Schwarzen Peter an die Wand malt. Leider tut er das nicht zu unrecht. Als innovativer Unternehmer in der Branche kennt er die Probleme Bestens. Technisch waere es wohl noch moeglich, auch noch kleinere Plastikteile aus dem Gaergut zu entfernen, als dies gegenwaertig geschieht. Doch dann wird der Aufwand wahrscheinlich so gross, dass es zum Verlustgeschaeft wird. Daher koennte es durchaus sein, dass man kuenftig die Gaerguelle, respektive den Schlamm, nicht mehr auf die Felder ausbringen kann, sondern sie verbrennen muss.
Die Alternative dazu wurde im Artikel genannt. Naemlich die biologisch abbaubaren "Kunststoffe".
Hier hinkt die Technologie noch etwas hinten nach. Doch sind einige Produkte bereits marktreif. Und eine Vielzahl von Lebensmittelverpackungen koennten bereits problemlos mit solchen Bio-Kunsstoffen ersetzt werden.
Damit sich das generell und schnell auf dem Markt durchsetzt, muessten entsprechende gesetzliche Vorschriften erlassen werden.
Dies kann nicht dem Markt ueberlassen werden. Die petrochemische Kunststoffindustrie wird ihre Marktanteile hier nicht abgeben wollen.
Kunststoff im Feld ist nicht ein technisches Problem, sondern ein politisches Problem.