Über was stimmen wir ab?

Am 13. Juni stimmt die Schweizer Bevölkerung über das «Bundesgesetz über die Verminderung von Treibhausgasemissionen» ab. Kurz: CO2-Gesetz. Es gibt bereits seit der Jahrtausendwende ein CO2-Gesetz in der Schweiz. Mit dem sollten die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll, einem internationalen Klimaabkommen, erfüllt werden. Da wir uns mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 aber verpflichtet haben, den Ausstoss von Treibhausgasen deutlicher zu reduzieren, als wir es bisher geschafft haben, wurde das bestehende Gesetz von Bundesrat und Parlament überarbeitet. Das Ziel ist, die Emissionen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 zu senken. Im Gesetz werden Instrumente festgelegt, um das zu erreichen. 

Gegen das Gesetz wurde das Referendum ergriffen. Deshalb kommt es jetzt an die Urne.

 

Wer ist dafür und wer dagegen?

Ergriffen wurde das Referendum von der SVP zusammen mit Interessenverbänden aus der Auto- und Erdölbranche, wie Avenergy Suisse (früher Erdölvereinigung), Automobil Club der Schweiz, Verband der Flugplätze, Swissoil, Auto-Schweiz und weiteren. Ihnen geht das Gesetz zu weit. Es koste zu viel und bringe nichts. Zudem führe es zu mehr Verboten, mehr Bürokratie, mehr Vorschriften und neuen Steuern und Abgaben. Dabei sei die Schweiz auch ohne CO2-Gesetz klimapolitisch vorbildlich unterwegs, argumentieren sie. 

Der Hauseigentümerverband hat ebenfalls die Nein-Parole beschlossen. Einem kleinen Teil der Klimastreikenden ist das Gesetz viel zu lasch, weshalb auch sie Unterschriften fürs Referendum sammelten.

Bundesrat und Parlament empfehlen ein Ja zum Gesetz. Der Klimawandel treffe die Schweiz besonders hart, die Temperaturen stiegen hier doppelt so stark an wie im weltweiten Durchschnitt. Das bekomme vor allem die Landwirtschaft und der Tourismus zu spüren. Hauptursache für den Klimawandel ist der Ausstoss von Treibhausgasen, insbesondere Kohlendioxid (CO2). Würde die Schweiz nicht entschiedener dagegen vorgehen, verursache der Klimawandel grosse Schäden und hohe Kosten. Das Gesetz verstärke den Klimaschutz, löse Aufträge für KMU aus, schaffe Arbeitsplätze und sei sozialverträglich. 

Alle Parteien ausser der SVP befürworten das Gesetz: die FDP, die Mitte, die EVP, die GLP, die SP und die Grünen. Auch Kantone, Städte- und Gemeindeverband, Economiesuisse, Mobilitätsverbände wie TCS und VCS, Umweltverbände oder die Schweizerische Bankiervereinigung Swissbanking, der Bauernverband und die Metallindustrie sind dafür. Nicht zuletzt wird das Gesetz von vielen Firmen unterstützt: Rückversicherer Swiss Re, Stromkonzerne wie Alpiq, Axpo und BKW, Ikea, Novartis, PWC,Siemens und weitere.

Eine Gruppe von über 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat zudem dazu aufgerufen, das Gesetz anzunehmen. Die Wissenschaft zeige klar, dass die Schweiz schon heute stark vom Klimawandel betroffen sei und deshalb dringend handeln müsse.

 

Reicht das Gesetz, um das Klima zu retten?

Nein. Aber diesen Anspruch erhebt auch niemand. Das Gesetz ist für die Periode bis 2030 gedacht und regelt die Massnahmen, mit denen die Schweiz das Zwischenziel erreichen soll. Nämlich minus 50 Prozent CO2-Ausstoss gegenüber 1990. Dieses Zwischenziel, bzw. eine starke Reduktion im nächsten Jahrzehnt, ist gemäss Wissenschaftlern zentral auf dem Weg zur Klimaneutralität. Danach wird es ein neues CO2-Gesetz mit allenfalls angepassten Massnahmen fürs nächste und übernächste Jahrzehnt brauchen, bis wir das vom Bundesrat gesetzte Ziel «Netto Null» bis spätestens 2050 erreicht haben.

 

Wie steht die Schweiz punkto Klimaschutz da?

Die bisherige Bilanz der Schweiz ist schwach. Die CO2-Emissionen sinken kaum, wie das Bundesamt für Umwelt Bafu im April mitteilte. Die Schweiz wird ihr nationales Ziel für 2020 deutlich verfehlen. Und zwar in jedem Bereich: bei den Gebäuden, der Industrie, der Landwirtschaft und besonders beim Verkehr. Gegenüber dem Basisjahr 1990 hätte die Schweiz um 20 Prozent reduzieren sollen. Bis 2019 gelangen gerade mal 14 Prozent. Die Zahlen fürs Jahr 2020 werden erst nächstes Jahr veröffentlicht. Gemäss Bundesamt für Umwelt Bafu lässt sich ein allfälliger Pandemie-Effekt auf den Treibhausgas-Ausstoss erst dann feststellen. Heute geht das Amt davon aus, dass das Reduktionsziel verfehlt wird.

 

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Welche Massnahmen enthält das neue Gesetz?

Die Massnahmen betreffen vor allem den Verkehr, die Gebäude und die Industrie. Das revidierte CO2-Gesetz baut auf dem bestehenden auf und deshalb sind die Massnahmen einerseits eine Fortführung von dem, was heute schon gilt. Andererseits wird es durch neue Massnahmen ergänzt. Es setzt nicht auf Verbote, sondern auf finanzielle Anreize. Klimafreundliches Verhalten soll sich lohnen. Gemäss Verursacherprinzip werden dafür diejenigen mehr zur Kasse gebeten, die das Klima stärker belasten.

Die wichtigsten Massnahmen: 

  • CO2-Abgabe

    Seit 2008 gibt es schon eine CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe wie Heizöl, Erdgas und Kohle. Wer viel davon verbraucht, zahlt mehr. Oder gar nichts, wenn man ohne Erdöl oder Gas heizt. Das seien heute bereits 4 von 10 Haushalten, heisst es beim Bund. Die Obergrenze des Betrags, den der Bundesrat maximal als CO2-Abgabe erheben kann, wird mit dem Gesetz erhöht. Die Abgabe soll aber nur höher ausfallen, wenn der Ausstoss nicht genügend sinkt. Auch heute wird das gesetzlich mögliche Maximum noch nicht ausgeschöpft. 

    Gemäss Bund werden zwei Drittel dieser Gelder an die Bevölkerung (via Krankenkasse, jede Person erhält den gleichen Betrag gutgeschrieben) zurückverteilt und der Rest fliesst in den Klimafonds.
     
  • Flugticketabgabe
    Mit dem überarbeiteten CO2-Gesetz soll eine neue Flugticketabgabe eingeführt werden. Pro Passagier würden künftig zwischen 30 und maximal 120 Franken pro Flug erhoben. Diese Abgabe soll eine Lenkungswirkung entfalten und Alternativen wie Bahn oder Bus attraktiver machen. Auch von dieser Abgabe würde wieder ein grosser Teil an die Bevölkerung zurückverteilt und der Rest in den Klimafonds gehen.
     
  • Befreiung von der CO2-Abgabe
    Heute können sich Firmen aus bestimmten Branchen mit sehr hohem Ausstoss, wie z.B. der Metallindustrie, von der CO2-Abgabe befreien lassen. Als Gegenleistung müssen sie in Klimamassnahmen in ihrem Betrieb investieren. Diese Befreiung von der Abgabe stünde mit dem neuen CO2-Gesetz künftig allen Schweizer Betrieben offen, also auch Bäckereien, Hotels, etc. 
     
  • Klimafonds
    Die bisherigen Geldtöpfe wie das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen sowie der Technologiefonds werden im neu geschaffenen Klimafonds zusammengeführt. Mit diesen Geldern sollen klimafreundliche Investitionen gefördert werden, wie zum Beispiel Ladestationen für Elektroautos, die Sanierung von Gebäuden sowie CO2-freie Heizungen. Innovative Firmen können mit Beiträgen aus dem Klimafonds unterstützt werden, damit ihre klimafreundlichen Technologien schneller auf den Markt kommen können. Zudem sollen mit dem Klimafonds besonders vom Klimawandel betroffene Bergregionen sowie Städte und Gemeinden Unterstützung erhalten, damit sie Gefahren abfedern können, die durch den Klimawandel entstehen. 
     
  • Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure
    Die Importeure von Benzin und Diesel müssen künftig einen höheren Teil ihrer CO2-Emissionen mit Klimamassnahmen ausgleichen. 
     
  • Vorgaben für effizientere Fahrzeuge
    Schon heute gibt es CO2-Grenzwerte für neu zugelassene Fahrzeuge in der Schweiz. Trotz steigendem Anteil Elektro-Autos haben die Importeure diese in den letzten Jahren noch nie eingehalten. Die Grenzwerte sollen in den kommenden Jahren sukzessive verschärft werden, damit Autoimporteure zunehmend effizientere Autos auf Schweizer Strassen bringen. Je effizienter die Autos, desto weniger Benzin- und Dieselverbrauch. Entsprechend weniger müssen die Lenkerinnen und Lenker für den Treibstoff und die Abgaben berappen. Neu sollen auch Zielwerte für neue Lastwagen eingeführt werden.
     
  • Vorgaben für Gebäude
    Was heute schon Standard ist, wird neu im Gesetz festgeschrieben: Neubauten dürfen grundsätzlich kein CO2 mehr ausstossen. Bei bestehenden Gebäuden ändern sich die Regeln, sobald eine Heizung ersetzt wird, weil sie zum Beispiel alt oder defekt ist. Dann gibt es eine neue Obergrenze für den CO2-Ausstoss pro Quadratmeter Wohnfläche, der sukzessive verschärft wird. Wenn Hausbesitzerinnen oder Hausbesitzer eine klimafreundlichere Heizung einbauen müssen, um diese Obergrenze einzuhalten, wie etwa eine Wärmepumpe, können sie aus dem Klimafonds dafür finanzielle Unterstützung beantragen.
     
  • Finanzplatz
    Die Schweizerische Finanzmarktaufsicht Finma und die Schweizerische Nationalbank müssten neu finanzielle Klimarisiken identifizieren und über die Ergebnisse Bericht erstatten. 
     
Wenn beim aktuellen CO2-Gesetz nicht überall das Maximum ausgeschöpft wurde, wieso brauchen wir dann schon ein neues?

Beim bestehenden CO2-Gesetz gibt es bereits eine Abgabe auf Brennstoffe wie Erdöl und Erdgas im Gebäude- und Industriebereich. Sie liegt heute bei 96 Franken pro Tonne CO2. Gemäss Gesetz wären aber bis zu 120 Franken möglich. Angesichts verpasster Klimaziele stellt sich deshalb die Frage: Wieso nutzt der Bund nicht heute schon das maximal Mögliche aus?

Grund dafür sind gemäss Bundesamt für Umwelt Bafu nicht fehlender Wille bei der Durchsetzung, sondern festgeschriebene Abläufe. Die CO2-Abgabe werde nur dann erhöht, wenn die Zwischenziele für die Emissionen aus Brennstoffen nicht erreicht werden. Gemäss dem Zwischenziel für das Jahr 2016 sei eine Erhöhung für 2018 nicht in vollem Umfang nötig gewesen. «Der nächste Erhöhungsschritt auf 120 Franken kann frühestens im Jahr 2022 erfolgen. Ob das Zwischenziel der Brennstoffemissionen für 2020 erreicht wurde bzw. die Erhöhung auf 120 Franken eintritt, zeigt sich erst anhand der CO2-Statistik, die das Bafu im Juli 2021 publiziert», erklärt ein Bafu-Sprecher.

Mit dem jetzt zur Abstimmung stehenden Gesetz würden darauffolgende Erhöhungsschritte ermöglicht, da der Maximalbetrag von 120 auf 210 Franken erhöht wird. Aber auch beim neuen Gesetz würde eine solche Erhöhung schrittweise erfolgen. Der Maximalsatz käme laut Bafu – wenn überhaupt nötig – frühestens 2028.

Die CO2-Abgabe wirkt primär bei Gebäuden, hat aber auf den emissionsintensiven Verkehr zum Beispiel keinen Einfluss. Auf Benzin und Diesel gibt es keine CO2-Abgabe, obwohl gerade der Verkehr das Reduktionsziel bisher am weitesten verpasst und sogar eine Zunahme gegenüber 1990 zu verzeichnen hat. Beim Verkehr kommen hingegen Zielwerte für den maximalen Ausstoss zum Einsatz, die mit dem neuen Gesetz verschärft werden sollen.

Benachteiligt das Gesetz arme Familien und die Landbevölkerung?

Das Gesetz reisse normal verdienenden und ärmeren Familien ein Loch ins Budget, kritisiert das Gegner-Komitee. Bis zu 1000 Franken mehr soll es eine 4-köpfige Familie pro Jahr kosten. Und die Land- und Bergbevölkerung soll ebenfalls einer grösseren Belastung ausgesetzt sein. 

Befürworter heben ihrerseits hervor, dass das Gesetz fair und sozial ausgestaltet sei. Ein Grossteil der Gelder aus den Abgaben wird via Krankenkasse an die Bevölkerung zurückbezahlt, an jede Person den gleichen Betrag. Das Gesetz ist darauf ausgelegt, klimafreundliches Verhalten zu belohnen und klimaschädigendes zu bestrafen.

Gemäss Bund können auf eine 4-köpfige Durchschnittsfamilie mit dem Gesetz Ende der 2020er Jahre Zusatzkosten von rund 100 Franken pro Jahr zukommen. Dabei geht der Bund von einer Familie aus, die auf 128 Quadratmetern wohnt, mit Öl heizt, mit dem Auto pro Jahr rund 12'500 Kilometer fährt und jährlich einen Europaflug unternimmt. Viele Familien könnten aber sogar mehr Geld zurückerhalten, als sie bezahlen. Zum Beispiel wenn sie ohne Flugzeug in die Ferien reisen oder CO2-frei heizen. 

Ein Faktencheck in der «NZZ» legt zudem dar, dass die Landbevölkerung unter dem Strich nicht schlechter dasteht als Städter. Nicht zuletzt weil in Land- und Bergregionen wesentlich mehr Haushalte jetzt schon fossilfrei beheizt werden und diese dadurch von den Abgaben auf Heizöl befreit sind und sie von der Lenkungsabgabe profitieren. In dichter besiedelten Gebieten und Städten wird hingegen viel mehr mit Öl und Gas geheizt. Zudem würden Städter mehr fliegen und dadurch stärker von der Flugticketabgabe belastet. 

 

Nützt es dem weltweiten Klima überhaupt etwas, wenn wir in der kleinen Schweiz Klimaschutz betreiben? 

Die Schweiz sei für das weltweite Klima unbedeutend argumentieren die Gegner. Bemühungen, hierzulande die Emissionen zu senken, seien nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Sie seien eine sinnlose Belastung für die Wirtschaft und die Bevölkerung. 

Befürworter kritisieren diese Argumentation. Selbstverständlich sei die Schweiz klein und ihr Beitrag zu den globalen Emissionen auch. Aber genau so gut könne man sagen, man zahle keine Steuern weil die Steuern einer Einzelperson im Verhältnis zum Gesamtbudget der Schweiz klein seien. Am Ende gehe es nicht auf, wenn nicht alle ihren Beitrag leisteten.

Für Reduktionen in der Schweiz spricht, dass der Pro-Kopf-Ausstoss von Schweizerinnen und Schweizern wesentlich höher ist, wenn man nicht nur die Emissionen innerhalb der Landesgrenzen anschaut. Bezieht man importierte Güter und Dienstleistungen mit ein, beläuft sich der jährliche Pro-Kopf-Ausstoss auf mehr als das Doppelte. Die Schweiz liegt damit weit über dem globalen Mittel. Dadurch trägt sie eine grössere Verantwortung, als es ihr CO2-Ausstoss zuerst vermuten lässt. 

 

Können wir dank technologischem Fortschritt nicht auf das Gesetz verzichten?

Es tönt verführerisch, dass man mit Technologie das Klima retten und dafür auf Gesetze und Einschränkungen verzichten könnte. Mit einem neuen Plan will die SVP zum Beispiel voll auf Wasserstoff setzen. Andere hoffen darauf, dass dereinst viel CO2 aus der Luft abgesaugt und im Boden vergraben werden könnte. Wieder andere sind überzeugt, dass nur neue und verbesserte Atomkraftwerke die Lösung sind. 

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erteilen solchen Träumereien jedoch eine Abfuhr. Technologie sei wichtig, aber besonders diejenige, die heute schon bewährt sei wie Fotovoltaik, Wärmepumpen und Elektroautos. Wenig erprobte Wundertechnologien würden zudem schlicht zu spät kommen, um einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Denn dieses Jahrzehnt sei entscheidend.

Was passiert bei einem Nein?

Das CO2-Gesetz ist das wichtigste Instrument der Schweiz in Sachen Klimaschutz. Wird es an der Urne abgelehnt, steht die Schweiz vor einem klimapolitischen Scherbenhaufen. Die aktuelle Vorlage ist ein in langem Ringen im Parlament beschlossener Kompromiss.

Bei einem Nein müsste das Parlament von vorne anfangen. Mit dem bereits bestehenden CO2-Gesetz würde die Schweiz die Klimaziele vermutlich verpassen, denn die aktuellen Massnahmen reichen nicht für die nötige Reduktion von Kohlendioxid.

 

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Tina Berg, Redaktorin
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