Stellen Sie sich vor, es gäbe ein einziges Login für sämtliche Schweizer Online-Dienstleistungen. Eine digitale Identität, mit der sich Internetnutzer beim Surfen ausweisen. Auf der wichtige Persönlichkeitsdaten wie Name, Alter oder Adresse vermerkt sind. So klicken sie sich durch Online-Shops, bezahlen Rechnungen, machen Bestellungen, ohne sich ein einziges Mal ständig neu auszuweisen.

Von der digitalen Identität profitierten auch Unternehmen und die Verwaltung: Sie können ihren Kunden vermehrt 24-Stunden-Services bieten und Angestellte von Routine- und Verwaltungsaufgaben entlasten. So reduzieren sie nicht nur internen Aufwand, sondern können laut Schätzungen auch riesige Summen einsparen Schleppende Digitalisierung bei Behörden Der Papierkram kostet Milliarden .

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Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht.

Die Digitalisierung schreitet in der Schweiz nur langsam voran. Das zeigt sich gleich an mehreren Projekten: An der elektronischen Stimmabgabe (e-Voting Online abstimmen in der Schweiz E-Voting droht das Aus, bevor es richtig losgeht ) tüftelt der Bund seit 19 Jahren und die Lancierung des elektronischen Patientendossiers, das einen Informationsaustausch von medizinischen Daten gewährleisten soll, verschiebt sich stets nach hinten. Schliesslich ist auch die Einführung einer digitalen Identität mit der SuisseID gescheitert und soll mit der E-ID nun einen zweiten Anlauf nehmen.

Was bisher geschah: SuisseID und SwissID

In der Schweiz gibt es bereits eine Vielzahl digitaler Identitäten. Die meisten konzentrieren sich auf einen bestimmten Anwendungsbereich (z.B. eHealth) oder haben eine regionale Ausrichtung (Stadt Zug). Im Zuge der Digitalisierung gibt es allerdings Bestrebungen, eine schweizweite digitale Identität einzuführen:

 

Die SuisseID

Die SuisseID wurde 2010 als erster Versuch lanciert. Vorangetrieben wurde sie vom Staatssekretariat für Wirtschaft, vertrieben von vier verschiedenen Anbietern, darunter Swisscom und Post. Mithilfe einer SuisseID konnten sich Privatpersonen oder Unternehmen online ausweisen und elektronische Dokumente rechtsgültig signieren. Obwohl der Bund mehr als 20 Millionen investierte, blieb die Anzahl an Registrierungen weit hinter den Erwartungen zurück. Schuld am mangelnden Erfolg waren laut einer Untersuchung die komplizierte technische Umsetzung, hohe Einstiegshürden, der mangelnde Bedarf und Kosten von rund 50 Franken pro Jahr.

 

Die SwissID

Im Jahr 2017 übernahm die Post-Tochter SwissSign AG von ihrer Muttergesellschaft die Markenrechte der SuisseID. Als weitere staatsnahe Unternehmen – darunter SBB und Swisscom – sowie Finanzunternehmen und Versicherungen Interesse an der digitalen Identität zeigten, bildete sich die Trägergesellschaft SwissSign Group. Diese hat aus den Fehlern des Bundes gelernt: Einerseits ist die neue SwissID SwissID Kann mich die Post zur SwissID zwingen? kostenlos, andererseits sind die Einstiegshürden weniger hoch. Wer die erste Identifikationsstufe nutzt, muss lediglich einen Benutzeraccount mit Passwort anlegen. Mit diesen Zugangsdaten können sich Nutzer bei sämtlichen Unternehmen der SwissSign Group und weiteren Firmen einloggen. Auch Beobachter-Nutzer können sich inzwischen mit dem SwissID-Login auf der Website anmelden. In einem zweiten Schritt kann die SwissID mit weiteren Daten wie der Postadresse, dem Geburtstag oder den Bankangaben gefüttert werden – nun können weitere Dienstleistungen bezogen oder Produkte gekauft werden. 

E-ID-Gesetz: Der Bund legt die Regeln fest

Der Bund arbeitet seit Jahren an der E-ID. Es kam jedoch erneut zu technischen und datenschutzrechtlichen Schwierigkeiten – eine schnelle und zufriedenstellende Lösung zeichnete sich nicht ab. Die gesetzliche Grundlage für die erfolgreiche Einführung digitaler Identitäten ist aber in Arbeit. Im März sprach sich der Nationalrat für eine Aufgabenteilung zwischen Bund und Privatwirtschaft aus, im Juni stimmte dieser Lösung auch der Ständerat zu: Verschiedene Schweizer Unternehmen, welche die Auflagen des Bundes erfüllen, sollen die E-ID vermarkten und Kunden dafür gewinnen.

Von der Aufgabenteilung sollen beide Seiten profitieren. Der Bund kann das Projekt grössenteils von der Privatwirtschaft finanzieren lassen und die bereits bestehende Infrastruktur nutzen. Die Unternehmen hingegen profitieren vom Gütesiegel des Bundes. Obwohl der Name es vermuten lässt, handelt es sich bei der E-ID nämlich nicht um ein neues Produkt, sondern um die Zertifizierung bestehender digitaler Identitäten. Sobald das Gesetz steht, kann die SwissID zum Beispiel staatlich zertifiziert werden.

Geplant sind drei verschiedene Sicherheitsniveaus, die sich in Bezug auf die Ausstellung, die Datenzuordnung und die technischen Sicherheitsmassnahmen unterscheiden. Die Unternehmen reichen die Anträge ihrer Kunden an den Staat weiter, welcher sie mit der Datenbank des Bundesamts für Polizei (Fedpol) abgleicht. Weist das Fedpol einen Antrag zurück, kann der Kunde seine digitale Identität noch immer auf einem tieferen Sicherheitsniveau nutzen, hat aber zum Beispiel keinen Zugang zu E-Voting.

Voraussetzung für das Siegel ist allerdings das E-ID-Gesetz, das wohl erst Ende 2020 in Kraft tritt. Dieses enthält die Bedingungen und Voraussetzungen für die Ausstellung einer E-ID – so soll diese zum Beispiel nur durch Firmen mit Sitz in der Schweiz vermarktet werden.

Umstrittene Privatisierung

Ein Grossteil der Parlamentarier liess sich von einer Aufgabenteilung überzeugen. Ein wesentlicher Vorteil der Ausstellung durch Unternehmen sei, dass diese im Gegensatz zum Bund schnell auf technologische Neuerungen reagieren können und näher an den Kunden sind.

Dennoch gibt es kritische Stimmen. Einige Politiker, die digitale Gesellschaft sowie die Stiftung für Konsumentenschutz sind der Meinung, dass die Ausstellung einer digitalen Identität Staatsaufgabe sein muss. «Eine elektronische Identität, wie sie der Bund vorsieht, wird für zentrale Interaktionen zwischen Bürger und Staat eingesetzt werden: für Steuern, Sozialleistungen, Betreibungen, elektronische Patientendossiers etc.», erklärt die politische Philosophin Katja Gentinetta im Interview mit dem Beobachter E-ID «Der Staat muss unsere sichere Identifikation garantieren» . «Als Bürgerin habe ich also ein Interesse daran, dass dabei absolute Sicherheit gewährleistet wird und die Herausgabe beim Staat bleibt.»

Experten vermuten ausserdem, dass es zu einer Monopolstellung der Firma SwissSign kommen wird. Zwar darf grundsätzlich jedes Unternehmen eine E-ID herausgeben, das seinen Firmensitz in der Schweiz hat und weitere Auflagen des Bundes erfüllt. SwissSign hat dank ihrer Grösse, Erfahrung und der bereits bestehenden Infrastruktur aber klare Wettbewerbsvorteile. Kritiker bemängeln auch, dass nicht alle Bürger genug Vertrauen in Unternehmen wie die Post oder SBB hätten. Schnell könne es zu einer Vermischung von staatlichen Interessen und kommerziellen Motiven kommen. Erst im August machte die SwissSign negative Schlagzeilen: Kundinnen und Kunden wurden in einer E-Mail über neue Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) informiert. Die alten AGB waren nicht mehr aufrufbar, zudem war nicht ersichtlich, was geändert wurde. Kundinnen und Kunden mussten sich einverstanden erklären, wenn sie den Dienst weiterhin nutzen wollten. SwissSign entschuldigte sich für das kundenunfreundliche Vorgehen und gelobte Besserung. 

Obwohl sich sowohl Nationalrat als auch Ständerat für eine Aufgabenteilung zwischen Bund und Privatwirtschaft ausgesprochen hatten, bleibt das Vorgehen umstritten. Deshalb ergriffen Gegner am 8. Oktober ein Referendum. Zu ihnen gehören die Digitale Gesellschaft, Konsumentenschutzorganisationen sowie die Kampagnen-Plattform WeCollect. Gestützt wird das Referendum von der SP, den Grünen und der Piratenpartei. Das Referendumskomitee stützt sich auf eine Umfrage der Universität Zürich: Nur 1,7 Prozent der Befragten sind für die Aufgabenteilung, 82 Prozent hingegen verlangen eine staatliche Lösung. Kritiker haben nun bis zum 16. Januar Zeit, die 50'000 Unterschriften zu sammeln. 

Weshalb tut sich der Bund so schwer mit der Digitalisierung?

«Auch wenn die Schweizer Behörden die Bedeutung der Digitalisierung erkannt haben, ist noch viel Ausbaupotenzial vorhanden» heisst es in der nationalen E-Government-Studie 2019. Auch eine Untersuchung der Uno über E-Government kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: In einem Ranking der 40 fortschrittlichsten Länder lag die Schweiz 2016 mit Platz 28 hinter sämtlichen Nachbarstaaten. 2018 kletterte sie zwar auf Platz 15, doch noch immer besteht im Vergleich zur EU viel Nachholbedarf.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits ist der Leidensdruck der Schweizer Regierung gering: Die Bürokratie wächst zwar stetig, ist aber dennoch sehr effizient. Andere Länder müssen dringender handeln – und wo weniger Strukturen bestehen, lässt sich leichter etwas aus dem Boden stampfen. Ein weiterer Knackpunkt ist die technische Infrastruktur. Will der Bund eine digitale Identität einführen, muss er Sicherheit und Datenschutz gewährleisten. Der Föderalismus bremst eine grossflächige Digitalisierung zusätzlich aus. Eine Untersuchung der Universität Bern zeigt, auf welch unterschiedlichem Stand verschiedene Kantone sind: St. Gallen und Aarau bieten bereits viele E-Government-Angebote, Uri und das Wallis sind Schlusslichter in Sachen Digitalisierung. In Uri können Bürgerinnen und Bürger noch nicht einmal die Steuererklärung online ausfüllen, was in allen anderen Kantonen Standard ist.

Portrait Katja Gentinetta
Quelle: benjamin hofer
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