Gutes liegt nicht immer nah
Zucker aus Paraguay schadet dem Klima weniger als der hiesige – trotz Überseetransport. Neue Erkenntnisse erschüttern unser grünes Gewissen.
Veröffentlicht am 7. Juli 2009 - 10:11 Uhr
Spargel aus Übersee, Äpfel aus Neuseeland, Zucker aus Paraguay – wer solche Produkte kauft, bekommt den Stempel des Umweltsünders aufgedrückt. Lange Transportwege bedeuten Energieverschwendung. Doch diese Erkenntnis gerät ins Wanken. Spargeln aus Peru sind kaum klimaschädlicher als deutsche, neuseeländische Äpfel besser als schweizerische ausserhalb der Erntezeit, und Bio-Zucker aus Paraguay verursacht 40 Prozent weniger Treibhausgase als Zucker aus der Schweiz.
Dies zeigen komplexe Berechnungen, die Umweltwissenschaftler rund um den Globus anstellen, um die Emissionen an CO2 und anderen Treibhausgasen eines Produkts zu ermitteln. Auch die Zürcher Stiftung Myclimate, ein ETH-Spin-off, rechnet im Auftrag von Unternehmen wie Migros akribisch aus, wie viel Treibhausgas ein Produkt von der Herstellung bis zur Entsorgung verursacht – ob Händetrockner, Toilettenpapier, Katzenstreu oder Agrarprodukte wie Zucker und Spargel.
Klimabilanz: Zucker aus Paraguay verursacht weniger CO2 als Schweizer Zucker. Beim Spargel aus Peru ist das Transportmittel entscheidend.
Laut der Non-Profit-Organisation Climatop, die aufgrund der Berechnungen klimafreundliche Produkte mit dem Label «Approved by Climatop» auszeichnet, ist es an der Zeit, gewisse Vorurteile zu revidieren. Dabei wird innerhalb einer Produktegruppe dasjenige mit der besten Klimabilanz ausgezeichnet. Und die hängt nicht alleine davon ab, woher ein Produkt stammt, das in der Schweiz verkauft wird. Was von weit her kommt, ist nicht automatisch schlecht – vorausgesetzt, es kommt per Schiff. Es zählen Faktoren wie Anbaumethode, Lagerung, Verpackung, Düngereinsatz, Freiland, Treibhaus und Flächenertrag. Damit kein Produkt ausgezeichnet wird, das zwar eine gute Klimabilanz aufweist, ökologisch aber keinen Sinn macht, läuft bei den Berechnungen gemäss Climatop immer auch die gesamte Ökobilanz im Hintergrund mit. Eine komplizierte Sache.
Beispiel Zucker: Der mit dem Label ausgezeichnete, paraguayische Bio-Rohrzucker verursacht im Anbau derart wenig CO2, dass das Schweizer Produkt aus Zuckerrüben nicht mithalten kann. Die paraguayischen Zuckerrohrbauern setzen keinen Dünger ein, die Produktion erfolgt grösstenteils in Handarbeit, energiefressende Maschinen brauchen sie nicht. Der Verband der Schweizer Zuckerrübenproduzenten – Slogan: «Die Umwelt schonen – dank Schweizer Zucker» – hält die Berechnungen für unzulässig: Sie beruhten vermutlich auf altem Zahlenmaterial. Myclimate weist den Vorwurf zurück. Das Datenmaterial sei aktuell, die Resultate würden von unabhängiger Stelle geprüft.
Beispiel Spargel: Verglichen haben die Klimaexperten weissen Spargel aus Ungarn, Deutschland und Peru sowie grünen Spargel aus Mexiko. Spargel, der aus Übersee eingeflogen wird, hat die schlechteste Klimabilanz – er verursacht zwölfmal mehr CO2 als jener, der per Schiff aus Peru zu uns gelangt. Dieser belastet das Klima nur unwesentlich mehr als ungarischer Spargel, der dank besseren Anbaumethoden und günstigem Boden noch klimafreundlicher ist als der badische Spargel.
Beispiel Äpfel: Berechnungen der deutschen Universität Giessen zeigen, dass die Lagerung eines hiesigen Apfels im Kühlhaus energieintensiver ist als die Schiffsreise eines erntefrischen Apfels aus Übersee.
Auch wer glaubt, biologische Lebensmittel seien prinzipiell besser, muss mit Überraschungen rechnen: Eine Studie der deutschen Konsumentenorganisation Foodwatch kommt zum Schluss, dass biologisch nicht automatisch ökologisch heisst, auch wenn das Produkt aus der Nähe stammt. Berücksichtigt man auch Faktoren wie Landbedarf und Ausstattung des Stalls, kann Biofleisch aus Rindermast zum Beispiel bis zu 60 Prozent mehr CO2 verursachen als Fleisch aus konventioneller Haltung.
Nur wenige Agrarprodukte sind bisher untersucht worden. Gut möglich, dass in Zukunft neue Resultate weiteres Umdenken erfordern. Wer klare Verhältnisse will, kann sich an eine Devise aller Klimaexperten halten: Am klimafreundlichsten ist, wer saisonale Produkte isst und ganz auf Fleisch und Milchprodukte verzichtet. Alle anderen essen nun immerhin ohne schlechtes Gewissen Spargel aus Ungarn und Peru.
Saisontabelle Obst und Gemüse
Download Saisontabelle (PDF)