Bussgeld, Jans und Widerspruch
Wurde die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher? Und wo gings rückwärts? Der Nachrichtenüberblick des Beobachters für die Woche vom 29. April 2024.
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein.
Diesmal:
- Psychotherapie: Kritik an neuem Abrechnungsmodell – was nun?
- Organspenden: Widerspruchslösung verspätet sich
- Bussen in Deutschland: Ab jetzt treibt die Schweiz sie ein
Sie können diese Nachrichtenübersicht auch als E-Mail abonnieren. Damit haben Sie «Das war richtig wichtig» jeden Freitag im Postfach.
Melden Sie sich doch gleich an:
Das Zitat der Woche
Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Was Beat Jans zum Anlass nahm, auf dem Bundesplatz eine ziemlich launige Festrede zu halten. Obwohl er ja arbeiten müsse, es sei schliesslich Bundesratssitzung:
«Ich habe kurz ausgestempelt und muss nachher wieder zurück. Meine Rede wird also nicht allzu lang. Das trifft sich gut, weil ich als Bundesrat vieles eh nicht sagen darf.» – Bundesrat Beat Jans
Gesagt hat er dann doch einiges. Etwa das offizielle Motto des Tages: Prämien runter, Löhne rauf! Zu den Krankenkassenprämien merkte er an: Mit dem Ziel sei «sogar der Gesamtbundesrat einverstanden». Und zum Lohn wagte er immerhin die Anmerkung, dass ein anständiger Lohn, von dem man anständig leben könne, eigentlich ein Menschenrecht sein sollte. Dann verschwand er zurück ins Bundeshaus.
Psychotherapie: Kritik an neuem Abrechnungsmodell – was nun?
Darum gehts: Seit knapp zwei Jahren zahlt die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) ärztlich angeordnete Psychotherapie bei Psychologen. Gleichzeitig haben die Psychologinnen einen höheren Abrechnungstarif ausgehandelt. Früher konnten Psychologen nur über die OKP abrechnen, wenn sie bei einem Psychiater angestellt waren. Der Bund rechnete mit Mehrkosten von 100 Millionen Franken durch den Systemwechsel. Nun kritisiert der Krankenkassenverband Santésuisse, der Bund habe sich verrechnet, die Kosten explodierten. Denn bereits im zweiten Jahr lägen die Mehrkosten bei 220 Millionen Franken.
Warum das wichtig ist: Nun zeigt ein am Freitag publizierter Bericht des Bundes, dass die Hälfte der Mehrkosten auf die Tariferhöhung der Psychologen zurückzuführen ist. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Kosten nicht mehr von der Zusatzversicherung oder den Patientinnen und Patienten getragen werden. Es ist also nur eine Verschiebung, der Bund will die Auswirkungen davon dieses und nächstes Jahr genauer untersuchen. Die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen hält die Kritik von Santésuisse deshalb für unberechtigt.
Das sagt der Beobachter: Bei ambulanten Therapieangeboten gibt es seit langem einen Engpass. Gerade Kinder und Jugendliche müssen heute lange auf einen Behandlungsplatz warten. Der Versuch des Bundes, die Situation zu entschärfen und die Arbeitsbedingungen für psychologische Psychotherapeuten attraktiver zu machen, war richtig. Wer psychisch erkrankt, soll genauso selbstverständlich Hilfe erhalten, wie wenn jemand eine Diabetestherapie braucht. In beiden Fällen drohen sonst hohe Folgekosten. Antworten, wie man ein passendes Therapieangebot findet, haben wir in diesem Artikel zusammengefasst:
⇒ Jetzt lesen: Wer kann mir durch die Krise helfen?
Über «Das war richtig wichtig»
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.
Organspenden: Widerspruchslösung verspätet sich
Darum gehts: Die sogenannte Widerspruchslösung wird später in Kraft treten als gedacht. 2022 hatte das Stimmvolk diese angenommen. Statt wie bis anhin einer expliziten Zustimmung bedarf es neu expliziter Ablehnung in Bezug auf die Organentnahme nach dem Tod. Vor 2026 wird das dafür nötige elektronische Register aber nicht einsatzbereit sein.
Warum das wichtig ist: Im vergangenen Jahr seien rund 100 Menschen gestorben, die auf ein Organ gewartet hätten, sagt Swisstransplant, die Schweizer Stiftung für Organspende. Von der Widerspruchslösung erhofft man sich eine deutliche Reduktion dieser Fälle. Dass sich die Einführung verzögert, liegt am Plan des Bundesrats, das neue Organspenderegister mit der elektronischen Identität (E-ID) zu verknüpfen. Damit soll der Schutz vor Hackern gewährleistet sein.
Das sagt der Beobachter: Letztes Jahr sind in der Schweiz so viele Organe von Verstorbenen gespendet worden wie noch nie. Eigentlich eine gute Nachricht. Allerdings liegt die Schweiz europaweit bei den Spenden nur im unteren Mittelfeld, weil viele Länder bereits eine Widerspruchslösung haben – und fast alle damit besser fahren. So oder so: Sie müssen nicht bis 2026 warten, um das Thema für sich persönlich zu regeln:
⇒ Jetzt lesen: Entscheiden Sie sich – so oder so
Bussen aus Deutschland: Ab sofort muss man sie ernst nehmen
Darum geht es: In Deutschland zu schnell gefahren, falsch parkiert, am Steuer telefoniert? Seit Mitte dieser Woche können Sie die Busse in gar keinem Fall mehr einfach aussitzen. Die Schweiz unterstützt die deutschen Behörden künftig dabei, Verkehrsbussen ab 75 Euro einzutreiben – und umgekehrt.
Warum das wichtig ist: Möglich ist das Eintreiben des Geldes, weil per 1. Mai der neue deutsch-schweizerische Polizeivertrag in Kraft getreten ist. Der alte stammt noch aus dem letzten Jahrhundert. Im Vertrag sind eine ganze Menge weiterer Dinge geregelt, etwa der Zeugenschutz, die Datenweitergabe oder Polizeieinsätze in Zügen.
Das sagt der Beobachter: Was im Fall von Deutschland neu gilt, war bei Bussen aus Frankreich, Liechtenstein und Österreich schon länger so: Schweizer Polizisten können sie fürs Ausland eintreiben. Aber auch sonst lohnt es sich kaum je, die Busse zu ignorieren. Es sei denn, Sie möchten das entsprechende Land nie mehr im Leben besuchen – oder wollen das Risiko eingehen, dass Ihr Auto beschlagnahmt wird.
⇒ Jetzt lesen: Busse aus dem Ausland einfach ignorieren?
Noch mal kurz zum Tag der Arbeit. Was beschäftigt die Angestellten in der Schweiz eigentlich am meisten? Das weiss Alexandra Kaiser wie fast keine Zweite. Als Expertin für Arbeitsrecht beantwortet sie im Beobachter-Beratungszentrum Tag für Tag Fragen dazu. Momentan haben zum Beispiel Ferienfragen Saison, hat sie diese Woche im Interview mit SRF erzählt. Nachlesen können Sie es hier.
Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Oliver Fuchs und Chantal Hebeisen.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.