Lange Zeit ging es gut. Susanne Weber lebte in einer glücklichen Partnerschaft, arbeitete 22 Jahre in der gleichen Firma und war dort dank ihrer strukturierten, energischen Art eine geschätzte Mitarbeiterin. «Ich konnte zwar nie von Herzen lachen, war etwas unnahbar. Aber ich kam gut klar mit meinem Leben», erzählt die 50-jährige Bernerin.

Doch Ende 2011 brauchte sie plötzlich immer länger für Aufgaben, die ihr sonst leichtgefallen waren. Und sie war ständig extrem müde. Auf Anregung ihrer Arbeitskolleginnen sprach sie mit einer Bekannten über Burnout. Deren Antwort habe sie «extrem genervt»: Sie empfahl ihr eine Psychotherapie. «Ich sagte mir, ich bin doch nicht psychisch krank, keine Irre Vorurteile Psychische Krankheiten sind keine Einbildung . Ich bin einfach nur müde.»

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Trotzdem ging sie zu einer Psychotherapeutin und bekam wenig später die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung. Sie war als Kind sexuell und psychisch missbraucht worden. «Ich wusste zwar immer, dass das passiert ist. Aber ich habe es erfolgreich verdrängt.»

Zum Psychiater «muss» man mit grossen Problemen

Auch Heidi Schenker konnte sich lange nicht eingestehen, dass sie psychische Probleme hatte – obwohl die Zeichen deutlich waren. Die damals 19-jährige angehende Pflegefachfrau wog sie bei einer Grösse von einem Meter siebzig noch 38 Kilogramm Essstörungen Schlank und krank . «Ich dachte da immer noch, ich hätte mein Essverhalten im Griff», sagt die Solothurnerin. Doch sie habe längst nicht mehr bestimmen können, ob sie weiter abnehme. Dabei habe sie durch ihre Arbeit am Berner Inselspital eigentlich gewusst, dass Hilfe nicht weit weg wäre.

«Viele realisieren lange nicht, dass sie ein psychisches Problem haben. Oder sie verdrängen es», sagt der Berner Verhaltenstherapeut Andi Zemp. «Gemäss Studien dauert es im Schnitt sieben Jahre, bis sich Betroffene angemessene Hilfe holen.» In vielen Köpfen sei verankert, dass man nur zur Psychiaterin «müsse», wenn man ständig weine oder Wahnvorstellungen habe. «Dabei sind solche schweren Depressionen oder Psychosen eher selten.»

«Wenn ich mich über mehrere Wochen nicht ‹zwäg› fühle, dann sollte ich Hilfe holen.»

Andi Zemp, Psychotherapeut

Viel häufiger seien diffuse Symptome. «Jemand mit einer leichten bis mittleren Depression schiebt es auf einen verschleppten Schnupfen oder auf die viele Arbeit, wenn er nicht so ‹zwäg› ist.» Das nahe Umfeld merke oft schneller, dass etwas nicht stimmt. «Wenn die Symptome mehrere Wochen anhalten und mich belasten, dann sollte ich Hilfe holen», sagt Zemp. Die Hausärztin sei eine gute erste Anlaufstelle.

Informationsfülle überfordert Betroffene

Doch der heute wohl am häufigsten konsultierte Ratgeber ist «Dr. Google». Unter «Therapeut finden» erscheint etwa das Verzeichnis von Sanasearch. Die Firma wirbt mit einem «Pool von über 20'000 Fachpersonen». Anhand eingegebener Symptome erscheint eine Liste: «psychologische Beraterin», «Fachpsychologin», «eidgenössisch anerkannter Psychotherapeut». Doch was bedeuten diese Fachtitel? Und welche Ausbildung hat welchen Stellenwert?

Diese Informationsfülle überfordert viele Betroffene, stellt die Zürcher Psychotherapeutin Laure Helfgott fest. «Die meisten meiner Patienten kennen nicht mal den Unterschied zwischen Psychologin, Psychotherapeut und Psychiaterin. Wie sollen sie da wissen, was sie erwarten können?»

Bei ernsthaften Erkrankungen spiele es aber sehr wohl eine Rolle, an wen die Patienten gelangen. So dürfe eine psychologische Beraterin gemäss Gesetz keine Krankheiten behandeln (siehe Infobox «So findet man psychologische Hilfe»). Sanasearch teilt mit, man akzeptiere nur Therapeuten, die von Krankenkassen anerkannt sind. Zudem fordere man Therapeuten in einer Infobroschüre auf, nur jene Behandlungsfelder anzugeben, für die sie qualifiziert sind. 

Beziehung zu Therapeut muss stimmen

Was Ratsuchende bei Sanasearch nicht sehen: Es gibt Therapeuten, die für ihren Platz auf der Liste bezahlen. Die Firma hält entgegen, dass diese nur dann auf dem ersten Platz erschienen, wenn die ausgewählten Suchkriterien für mehrere Therapeuten passten. Nadia Pernollet von der Stiftung Pro Mente Sana kritisiert dennoch: «In erster Linie muss für eine erfolgreiche Therapie die Beziehung stimmen.»

Manche Betroffenen wünschen sich aber eine Therapeutin, die auf ihr Problem spezialisiert ist. Hier fehle bei den Verbänden eine übersichtliche Einordnung, findet Therapeutin Helfgott. Statt dass es eine Übersichtsseite zu psychischer Gesundheit gibt, informiere jede Fachgesellschaft für sich. «Und oft in einem Fachjargon, der für die meisten nicht verständlich ist.»

«Die Informationen sind meist in einer so komplizierten Fachsprache, sodass sie Patienten nicht verstehen.»

Laure Helfgott, selbständige Psychotherapeutin aus Zürich

Die Spezialisierung eines Therapeuten sei gar nicht so wichtig, sagt Psychiater und Psychotherapeut Daniel Teichman. «Psychiater sind für alle Krankheitsbilder ausgebildet.» Teichman ist bei der Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie zuständig für www.therapievermittlung.ch – eine mit monatlich 3100 Suchanfragen häufig konsultierte Seite. «Viel wichtiger sind für Patienten oft Kriterien wie die Sprache oder ob es ein Mann oder eine Frau ist.»

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Patienten müssen etwas verändern wollen

Für Susanne Weber war es ein Glück, dass sie eine Psychologin fand, die sie ernst nahm. «Sonst hätte ich damals wohl wieder aufgegeben. Nicht jede Therapeutin kann gut mit Traumata umgehen.» Mit ihrer Psychologin habe die Chemie auf Anhieb gestimmt. «Eine Ausbildung und die Art der Therapie sagen noch nichts darüber, ob die Person mit mir umgehen kann.» Eines dürfe man aber nicht vergessen: «Damit eine Therapie wirkt, muss der Betroffene auch wirklich etwas verändern wollen und Geduld haben – Therapeuten können auch nicht zaubern

Bei Heidi Schenker dauerte es zehn Jahre, bis sie ihre Essstörung überwunden hatte. Heute sieht die 43-Jährige diese Phase aber nicht mehr als Handicap, sondern als Ressource. «Dank meiner Krankheit habe ich mich stark mit mir auseinandergesetzt. So kann ich heute als Körpertherapeutin und Persönlichkeitscoach viel besser auf Klienten eingehen.»

Tipps: So findet man psychologische Hilfe

Welche Therapie eignet sich?

Es gibt Psychotherapien, die Ursachen für ein Problem ergründen (etwa Psychoanalyse), und solche, die den Fokus eher auf den Ist-Zustand und die Zukunft legen (zum Beispiel Verhaltenstherapie). Eine Übersicht bietet www.psychologie.ch unter «Welche Therapie passt zu mir?».
 

Wie finde ich die passende Therapeutin?

  • Das wichtigste Kriterium ist Sympathie. Wer jedes Mal nur sehr ungern hingeht und nicht offen reden kann, ist am falschen Ort.
  • Vor dem ersten Termin Stichworte notieren, was einem in der Therapie wichtig ist, und in den ersten zwei, drei Sitzungen darauf achten, ob das Gegenüber das erfüllt.
  • Beobachten, ob die Therapie nach einigen Sitzungen Effekte zeigt (keine riesigen Veränderungen Psychotherapie «Nur eine endlose Plauderei» erwarten, sondern kleine Schritte).
  • Geduldig, aber kritisch sein Psychotherapie «Ein Sofakissen als Wächter?» . Wenn man Bedenken bezüglich Methode oder Therapeutin hat, sollte man sie ansprechen. Wenn sich die Situation nach ein, zwei Sitzungen nicht bessert, einen Wechsel der Therapeutin in Betracht ziehen.
  • Der Therapeut sollte in einem guten Mass fordern, aber nicht überfordern.


Wo kann ich mich hinwenden, wenn ich Mühe habe, einen Therapeuten zu finden?

  • Viele psychiatrische Kliniken haben ein Ambulatorium mit Sprechstunden. Hier wird abgeklärt, ob eine Erkrankung vorliegt, und man erhält Adressen von passenden Therapeuten.
  • Bei Notfällen hilft die Dargebotene Hand (Telefonnummer 143) oder die kantonale Notfallpsychiaterin.
  • Die psychosoziale Beratung von Pro Mente Sana hilft, die passende Anlaufstelle zu finden, vermittelt aber keine Therapeuten. Die Telefonberatung steht unter der Nummer 0848 800 858 von Montag bis Donnerstag zur Verfügung (Details zur Erreichbarkeit unter www.promentesana.ch)
  • Der Fachverband FSP (Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen) führt auf www.psychologie.ch eine Liste seiner Mitglieder.
  • Der Schweizerische Berufsverband für angewandte Psychologie (SBAP) führt unter www.sbap.ch ebenfalls eine Liste ihrer Mitglieder. Hier kann man die Liste mit einem Mausklick in Psychotherapeutinnen und Psychologen unterteilen – je nach den eigenen Bedürfnissen (siehe «Wer darf was behandeln und wer zahlt?» oben).
  • Die Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (ASP) führt unter www.psychotherapie.ch eine Liste ihrer Mitglieder. Patienten können die Auswahl mit verschiedenen Kriterien wie Symptome oder Sprache filtern.
Wissen, was dem Körper guttut.
«Wissen, was dem Körper guttut.»
Chantal Hebeisen, Redaktorin
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