Das war diese Woche richtig wichtig
Wurde die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher? Und wo gings rückwärts? Der Überblick des Beobachters für die Woche vom 10. November 2024.
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein. Es sind diesmal ein paar mehr als gewohnt, denn hohe Gerichte haben diese Woche zwei Entscheide gefällt, die uns wichtig scheinen. Wir haben sie Ihnen am Schluss des Newsletters kurz aufgelistet.
Die Themen:
- Abstimmungen: Politisieren Bundesrat und Parlament an der Bevölkerung vorbei?
- Bundesgericht: «Ärztehopping» nicht mehr erlaubt – auch ausserhalb von Sparmodellen
- Klimawandel: Wer soll das bezahlen? Die Verhandlungen laufen
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Das Zitat der Woche
Wenn Sie unseren Nachrichtenüberblick schon länger lesen, dann erinnern Sie sich vielleicht an unsere Prognose von Anfang Jahr: «Im Jahr 2024 wird in Bern heftiger und häufiger über Geld gestritten als in anderen Jahren.» So kam es denn auch. Oder auf Parlamentsdeutsch:
«Einige sind mit den Anträgen der Finanzkommission zufrieden, einige nicht.» – Sarah Wyss, Präsidentin der Finanzkommission des Nationalrats
Weil dem Bund in den kommenden Jahren Milliarden im Budget fehlen, wird intensiv über Einschnitte gestritten, werden Arbeitsgruppen einberufen, und es wird um Prioritäten gerungen. Diese Woche hat die bürgerliche Mehrheit der Finanzkommission mal klargemacht, wo sie nicht sparen will (Armee und Landwirtschaft) und wo gut etwas weg kann (Entwicklungshilfe und Asyl). Sie ahnen wahrscheinlich, wie das links der Mitte ankam. Und welchem Lager die zitierte Kommissionspräsidentin Wyss angehört. Fortsetzung folgt. Definitiv.
Abstimmungen: Politisieren Bundesrat und Parlament an der Bevölkerung vorbei?
Darum gehts: Am Sonntag in einer Woche sind eidgenössische Abstimmungen. Letzte Umfragen zeigen: In drei von vier Fällen hat das Ja-Lager an Boden verloren. Sowohl der Autobahnausbau als auch die beiden Lockerungen des Mieterschutzes könnten scheitern. Einzig die kleine Reform der Gesundheitskostenverteilung (die Efas) ist auf Kurs.
Warum das wichtig ist: Bundesrat und Parlament haben zu allen vier Vorlagen die Ja-Parole ausgegeben. Der Autobahnausbau ist ein Prestigeprojekt des zuständigen Verkehrsministers Albert Rösti. Sollten die Vorlagen scheitern, wäre es das dritte Mal in diesem Jahr, dass das Stimmvolk der Regierung und dem Parlament nicht folgt. Im September scheiterte die Rentenreform deutlich. Und im März wurde die 13. AHV-Rente deutlich angenommen. Langsam aber sicher kann man von einer Vertrauenskrise sprechen. Die Stimmbevölkerung folgt der Linie des Bundesrates immer seltener. Dafür spricht auch eine Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern. Gerade mal 42 Prozent der Befragten geben an, sich auf die Regierung zu verlassen. Ein historisch schlechter Wert.
⇒ Jetzt lesen: Darum gehts bei den Vorlagen zum Mietrecht
Über «Das war richtig wichtig»
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.
Bundesgericht: «Ärztehopping» nicht mehr erlaubt – auch ausserhalb von Sparmodellen
Darum gehts: Ist das Hin- und Herwechseln zwischen medizinischen Fachpersonen zu exzessiv, darf die Versicherung einschreiten. Das hat das Bundesgericht diese Woche entschieden. Sogenanntes Ärztehopping soll damit unterbunden werden. Grund für das Urteil ist eine Klage gegen die Krankenkasse Helsana, welche die häufigen – und vor allem wechselnden – Arztbesuche einer Kundin stoppte. Das Bundesgericht gibt Helsana nun recht, dass in solchen Fällen eine Erstanlaufstelle in Form eines «Gatekeepers» eingesetzt werden dürfe, bei der sich Versicherte zuerst melden müssen.
Warum das wichtig ist: Das neue Urteil räumt den Krankenkassen mehr Handlungsspielraum ein. Grundsätzlich ist der Einsatz einer Erstanlaufstelle für Sparmodelle reserviert, etwa das Telmed-Modell, bei dem vor einem Arztbesuch zunächst angerufen werden muss, um eine Erstdiagnose zu erhalten. Bereits knapp 1,25 Millionen Schweizerinnen und Schweizer sind über dieses günstigere Modell versichert. Doch auch wer mehr für die Krankenkasse bezahlt, könnte künftig zum Sparmodell «verdonnert» werden. Begründet wird das Bundesurteil mit der Vorgabe von Versicherungen, wonach diese nur für Behandlungen zahlen, die «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sind. Dies sei im konkreten Fall der Helsana nicht gegeben gewesen – die Arztbesuche waren demnach zu unkoordiniert.
Das sagt der Beobachter: Dass viele Schweizerinnen und Schweizer aus nachvollziehbaren Gründen auf ein Sparmodell verzichten, zeigt nicht zuletzt ein Bericht des Beobachters: Nutzer des Telmed-Modells klagten über unhaltbare Wartezeiten am Telefon, auch in Notfällen. Der versprochene 24-Stunden-Service der Anbieter wird in Frage gestellt. Mehr dazu lesen Sie hier:
⇒ Jetzt lesen: Stundenlanges Warten auf die Telefon-Ärztin
Klimawandel: Wer soll das bezahlen? Die Verhandlungen laufen
Darum gehts: Am Montag startete in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, der 29. Uno-Klimagipfel. «Wir müssen uns auf ein neues globales Ziel für die Klimafinanzierung einigen», sagte Simon Stiell, Uno-Exekutivsekretär, in seiner Eröffnungsrede. Es geht in der zwei Wochen dauernden Konferenz also um viel, viel Geld. 2022 wurden zum ersten Mal international über 100 Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung der Klimakrise bereitgestellt. Nötig wäre aber mindestens das Zehnfache. Doch wer soll dafür aufkommen? Darüber wird in Baku verhandelt.
Warum das wichtig ist: «Ein ambitioniertes neues Klimafinanzierungsziel liegt ganz im Eigeninteresse jeder einzelnen Nation, auch der grössten und reichsten», versuchte Uno-Exekutivsekretär Stiell die 80’000 erwarteten Teilnehmenden auf eine Lösung einzuschwören. Denn: 2100 wird unser Planet im Schnitt zwischen 2,5 und 2,9 Grad wärmer sein als noch im vorindustriellen Zeitalter – mit immer öfter katastrophalen Folgen. Darum muss mehr Geld fliessen, um erneuerbare Energien zu fördern und unausweichliche Klimafolgen zu mildern. Die Schweiz will sich in Baku dafür einsetzen, «dass alle Länder nach ihren Möglichkeiten dazu beitragen» – insbesondere mit neuen Marktmechanismen, um Emissionsreduktionen im Ausland ans eigene Klimaziel anrechnen zu lassen.
Das sagt der Beobachter: Im offiziellen Mandat der Schweiz wird die Verantwortung den «wohlhabenden Ländern mit hohem Treibhausgas-Ausstoss» zugeschoben – USA, Frankreich, Deutschland, aber auch China oder Saudi-Arabien. Unterschwellig klingt dabei mit, dass die Schweiz sich nicht zu dieser Gruppe zählt. Tatsächlich belegen wir aber den 13. Platz, wenn es um den durch Konsum verursachten CO₂-Ausstoss pro Kopf geht. Auch die Schweiz hat also eine Verantwortung – und einen Hebel, der nicht zu vernachlässigen ist.
⇒ Jetzt lesen: Ist die Schweiz gut im Klimaschutz?
Auch sonst war diese Woche einiges los. So haben zwei hohe Gerichte diese Entscheide gefällt, die uns wichtig scheinen:
- Die «Pille danach» darf weiterhin nur in Apotheken nach einem Fachgespräch mit der Apothekerin oder dem Apotheker abgegeben werden. Das Bundesgericht hat die Zulassungsinhaberin abblitzen lassen.
- Die Schweiz darf einen homosexuellen Iraner nicht abschieben. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass nicht genau genug abgeklärt wurde, ob er dort um sein Leben fürchten muss.
Geschrieben haben diesen Überblick diesmal Oliver Fuchs, Fabienne Niederer und Florian Wüstholz.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.