«News sind Dinge, die jemand nicht gedruckt sehen will. Alles andere ist Werbung.» Wie so oft bei starken Zitaten weiss niemand mehr genau, wer das zuerst gesagt hat.

Sicher ist nur: Der Spruch ist über hundert Jahre alt – und fast alle Journalistinnen und Journalisten sind ihm irgendwann in ihrer Karriere begegnet.

Thomas Angeli schreibt über Dinge, die andere lieber nicht im Beobachter sähen.

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Beobachter-Reporter Thomas Angeli zeigt das Zitat in den Recherche-Kursen, die er unterrichtet. Er schreibt oft und gern über Dinge, die andere lieber nicht im Beobachter publiziert sähen. Über Tabak-Lobbyisten zum Beispiel, die den Jugendschutz eigentlich am liebsten im Stillen aushebeln würden. Oder über den Vereinspräsidenten, der in der Vermischung von Amt und Privatleben kein Problem sieht.

Zur Person:

Wie findet er diese Geschichten? Und wie kann er sicher sein, dass auch stimmt, was er schreibt?

Thomas Angeli, wir sitzen oft nebeneinander im Büro. Deshalb muss ich jetzt mal fragen: Sie telefonieren ständig – machen Sie das eigentlich gern?
Früher habe ich extrem ungern telefoniert – unterdessen mache ich es lieber.

Mit wem telefonieren Sie denn gern?
Natürlich ist es meistens einfacher, mit einem Opfer zu telefonieren als mit einem Bad Guy. Anderseits versuche ich mir immer bewusst zu sein: Niemand, mit dem ich für meinen Job telefoniere, ist mein persönlicher Feind.

«Ich gehe gern einfach mal hin und klingle an der Tür.»

Thomas Angeli, Reporter beim Beobachter

Und natürlich muss man allen die Gelegenheit geben, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Was ich übrigens seit ein paar Jahren fast noch lieber mache, als anzurufen: einfach mal hingehen und an der Tür klingeln.

Funktioniert das?
Ja, allerdings selten. Meistens scheitert man sowieso daran, dass das Gegenüber die Fragen nur schriftlich beantworten will. Und dann gehen die Antworten oft zuerst noch bei irgendeinem Anwalt über den Tisch. Oder ganz schlimm: bei einer PR-Agentur. Am Ende kommt dann total glatt poliertes Zeug zurück.

Wenn ich als Journalist irgendwo anrufe, habe ich das Gefühl, dass sich unterdessen fast alle nur noch per E-Mail mit mir unterhalten wollen. Bei Ihnen auch?
Tragischerweise ja. Wobei: Man schützt sich auch selbst, wenn man jemandem, über den man kritisch berichten will, die Fragen schriftlich stellt. Aus der Antwort kann man dann frei zitieren.

«Gerade auch beim Bund ist es mit Antworten unglaublich mühsam geworden.»

Wenn man mündlich fragt, kann der andere dann wieder das Recht auf Gegenlesen geltend machen. Aber es ist teilweise wirklich unglaublich mühsam geworden. Gerade auch beim Bund. Ich habe eine Hintergrundfrage, und man will das sofort schriftlich. Ich will doch nur etwas besser verstehen – nicht eine Stellungnahme abholen! Mühsam.

Apropos abholen: Wie kommen Sie auf Ihre Geschichten? Sie lesen einfach viel mehr Zeitung als ich?
Es ist eine Kombination. Wir haben beim Beobachter die Plattform sichermelden.ch, auf der man uns anonym Hinweise geben kann. Manche Leute rufen einfach in die Redaktion an. Und dann hat man natürlich mit der Zeit seine Themen und sein Netzwerk – man wird zum ersten Journalisten, der angerufen wird, wenn es um etwas Bestimmtes geht. Und manchmal ist es einfach Zufall.

Nehmen wir an, es ruft jemand an und sagt, Putin habe heimlich geheiratet – und Johann Schneider-Ammann sei an seiner Hochzeit gewesen. Hängt man da den Hörer gleich ab? Und wenn nein: Was macht man stattdessen?
Na ja, erst einmal würde ich sicher ein bisschen zuhören. Wäre schon eine lustige Geschichte. Aber vor allem bräuchte ich in dem Fall sehr schnell Beweise – und zwar ganz harte. Ein Foto von Johann Schneider-Ammann an Putins Hochzeit würde ich aber sehr genau auf Manipulationen hin überprüfen.

Was ist für Sie ein harter Beweis? Gerade wenn es um jemand Mächtigen geht, der dann die Anwältinnen losschickt. Was braucht man, um etwas mit gutem Gewissen im Beobachter zu bringen?
Immer hilfreich: offizielle Dokumente. Gerichtsurteile, Handels- und Betreibungsregisterauszüge, Strafbefehle und so weiter. Dann: Fotos. Wobei diese heute eben auch sehr manipulierbar sind.

«Ein Foto von Johann Schneider-Ammann an Putins Hochzeit würde ich sehr genau prüfen.»

Fotos muss man also sehr kritisch prüfen – technisch und mit gesundem Menschenverstand.

Nehmen wir an, Sie haben gerade kein bombenfestes Dokument vor sich, sondern sprechen mit einem Menschen. Was macht eine vertrauenswürdige Erzählerin aus?
Eine gute Quelle ist sicher jemand, der ohne Widersprüche erzählt. Und nicht schemenhaft. Da habe ich tatsächlich viel an Gerichtsverfahren gelernt – über Aussagepsychologie.

«Wenn jemand sehr detailhaft ausschmückt, ist das ein Warnsignal.»

Es ist zum Beispiel normal, dass man ein Erlebnis nicht immer exakt gleich schildert. Aber es ist ein Warnsignal, wenn jemand etwas wahnsinnig detailhaft ausschmückt. Doch vor allem kann man Informantinnen und Informanten heute sehr gut überprüfen.

Wie das?
Man schaut sich als Erstes mal an, was sie in den sozialen Medien gemacht haben. Man guckt, was sie beruflich machen.

«Man muss bei Informanten immer die Interessen prüfen.»

Oder man schaut zum Beispiel nach, ob sie alle zwei Wochen zügeln. Und am wichtigsten: Man muss immer die Interessenlage prüfen. Warum erzählt mir diese Quelle diese Geschichte? Hat sie ein echtes, eigenes Bedürfnis nach Gerechtigkeit? Oder will sie jemandem ans Bein pinkeln?

Und weil man sich nie ganz sicher sein kann, gibt es beim Beobachter die Zwei-Quellen-Regel?
Ja – und man tut sich selber wirklich einen riesengrossen Gefallen, wenn man sich daran hält. Das bedeutet: Man sucht zwei voneinander wirklich unabhängige Quellen, die denselben Fakt stützen. Also zum Beispiel zwei Menschen, die sich nicht kennen. Oder zwei glaubwürdige Dokumente von unterschiedlichen Absendern.

Apropos Quelle: Die Amerikaner haben den schönen Ausdruck der «smoking gun». Man findet den Revolver, aus dem die Kugel kam – so frisch, dass er noch qualmt. Hatten Sie das auch schon, dass jemand meinte: «Ich geh mal kurz in den Keller», und dann den einen Beweis holte, den man monatelang vergeblich gesucht hatte?
Nicht wirklich. Das ist zu filmreif. Man träumt von so einem Moment. Und klar spielt einem ab und zu ein Zufall in die Hände. Aber meistens ist es einfach Arbeit. Und oft richtig viel Arbeit.