Wie sich die Schweiz selbst ernähren könnte
Eine Studie zeigt: Die Schweiz kann genug Lebensmittel produzieren, um die ganze Bevölkerung zu ernähren. Aber anders, als es der Bauernverband propagiert.
Veröffentlicht am 14. April 2022 - 12:01 Uhr
Der Krieg in der Ukraine weckt die Angst vor Engpässen. Weil die Ukraine und Russland dieses Jahr keinen Weizen exportieren, droht weltweit eine Nahrungskrise. Die Schweiz ist davon kaum betroffen. Doch um unabhängiger zu werden, müsse die Schweiz die Selbstversorgung steigern, fordern SVP und Bauernverband. Dazu müsse man die Produktion hochfahren und Umweltstandards senken.
Heute importieren wir etwa die Hälfte unseres Essens. Es wäre möglich, den Selbstversorgungsgrad deutlich zu erhöhen. Wie auf den vorhandenen Flächen am meisten Nahrung produziert werden könnte, zeigt ein Modell, das die Bundesforschungsanstalt Agroscope im Auftrag des Bundes entwickelt hat. In diesem Notfallszenario werden weder Nahrungsmittel noch Tierfutter importiert. Dünger, Diesel und Maschinen sind aber frei verfügbar. Dank viel mehr Kohlenhydraten und weniger Fleisch ist es knapp möglich, die ganze Bevölkerung zu ernähren. Pro Person und Tag stehen 2300 Kalorien zur Verfügung. Das reicht zum Überleben.
Fertig mit Risotto und Polenta
Der Fleischkonsum müsste von 140 auf 40 Gramm pro Tag zurückgehen. Dafür gibt es mehr Bratkartoffeln oder Rösti, 300 statt 120 Gramm wie heute. Auch Getreide essen wir mehr – als Brot. Pasta, Reis und Polenta sind passé, sie werden importiert. Wir verspeisen mehr Gemüse: Rüebli und Chabis statt Avocado und Peperoni. Der Früchtekonsum bricht ein. Statt Orangen und Kiwi gibts Äpfel und Birnen. Fertig ists mit dem Feierabendbier. Wenn ausländischer Hopfen und Malz auch verloren sind, bleibt Wein. Etwa halb so viel wie heute.
Insgesamt ist das Menü weniger abwechslungsreich. Die Landwirte müssen mehr direkt verwertbares Essen anbauen – und kein Tierfutter mehr (wie etwa Mais), das heute auf 60 Prozent der Schweizer Ackerfläche wächst. Die Tierhaltung geht stark zurück, weil «die direkte Verwertung pflanzlicher Nahrung energetisch effizienter ist als die Verfütterung an Nutztiere», schreibt Agroscope. Der Bestand an Schweinen und Geflügel schrumpft auf einen Zehntel. Denn sie fressen – zur Hälfte importierte – Ackerfrüchte. Kühe gibt es etwa gleich viele. Sie ernähren sich von Grasland, dem Grossteil der hiesigen Agrarfläche.
Die wissenschaftliche Modellierung zeigt: Zur Erhöhung des Selbstversorgungsgrads müssen wir mehr Pflanzen selber essen, statt sie zu verfüttern. Davon wollen SVP und Bauernverband nichts wissen. Sie fordern den Verzicht auf Ausgleichsflächen, die zugunsten der Artenvielfalt extensiv genutzt werden. Dabei handelt es sich um weniger als ein Prozent des Ackerlandes. «Eine Intensivierung dieser Fläche bringt nicht viel», sagt Agroscope-Forscher Albert von Ow. Es seien eher ungünstige Produktionsstandorte, die ohnehin wenig hergäben.
Internationaler Aufruf von 400 Wissenschaftlern
Selbstversorgung sei kein Selbstzweck, betont ETH-Agronomieprofessor Robert Finger. Gemäss Bundesverfassung soll die Landwirtschaft Nahrung bereitstellen, aber auf nachhaltige Weise. Finger rät davon ab, ökologische Standards zu senken: «Wir schädigen die Ressourcen und damit die Produktionsgrundlagen, wenn wir nicht umweltfreundlich Landwirtschaft betreiben.»
Er unterschrieb einen internationalen Aufruf von 400 Wissenschaftlern. Angesichts der Krise solle man mehr pflanzliche statt tierische Produkte konsumieren, nicht die Landwirtschaft intensivieren. Es sei genug Nahrung da, wenn man sie richtig nutze.
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7 Kommentare
Dass sich die Schweiz selber ernähren könnte, ist erfreulich. Doch die Studie ist einseitig ausgefallen. Man kann nicht nur auf die Anzahl Kalorien achten, sondern die Anteile an Kohlehydraten, Eiweiss, Fetten und Mineralien sind zu berücksichtigen. Mehr Gemüse ist bestimmt gesund, aber auch eiweisshaltige Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen, Linsen können vermehrt angebaut werden. Auf Polenta muss man nicht verzichten, statt Futtermais könnte mindestens teilweise Körnermais kultiviert werden, auch Hartweizen für Teigwaren. Reis wächst ebenfalls in der Schweiz, wenn auch bisher wenig. Sogar Hopfen und Malz kann man in unserem Land produzieren, wobei weniger Hopfen wohl gesünder wäre. Man sieht, eine abwechslungsreiche und gesunde Kost ist möglich, innovative Landwirte sind gesucht.
Mit den Preissteigerungen für Fleisch und Südfrüchte sowie mit dem Klimawandel wird der Vorschlag der ETH sicher wieder mehr Berücksichtigung finden. Die Planwirtschaft der SVP wird nicht viel mehr bringen als die rasche Verschwendung von Ressourcen. Die neuen Ackerflächen sind schnell bepflanzt und alles an die Tiere verfüttert. Dafür bleibt nichts mehr für die Menschen übrig. Die Bauern müssen Produkte anpflanzen, die in unseren Breitengraden gut wachsen und gedeihen. Ansonsten wird die Ernährungssicherheit schnell flöten gehen. Das hat man in sämtlichen Kolchosen auf die harte Tour lernen müssen.
Das aller aller allereinfachste ist weniger zu essen. Wir essen einfach zuviel und sind zu verwöhnt. Einfachheit ist die Lösung für vieles. Man schätzt die Nahrung die man zu sich nimmt dann wieder viel mehr. Selbstversorgung finde ich ein super Thema das in der Zukunft immer wichtiger werden wird.
Wir Schlüsselkinder 1945/46/51 danke kennen wir zur genüge. Täglich Salzkartoffeln, Teigwaren, Margarine, Zuckerbrot (Brot befeuchtet und Zucker drauf) wenn Fleisch dann Lunge/Herz od. höchstenfalls Brustspitzchen.
Auch wenn wir die Essgewohnheiten ändern wird es nie reichen, wenn der Zustrom in die Schweiz weiter so anhält.
Wasser, Energie und die Ernährung wird zur Mangelware werden. Träumt weiter.