Das Heizkosten-Orakel
Um die langfristigen Kosten einer ökologischen Heizungsvariante zu kennen, müsste man tief in die Kristallkugel schauen. Selbst Experten haben mehr Fragen als Antworten.
Veröffentlicht am 6. Juli 2020 - 17:10 Uhr
Schöne Probleme, die gibt es auch. Beispielsweise wenn man darüber brütet, welche ökologische Heizungsvariante man installieren möchte, und dann merkt: Man hat die Qual der Wahl! Bezüglich Umweltfreundlichkeit sind alle ähnlich, und sämtliche Varianten, die der Heizungsplaner vorgeschlagen hat, sind unterm Strich günstiger als die verpönte Ölheizung. Auch ist in der Rechnung des Planers alles drin: die Investitionskosten genauso wie die kommenden Energie- und Unterhaltskosten. Somit weiss man ziemlich genau, welche Variante wie viel Heizkosten pro Jahr verursacht.
Bis einem bewusst wird: Gerechnet hat der Experte mit den heutigen Preisen für Strom, Pellets oder Fernwärme. Aber was, wenn sich diese in den nächsten 30 Jahren drastisch ändern? Dann könnte die günstigste Variante plötzlich zur teuersten werden. Denn die Preise der bezogenen Energie beeinflussen logischerweise die Jahreskosten. Dies kann einfach im entsprechenden Rechner des WWF ausprobiert werden.
Gemäss diesem belaufen sich heute die jährlichen Heizkosten für ein Haus mit rund 200 Quadratmeter Energiebezugsfläche mit einer Erdsonden-Wärmepumpe auf gut 3300 Franken (bei einem Strompreis von 21 Rp/kWh). Geht man davon aus, dass der Strompreis auf die Werte steigt, die das Bundesamt für Energie (BFE) in einer Modellrechnung annimmt (2030: 30,6 Rp/kWh, 2040: 32,3 Rp/kWh), dann erhöht sich die Rechnung um 400 bis 500 Franken pro Jahr. Ab 2030 ergäbe das über die Restlebensdauer der Wärmepumpe einen Mehrpreis von gut 10'000 Franken im Vergleich zur Offerte. Doch wie realistisch ist diese Rechnung überhaupt?
«Antworten auf diese Fragen traue ich niemandem zu. Das wäre reinste Spekulation», sagt Sandro Pfammatter, Mediensprecher beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE. «Das vorauszusagen, ist unmöglich», sagt auch Simon Witschi, Leiter des Kommissionssekretariats der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom). Ähnlich tönt es, wenn es um Prognosen der künftigen Preise für Energieträger wie Fernwärme oder Pellets geht. «Ganz schwierig», so das Fazit von Robert Diana, Leiter Fachbereich Heizung beim Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband Suissetec. Und auch Martina Caminada, Geschäftsleiterin des Vereins der Schweizer Holzpelletbranche Propellets, will lieber nicht orakeln: «Wir haben weder Daten zur künftigen Preisentwicklung, noch sind mir Studien zu solchen Zukunftsszenarien bekannt.»
Den Blick in die Kristallkugel gewagt hat im Jahr 2012 dafür das BFE in der Modellrechnung «Die Energieperspektiven für die Schweiz bis 2050». Wobei auch beim BFE wieder relativiert wird: «Das sind keine Preisprognosen, sondern Preisszenarien. Unsere Modelle erlauben nur Wenn-dann-Analysen», sagt Olivier Baillifard, Fachspezialist Analysen und Perspektiven beim BFE.
So könnten sich im Szenario «Weiter wie bisher» die Strompreise im Vergleich zu 2010 bis ins Jahr 2050 um 22 Prozent erhöhen, jene für Fernwärme um 64 Prozent und für Holz um 42 Prozent. Im Szenario «Neue Energiepolitik» könnten die Strompreise aber bereits um 42 Prozent, die Fernwärme um 78 Prozent und Holz um satte 248 Prozent steigen. Aber Achtung: Die Zahlen aus dem Jahr 2012 sind mittlerweile mit Vorsicht zu geniessen. Darauf weist auch Baillifard vom BFE hin: «Damals gingen wir etwa noch von einer geringeren Elektrifizierung der Fahrzeuge und von einer weniger starken Nachfrage bei den Wärmepumpen aus.» Deshalb ist man beim BFE derzeit daran, die Energieperspektiven zu überarbeiten.
Dann wird sich auch die extreme Preissteigerung beim Holz im Szenario «Neue Energiepolitik» nicht mehr so präsentieren. Denn 2012 erwartete das BFE noch, dass Holz künftig vermehrt zur Produktion von Strom verwendet würde. Ausserdem ist anzumerken, dass vom Holzpreis nur indirekt auf die Pelletpreise geschlossen werden kann, da Pellets aus Resten der holzverarbeitenden Industrie stammen. Auch dem Laien wird klar: Derart viele Faktoren scheinen die Energiepreise zu beeinflussen, dass Prognosen tatsächlich kaum möglich sind. Immerhin können einige Tendenzen zumindest abgeschätzt werden.
«Der Ausstieg aus der Kernenergie und die Dekarbonisierung könnten das Stromangebot verknappen und die Preise steigen lassen», sagt Simon Witschi von der Elcom. Und Robert Diana von Suissetec wirft Fragen zu Entwicklungen auf, die den Preis beeinflussen könnten: Was machen Bund und Kantone bezüglich Eigenstromproduktion der Hauseigentümer? Wie hoch wird der Inlandanteil bei der Stromproduktion sein? Was passiert im Ausland? Wird Deutschland tatsächlich seine Kohlekraftwerke stilllegen und Frankreich schrittweise aus der Atomkraft aussteigen? Wie schnell entwickelt sich der Strassenverkehr weiter in Richtung Elektromobilität, und welche Rolle spielen künftig andere alternative Antriebssysteme wie Wasserstoff?
Da sich der Stromtarif zu 40 Prozent aus den Energiekosten, zu 20 Prozent aus Abgaben und zu 40 Prozent aus den Netzkosten zusammensetzt, werden ein Ausbau des Stromnetzes und dessen Unterhalt ebenfalls einen grossen Einfluss auf die Preise haben. Etwas Unabhängigkeit vom Strommarkt und seinen Preisen gewinnt, wer zur Wärmepumpe eine eigene Fotovoltaikanlage installiert.
«Wenn die Nachfrage nach Energie weiterhin so wächst, muss davon ausgegangen werden, dass die Preise für alle Energieträger steigen», sagt Martina Caminada von Propellets. Sie erwartet, dass sich der Pelletpreis analog zu den Preisen für andere erneuerbare Energieträger entwickeln wird. Der Selbstversorgungsgrad beim Holzbrennstoff liegt in der Schweiz bei knapp 74 Prozent – der Rest kommt fast ausschliesslich aus Österreich, Deutschland und Frankreich. «Was in diesen drei Ländern bezüglich Pelletpreisen passiert, kann auch die Preise bei uns beeinflussen», so Caminada. Und nicht zuletzt hat auch die Bautätigkeit mit Holz einen Einfluss: Je mehr hierzulande mit Schweizer Holz gebaut wird, desto mehr Holzresten fallen an. Dies wiederum vergrössert das inländische Pelletangebot, was die Preise sinken lassen könnte.
Da hier die Energie je nach Anbieter ganz unterschiedlich hergestellt wird (Kehrichtverbrennungsanlage, Kläranlage, Holzschnitzelheizung et cetera), sind kaum allgemeingültige Aussagen zur Preisentwicklung zu machen.
Wer seine Heizkosten für die nächsten 30 Jahre abschätzen möchte, kann also das Orakel oder die Experten befragen – eine hilfreiche Antwort wird so oder so ausbleiben. In zwei Punkten ist sich die Mehrheit der befragten Experten aber einig: Erstens werden die Preise wohl für alle Energieträger steigen. Und zweitens sämtliche ökologischen Heizungsvarianten trotzdem noch günstiger sein als eine Ölheizung – denn gerade beim Ölpreis geht man von starken Preissteigerungen aus. Und kommt das geplante CO2-Gesetz mit den höheren Abgaben durch, verliert diese unökologische Variante gleich noch mal an Boden.