Wenn der Lärm zu viel wird
Wenn es zu Hause zu laut ist, kann man eine Mietzinsreduktion fordern. Bloss: Wann ist laut zu laut? Eine Expertin gibt Auskunft.
Veröffentlicht am 1. März 2019 - 08:00 Uhr
Ein Presslufthammer rattert vor dem Haus. Oder die Nachbarn streiten wieder. Lärm in der Wohnung ist belastend. Die Wohnung gehöre zur Privatsphäre, bekräftigte das Kreisgericht St. Gallen kürzlich in einem Urteil. Sie sei ein Ort, wo man sich zurückziehen, ausruhen und wohl fühlen können soll. Schlafen, Kochen, Empfang von Besuch, Entspannung und Erholung müssten nicht nur nachts, sondern auch tagsüber möglich sein. Gemäss Gesetz hat ein Mieter Anspruch auf eine Mietzinsreduktion, wenn er «im Gebrauch seines Mietobjekts» gestört wird (siehe weiter unten «Die volle Miete für eine Bruchbude?»). Das ist bei übermässigen Lärmimmissionen der Fall. Doch was heisst «übermässig»? Und wie können Mieter vorgehen?
Der Vermieter muss Umbauarbeiten rechtzeitig ankündigen und die Bewohner über die voraussichtliche Dauer informieren. Bei der Ausführung muss Rücksicht auf die Interessen der Mieter genommen werden.
Beobachter: Wie soll man sich verhalten, wenn man unter Baulärm leidet, der vom Vermieter verursacht wird?
Carmen Wettstein: Dem Mieter ist zu raten, sich sofort per Einschreiben beim Vermieter über die Störung zu beschweren. Er soll darin ankündigen, dass er nach Abschluss der Bauarbeiten – wenn das Ausmass der Einschränkungen im Gebrauch der Wohnung bekannt ist – noch mit einem Antrag auf Mietzinssenkung auf ihn zukommen wird.
Wie beweist man die Beeinträchtigungen?
Ich rate dazu, möglichst viele Beweisfotos zu machen; insbesondere von den lärmverursachenden Geräten. Aber auch von störendem Baustaub und Ähnlichem. Zudem ist es ratsam, ein Lärmtagebuch zu führen.
Wie detailliert muss das sein?
Das Mietgericht Zürich hat sich 2014 dazu geäussert. Demnach kann man von einem Mieter nicht verlangen, ein lückenloses Protokoll zu führen. Bei länger andauernden Immissionen ist deren Intensität normalerweise unterschiedlich; daher sei es nicht möglich, die Beeinträchtigung Tag für Tag genau auszuweisen. Man soll aber die wichtigsten Bauphasen festhalten.
Zur Person
Auch wenn übermässiger Baulärm vom Nachbargrundstück ausgeht, kann man vom Vermieter eine Mietzinsreduktion fordern . Es spielt keine Rolle, dass er den Lärm nicht verursacht. Er kann den Betrag vom Eigentümer des Grundstücks, auf dem gebaut wird, zurückfordern. Viele Vermieter warten aber lieber darauf, dass der Mieter klagt. Sie befürchten, dass der Lärmverursacher ihnen sonst vorwirft, sie hätten den Mietzins zu stark reduziert. Vor der Schlichtungsbehörde kann der Vermieter den Eigentümer des Grundstücks ins Verfahren mit einbeziehen.
Beobachter: Wozu raten Sie Mietern, wenn sie unter Baulärm vom Nachbargrundstück leiden?
Carmen Wettstein: Man sollte den Vermieter per eingeschriebenen Brief über den Baulärm und die Beeinträchtigung im Gebrauch der Wohnung informieren. Zudem empfehle ich, anzukündigen, dass man eine Mietzinsreduktion einfordern wird, wenn die Bauarbeiten beendet sind.
Welche Beweise eignen sich?
Geeignet sind ebenfalls Fotos und ein Lärmprotokoll. Zudem rate ich, bei der ausführenden Baufirma einen Plan über die Bauphasen zu verlangen. Bei grösseren Projekten finden sich zudem viele Informationen im Internet.
Gerade in der Stadt wird überall gebaut. Habe ich auch an zentraler Lage Anspruch auf eine Mietzinsreduktion?
Es gibt mehrere Gerichtsurteile, die klar bestätigen, dass auch in städtischen Verhältnissen Lärm von einer benachbarten Baustelle einen Mangel darstellt, der zu einer Mietzinssenkung berechtigt. Das Kreisgericht St. Gallen kam in einer solchen Konstellation sogar zum Schluss, dass lange und intensive Immissionen eine Mietzinsherabsetzung von bis zu 35 Prozent rechtfertigen.
Mieter sind gesetzlich verpflichtet, auf Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Ruhebedürfnis und Privatsphäre müssen respektiert werden. Dazu gehört, keinen übermässigen Lärm zu verursachen.
Beobachter: Wie viel Lärm durch Nachbarn müssen Mieter tolerieren?
Carmen Wettstein: Das ist ein schwieriges Thema. Toleranz ist gefragt. Doch manchmal wird das Mass überschritten
– bei einem richtig lauten, allabendlichen Ehestreit in der Nachbarwohnung zum Beispiel. In vielen Fällen rate ich aber von rechtlichen Schritten ab. Vor allem wenn man als einziger Nachbar betroffen ist, ist es oft schwierig, das Mass der Beeinträchtigung zu beweisen. Zudem ist das Lärmempfinden subjektiv. Viele, die sich über zu laute Nachbarn beschweren, reagieren möglicherweise zu empfindlich.
Was gilt bei Kinderlärm?
Dagegen kann man oft nicht viel machen. Kinder darf man selbstverständlich in einer Wohnung haben, und man kann nicht verhindern, dass sie durch die Wohnung rennen und damit Getrappel verursachen. Ich empfehle, das Gespräch mit den Nachbarn zu suchen und ihnen zu sagen, dass man die Kinder sehr gut höre. Helfen kann auch, wenn im Kinderzimmer ein Teppich ausgelegt wird. Allerdings kann man die Nachbarn nicht dazu zwingen. Wenn es vor dem Haus einen Spielplatz gibt, muss man gegenüber Kinderlärm eine höhere Toleranz haben
, als wenn man in einem Haus mit Business-Apartments wohnt.
Mängel in Mietwohnungen können vorkommen. Ein angemessen reduzierter Mietzins ist aber eher selten. Wie die Gerichte urteilen, zeigt die folgende Sammlung.
Wie soll ein Mieter vorgehen, wenn die Belästigung objektiv übermässig ist?
Wenn das Gespräch nichts gebracht hat, kann man sich mit anderen betroffenen Nachbarn zusammenschliessen und gemeinsam einen Brief an den Vermieter verfassen – aus Beweisgründen per Einschreiben. Gemeinsam verfasst, hat die Rüge mehr Gewicht, auch später in einem allfälligen Gerichtsprozess. Bei einer Nachtruhestörung kann man auch direkt die Polizei rufen, damit diese für Ruhe sorgt.
Was können die Mieter vom Vermieter erwarten?
Der Vermieter sollte den Verursacher des Lärms abmahnen. Dazu kann man den Vermieter aber nicht zwingen. Die Verfehlungen müssen schon sehr schwerwiegend sein, damit ein Vermieter Massnahmen ergreift und womöglich sogar eine Kündigung ausspricht. Wenn sich die Situation trotz Abmahnung jedoch nicht merklich verbessert, können die lärmbetroffenen Mieter den Rechtsweg beschreiten
. Sie können dann zum Beispiel eine Mietzinsreduktion verlangen.
Die Vermietenden sind verpflichtet, die Liegenschaft während der gesamten Mietdauer zu unterhalten. Aber längst nicht alles, was dem Mieter nicht gefällt, ist auch ein Mangel im Sinne des Mietrechts. Mitglieder des Beobachters erhalten weitere Infos, welche Rechte die Mieterschaft hat und wie man mithilfe eines Musterbriefs die Vermieterin auf Mängel aufmerksam macht.