Monika Hirzel, HR-Abteilungen ergreifen Sanktionen gegen Angestellte, ohne dass diese erfahren, was ihnen wer genau vorgeworfen hat. Die Arbeitsrechtlerin Astrid Lienhart und der Forensiker Frank Urbaniok kritisieren diese Praxis. Sie selbst untersuchen Arbeitskonflikte seit 20 Jahren im Auftrag von Unternehmen. Teilen Sie die Bedenken?
Ja, wenn Untersuchungen so ablaufen wie von den Kritikern geschildert. Ich sehe zwei Gründe, die dazu führen können: mangelnde Erfahrung mit solchen Konflikten, die ja wahrscheinlich nicht regelmässig auftreten. Und die Angst vor Reaktionen der Öffentlichkeit, sollte ein Vorfall publik werden. Beides kann zu vorschnellen Massnahmen führen

Das Bundesgericht hat im Januar in einem Urteil festgehalten, dass ein Angeschuldigter in einem arbeitsrechtlichen Konflikt eben nicht die gleichen Rechte hat wie in einem Strafverfahren.
Das heisst aber nicht, dass er keine Rechte hat. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gilt für alle Angestellten, auch für eine beschuldigte Person.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Zur Person

Fürsorgepflicht ist etwas schwer fassbar. Was bedeutet das konkret in einem Arbeitskonflikt?
Die Pflicht, Vorwürfe ernst zu nehmen und sauber und fair abzuklären. Und Massnahmen erst aufgrund der Ergebnisse zu treffen. Das gelingt aber nur, wenn einer beschuldigten Person das rechtliche Gehör gewährt wird. Und damit sie sich überhaupt äussern, erklären oder verteidigen kann, muss sie erfahren, wer ihr was genau vorwirft. Bei der Beurteilung einer sexuellen Belästigung zum Beispiel sind die konkreten Umstände sehr entscheidend.

Ist nicht entscheidend, wie ein mutmassliches Opfer eine solche Handlung wahrnimmt?
Geht es nicht um sexuelle Übergriffe – wie ein Begrapschen oder den Klaps auf den Po, wo der Fall klar ist –, sondern um Annäherungsversuche, Komplimente, Einladungen, die von der betroffenen Person unerwünscht sind: Dann muss der Fall je nach Kontext anders bewertet werden.

Es ist relevant, ob sich die betroffene Person abgegrenzt hat, dem Gegenüber signalisiert hat, dass sie etwas nicht will. Aber auch, ob das Gegenüber wusste oder zumindest annehmen musste, dass sein Verhalten unerwünscht war. Eine wichtige Frage ist auch, ob es für die betroffene Person überhaupt zumutbar war, sich abzugrenzen. Oder gab es berechtigte Ängste, weil sie zum Beispiel in einem Abhängigkeitsverhältnis steht?

Diese Umstände müssen geklärt werden, um einen Sachverhalt beurteilen zu können. Und wenn man die beschuldigte Person nicht mit konkreten Vorwürfen konfrontiert, kann sie nicht konkret Stellung beziehen, und die Umstände bleiben unklar.

Ihr Unternehmen führt solche Untersuchungen im Auftrag von Unternehmen und Verwaltungen durch. Warum machen die es nicht selbst?
Wenn das Unternehmen, zum Beispiel das HR, von einer möglichen Verletzung der Integrität von Angestellten erfährt, ist es rechtlich dazu verpflichtet, Abklärungen und Massnahmen zum Schutz der Angestellten zu treffen.

Wie gehen Arbeitgeber richtig vor?

Sind Vorgesetzte involviert, kann schnell der Verdacht aufkommen, die Geschäftsleitung werde ihr Kader schützen. Auch fehlt unter Umständen die Sachkenntnis und Erfahrung, solche Untersuchungen durchzuführen. Es steht Aussage gegen Aussage und so weiter. Darum ist eine externe Abklärung sinnvoll.

Was beinhaltet eine solche Abklärung?
Wir befragen alle Betroffenen, Zeugen und natürlich auch die Beschuldigten. Die Befragungen finden nicht in Anwesenheit der Gegenseite statt, wie in Strafverfahren, da sich die Befragten sonst kaum öffnen und Auskunft geben würden.

Wenn dann Aussage gegen Aussage steht, keine Beweise und Zeugen vorhanden sind, machen wir eine Aussagenanalyse. Dabei prüfen wir, ob die Vorwürfe nachgewiesen sind, ob keine vernünftigen Zweifel an der erzählten Version bestehen. Danach schreiben wir einen Bericht, der auch Handlungsempfehlungen zuhanden des Auftraggebers enthält. Ob diese dann umgesetzt werden, bleibt natürlich Sache des Unternehmens.

Beschuldigte werden oft freigestellt, bis die Vorwürfe abgeklärt sind. Damit werden Vorwürfe auch schnell zu einer öffentlichen Angelegenheit. Es bilden sich Lager für oder gegen eine Partei. Stört das eine Untersuchung?
Es macht sie bestimmt nicht einfacher. Eine Freistellung schürt Erwartungen: Entweder die beschuldigte Person wird entlassen und die Beschwerdeführer hatten wohl recht, oder die Person kann bleiben und die Vorwürfe waren zu Unrecht erhoben worden.

Dabei gibt es in der Realität viele Abstufungen. Eine Verwarnung zum Beispiel wird der Belegschaft nicht kommuniziert. Eine Freistellung drängt sich als provisorische Sofortmassnahme dann auf, wenn beteiligte Personen geschützt werden müssen.

Kommt es auch vor, dass sich Vorwürfe als haltlos erweisen und aus anderen Motiven erhoben worden sind?
Auch das kommt vor. Und es gibt Solidaritätsaussagen, die eine Beschwerde stützen sollen. Es zeigt sich dann aber, dass diese Personen keine Vorgänge bezeugen können.

Hat das Konsequenzen?
Wenn es um wertlose Solidaritätsaussagen geht, hat das keine Konsequenzen. Wenn aber Vorwürfe wider besseres Wissen erhoben werden, sich also nachweislich als falsch herausstellen, dann müssen auch beschuldigende Personen mit Konsequenzen rechnen. Das würden wir in einem Bericht an das Unternehmen auch so empfehlen.

Weitere Anlaufstellen bei sexueller Belästigung oder Mobbing

Hier gibt es Beratung und Unterstützung:

Buchtipp
Mobbing – Wie wehre ich mich gegen Belästigung am Arbeitsplatz
Buchcover Mobbing