Vorsicht, Maulkorb
Arbeitnehmer sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, wenn es um Interna am Arbeitsplatz geht. Doch wo liegt die Grenze zwischen Small Talk und Geheimnisverrat?
aktualisiert am 31. Mai 2019 - 12:38 Uhr
Eine feuchtfröhliche Runde in einer Bar: Ehemalige Schulkollegen treffen sich zum Feierabendbier. Da wird über den Chef gelästert, werden Berufslaufbahnen verglichen und vielversprechende Projekte diskutiert. «Wir haben ein neues Modell entwickelt», schwärmt der eine. «Wenn wir das im Frühling auf den Markt bringen, sieht die Konkurrenz alt aus. Damit kann man nämlich…» Und schon ist das Geheimnis keines mehr.
Viele Menschen verbringen mehr Zeit am Arbeitsplatz als mit ihrer Familie. Im Job erfahren sie Neues, setzen sich mit Problemen auseinander, erleben Erfolge, aber auch Stress, Frust und Intrigen . Kein Wunder, ist der Job ein wichtiger Gesprächsstoff, ob zu Hause, im Freundeskreis oder auf sozialen Netzwerken wie Facebook.
Doch darf man das überhaupt: am Tresen über die Firma herziehen oder in trauter Runde Interna zum Besten geben? Angestellte haben gegenüber ihrem Arbeitgeber eine Treuepflicht, sie sind verpflichtet, seine berechtigten Interessen zu wahren. Dazu gehört laut Gesetz auch, «geheim zu haltende Tatsachen wie namentlich Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse» während der Dauer des Arbeitsverhältnisses weder auszuplaudern noch für sich selbst zu nutzen.
Sogar nach dem Austritt aus der Firma gibt es eine Verschwiegenheitspflicht, nämlich «soweit es zur Wahrung der berechtigten Interessen des Arbeitgebers erforderlich ist». Allzu genau nimmt man es damit in der Schweiz freilich nicht: Jeder Vierte hat mindestens einmal vertrauliche Firmeninformationen mit einer unberechtigten Person besprochen, wie eine Ende 2012 publizierte Studie der Uni Zürich zeigt. Dieser hohe Wert erklärt sich allerdings auch dadurch, dass im Alltag die Grenze zwischen Weitergabe von Betriebsgeheimnissen und harmlosem Geplauder fliessend ist. Tratsch und Klatsch und sogar das Offenlegen von Löhnen zählen jedenfalls zu Letzterem.
Welche Loyalität darf der Arbeitgeber einfordern? Welche Rechte hat man, wenn man sich im Mitarbeitergespräch oder bei der Leistungsbeurteilung ungerecht behandelt fühlt? Darf der Chef private Mails mitlesen? Beobachter-Mitglieder wissen, welche Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis gelten, und können sich wehren, wenn es die Situation erfordert.
Unbestritten als Geschäftsgeheimnisse gelten aber spezielle Produktionsverfahren, Forschungsergebnisse, Modelle, Pläne und Konstruktionen, aber auch Kundenlisten, Resultate von Marktbefragungen, Preis- und Marketingstrategien sowie die finanzielle Lage der Firma. «Geheim» heisst, dass solche Informationen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sein müssen und nicht mit ein paar Klicks gegoogelt werden können. Ob ein Mitarbeiter von diesen Geheimnissen per Zufall oder bei seiner Tätigkeit im Betrieb erfahren hat, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber die betreffenden Tatsachen geheim halten will und dafür ein berechtigtes Interesse geltend machen kann.
Wird die Geheimhaltungspflicht verletzt, drohen diverse Sanktionen. In leichteren Fällen, etwa wenn sich ein Angestellter mit der Weitergabe von Informationen bloss wichtig machen will, wird es zu einer Verwarnung kommen, eventuell mit Androhung weiterer Konsequenzen im Wiederholungsfall. In schwereren Fällen wäre eine Kündigung oder gar eine fristlose Entlassung möglich, allenfalls auch eine Schadenersatzforderung des Arbeitgebers, sofern ihm ein konkreter Schaden entstanden ist.
Je nach Situation kann der Arbeitgeber die weitere Verbreitung der Geheimnisse gerichtlich verbieten lassen. Hat ein Mitarbeiter die Interna gar verkauft, kann der Arbeitgeber gemäss Gesetz über den unlauteren Wettbewerb auf Schadenersatz und Genugtuung sowie auf Herausgabe eines allfälligen Gewinns klagen.
Schliesslich machen sich Geheimnisverräter auch strafbar: «Wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis, das er infolge einer gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht bewahren sollte, verrät, wer den Verrat für sich oder einen andern ausnützt, wird – auf Antrag – mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft», so die staksige Umschreibung im Gesetz.
… unter Kollegen die Löhne vergleichen?
Saläre gelten nicht als Geschäftsgeheimnis, entschied das Bundesgericht. Es steht Angestellten frei, über ihren Lohn zu reden.
… in der S-Bahn oder auf Facebook über den Chef schimpfen?
Auch wer aus reiner Unachtsamkeit heikle Betriebsinterna preisgibt, macht sich der Treuepflichtverletzung schuldig – indem er beispielsweise an öffentlichen Orten den Namen des Chefs oder des Arbeitgebers in unvorteilhaftem Zusammenhang hinausposaunt. Das gilt auch für rufschädigende Äusserungen über den Arbeitgeber auf sozialen Plattformen wie Facebook: Wer Vorgesetzte an den digitalen Pranger stellt und beleidigt, kann wegen Ehrverletzung bestraft werden.
… weitererzählen, wenn es unter Kollegen Streit oder Liebesaffären gibt oder wenn im Team Zu- oder Abgänge bevorstehen?
Klatsch ist im Grunde kein Betriebsgeheimnis. Man sollte jedoch aufpassen, wem man derartige Vorkommnisse schildert, die ja auch oft nur auf Gerüchten basieren. Bei personellen Wechseln etwa, die noch nicht offiziell kommuniziert sind, könnten Einzelheiten der Konkurrenz nützen und somit der eigenen Firma schaden. Und auch Stellenbewerber haben Anspruch auf Diskretion, solange der neue Vertrag nicht unterschrieben und der alte Arbeitgeber nicht informiert ist.
… die Kundenkartei des Arbeitgebers auf dem eigenen Computer abspeichern?
Ob das blosse Abspeichern von Kundenlisten auf dem privaten Computer eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht darstellt, ist juristisch umstritten. Eindeutig verboten ist jedoch die aktive Abwerbung von Kunden während der Anstellung oder eine spätere Verwendung dieser Daten nach einem Stellenwechsel respektive für ein eigenes Geschäft. Keine Verletzung der Treuepflicht liegt vor, wenn sich ein ehemaliger Mitarbeiter an Kunden seines früheren Arbeitgebers wendet, weil er deren Namen und Adresse noch in Erinnerung hat. Will ein Arbeitgeber das verhindern, müsste er mit dem Arbeitnehmer ein Konkurrenzverbot
vereinbaren.
… in der Firma erworbenes Fachwissen nach dem Austritt im eigenen Geschäft nutzen?
Branchenkenntnisse, Wissen und Fähigkeiten, die man sich bei einem Arbeitgeber angeeignet hat, gehören nicht zu den geschützten Betriebsgeheimnissen. Man darf sie daher nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an einer neuen Stelle oder im eigenen Geschäft nutzen und den alten Arbeitgeber dabei auch konkurrenzieren – sofern nicht ausdrücklich ein Konkurrenzverbot vereinbart wurde. Verboten ist aber natürlich, beim Austritt Pläne, Formeln oder sonstige Unterlagen, die dem Arbeitgeber gehören, mitlaufen zu lassen.
… als Banker Daten von Steuersündern ins Ausland verkaufen?
Davon ist dringend abzuraten. Ein Mitarbeiter einer Grossbank, der zwei Jahre lang Daten reicher deutscher Anleger gesammelt und über einen Mittelsmann nach Deutschland verkauft hatte, wurde des qualifizierten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes, der Geldwäscherei, der Verletzung des Geschäftsgeheimnisses sowie der Verletzung des Bankgeheimnisses schuldig gesprochen. Das Strafmass von zwei Jahren bedingt fiel mild aus, da der Banker nicht als Drahtzieher der Affäre galt – in solchen Fällen drohen nämlich bis zu 20 Jahre Gefängnis.
… Missstände im Betrieb den Medien melden?
Die Verschwiegenheitspflicht gilt grundsätzlich auch, wenn man im Betrieb Dinge entdeckt, die schieflaufen. Sogenannte Whistleblower müssen ihre Wahrnehmung zuerst im Betrieb melden. Reagiert der Arbeitgeber nicht, muss die zuständige Aufsichtsbehörde informiert werden. Nur wenn auch diese untätig bleibt, darf man sich an die Medien wenden. Nicht korrekt handelte etwa die Pflegerin in einem Heim, die in den Räumlichkeiten ihres Arbeitgebers einen Film drehte und diesen dem Fernsehen übergab, noch bevor sie bei der Gesundheitsdirektion wegen der – tatsächlich existierenden – Missstände Anzeige erstattete. Sie wurde fristlos entlassen, juristisch zu Recht.