Wo der Mobbing-Virus gedeiht
Intrigen am Arbeitsplatz verursachen viel Leid für die Betroffenen und riesige Kosten für die Wirtschaft. Umso wichtiger ist es, die Risikofaktoren zu erkennen. Hier sind sie.
aktualisiert am 20. März 2019 - 11:41 Uhr
Konflikte am Arbeitsplatz sind normal. Und sie können auch positive Impulse liefern – aber nur dann, wenn sie offen und fair ausgetragen werden. Oft geschieht aber gerade das nicht. Statt Probleme sachlich anzugehen, sucht man Sündenböcke, greift vermeintliche Gegner an und macht sie nieder.
Wenn es bei Konflikten nicht mehr darum geht, eine Lösung zu finden, sondern die andere Partei systematisch zu demütigen und schliesslich auszuschalten, spricht man von Mobbing. Typisch für Mobbing sind Sticheleien, abschätzige Bemerkungen, das Zurückhalten von Informationen, das Verbreiten von Gerüchten, unsachliche Kritik oder auch das bewusste Ignorieren eines Mitarbeiters. Das Bundesgericht hat diese Verhaltensmuster in folgende Definition gefasst:
«Mobbing ist ein systematisches, feindliches, über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll».
Defintion von Mobbing durch das Bundesgericht
Beleidigt, bedroht, körperlich angegriffen
Destruktive Vorgänge dieser Art sind in der Arbeitswelt leider allzu häufig. Die 2010 veröffentlichte Stress-Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat ergeben, dass sich acht Prozent der Schweizer Erwerbsbevölkerung in den letzten zwölf Monaten bei der Arbeit gemobbt fühlten. Überdurchschnittlich viele waren es in der Westschweiz – nämlich 13 Prozent. Zwölf Prozent der Befragten fühlten sich bei der Arbeit von anderen Personen beleidigt, acht Prozent erlebten Drohungen oder erniedrigendes Verhalten, ein Prozent gar körperliche Gewalt.
Wenn Arbeitnehmer von Kollegen oder vom Chef gemobbt werden, hat das meist mehrere Ursachen. Ein eindeutiger Auslöser ist oft nur schwer auszumachen. Es gibt aber Umstände, die Mobbing begünstigen (siehe die nachfolgenden vier Punkte) – wer sie in seinem Job antrifft, ob als Angestellter oder als Vorgesetzter, sollte wachsam sein und wenn nötig Massnahmen ins Auge fassen.
1. Unklare Pflichtenhefte und Kompetenzverteilungen
Mangelhafte Strukturen in den Betrieben können Mobbing begünstigen. Wo die Pflichten und Zuständigkeiten nicht klar verteilt sind, Aufgabengebiete sich überschneiden, besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende ihre «Gärtchen» auf eigene Faust abstecken – nicht immer mit fairen Mitteln.
Wenn Vorgesetzte ihre Aufgabe nicht wahrnehmen, sind selbsternannte Alphatiere versucht, spannende und prestigeträchtige Aufgaben an sich zu reissen und Seilschaften zu bilden, um ihre Position zu stärken. Wer sich dann der inoffiziellen Hackordnung nicht beugt, riskiert, ausgegrenzt und schikaniert zu werden.
2. Schlecht durchgeführte Veränderungsprozesse
Im Vorfeld von Quälereien haben oft Veränderungen in der Arbeitssituation des Betroffenen stattgefunden: Versetzungen, Chefwechsel, Umstrukturierungen oder Fusionen sind heikle Vorgänge, die sowohl Chancen wie auch Gefahren bergen.
Ob diese Veränderungen als positiv oder negativ empfunden werden, hängt von den Rahmenbedingungen ab: Wurde frühzeitig und offen kommuniziert? Wurden die Mitarbeiter mit einbezogen? Sind die Änderungen nachvollziehbar? Werden Nachteile mit Begleitmassnahmen abgefedert? Wenn ja, wird die Belegschaft Änderungsprozesse in der Regel mittragen. Wenn nicht, sind Konflikte programmiert: Unruhe, brodelnde Gerüchteküche, Absprachen hinter den Kulissen, Gerangel um die «besten Plätze». Wird Personalabbau befürchtet, kann es zu Verdrängungskämpfen kommen. Mitarbeiter verbünden sich und bugsieren andere, die sie für schwach und wenig integriert halten, auf die Abschussliste.
Ist das Arbeitsklima schlecht und kommt es zu Mobbing unter Mitarbeitern, ist Handeln gefragt. Als Beobachter-Mitglied erfahren Sie zum einen, wie Sie Konflikte am Arbeitsplatz ansprechen und was Sie gegen einen unfairen Chef tun können, zum anderen wie Sie gerichtlich vorgehen, wenn der Streit nicht einvernehmlich zu lösen ist.
3. Überforderte Chefs
Eine Studie des Seco ergab, dass Mobbing bei mehr als der Hälfte der Fälle von Vorgesetzten ausgeht oder unter ihrer Mitwirkung stattfindet. Wennn Chefs oder Chefinnen mobben – auch Bossing genannt –, hat das meist mit Ängsten und Überforderung zu tun. Unsichere Führungskräfte fühlen sich durch ehrgeizige oder kritische Untergebene in ihrer Autorität bedroht, haben Angst, man könnte ihre Schwächen entdecken.
Statt die Fähigkeiten kompetenter Mitarbeiter im Interesse der Firma zu nutzen und sie zu fördern, ziehen sie es vor, sie zu bremsen, ihre Ideen abzuwürgen und sie mit diffuser, unsachlicher Kritik zu verunsichern. Und so werden häufig gerade gute Leute demontiert und fertiggemacht. Doch Chefs machen sich nicht nur schuldig, wenn sie selbst mobben.
Arbeitgeber dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Angestellte gepiesackt werden. Der Arbeitspsychologe Heinz Leymann, Begründer der modernen Mobbingforschung, betont in seinem Standardwerk über den Psychoterror am Arbeitsplatz, ihm sei kein Fall bekannt, bei dem Vorgesetzte den Konflikt nicht schon früh hätten in den Griff bekommen können: «Mobbing bricht aus, weil es geschehen darf. Und es kann geschehen, weil sich niemand in der Chefetage um diese Dinge kümmert oder weil man ihnen sogar indirekt oder direkt Vorschub leistet.»
4. Stress und übertriebener Leistungsdruck
Im Rahmen eines grossen Mobbing-Reports in Deutschland wurden Betroffene unter anderem auch gefragt, welche Motive ihrer Einschätzung nach zum Mobbing geführt hätten. Fast zwei Drittel antworteten, die Mobber hätten sie als Konkurrenz empfunden. Knapp 40 Prozent nannten Neid als Motiv und rund ein Viertel der Befragten meinten, die Mobber hätten ihren Arbeitsbereich an sich ziehen wollen.
Übertriebener Leistungsdruck und Konkurrenzdenken sind ein Nährboden für Mobbing und Intrigen. Druck, Stress, strenge Leistungsvorgaben und das Betonen quantitativ messbarer Ziele verhindern, dass ein «Wir-Gefühl» entsteht und alle am gleichen Strick ziehen. Lohnt es sich, einer Kollegin hilfreich zur Seite zu stehen, wenn sie vor allem als Konkurrentin wahrgenommen wird? Warum wichtige Informationen nicht für sich behalten, wenn man so andere ausstechen kann? Wo Konflikte nach dem Gewinner-Verlierer-Prinzip gelöst werden, bleibt die Solidarität auf der Strecke. Wer nicht mithalten kann, wird verdrängt oder beginnt seinerseits, erfolgreichere Kollegen anzuschwärzen und auszutricksen. Im Interesse des Betriebs ist beides nicht.
Tipps, wenn es zu Mobbing kommt
Wie Vorgesetzte vorbeugen können
- Klare Pflichtenhefte für die Mitarbeitenden schaffen Transparenz und führen zu guter Zusammenarbeit. Achten Sie darauf, dass die Aufgabenbereiche definiert und deutlich abgegrenzt werden.
- Achten Sie auf gründliche Einarbeitung neuer Teammitglieder. Geben Sie ihnen einen Ansprechpartner, der hilft, sie rasch zu integrieren.
- Sorgen Sie für eine offene Gesprächskultur. Informieren Sie so früh und so offen wie möglich über anstehende Massnahmen und deren Konsequenzen. Formulieren Sie Ihre Erwartungen an die Untergebenen klar und unmissverständlich.
- Fragen Sie bei Qualifikationsgesprächen auch nach dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden und ihrer allgemeinen Zufriedenheit.
- Sprechen Sie die Mitarbeitenden bei Anzeichen von Spannungen direkt darauf an. Nehmen Sie Klagen wegen Mobbing ernst und sorgen Sie für eine unparteiische Untersuchung. Ziehen Sie notfalls eine neutrale Fachperson bei.
- Führen Sie ein Austrittsgespräch, wenn jemand kündigt. Ermuntern Sie scheidende Personen zur Offenheit: Wie haben sie das Betriebsklima erlebt? Welche Probleme haben allenfalls zur Kündigung geführt?
Wie sich Betroffene wehren können
- Mobbing ist ein schwer fassbares Phänomen. Sprechen Sie Spannungen frühzeitig an und sammeln Sie Beweise für unfaires Verhalten Ihrer Vorgesetzten oder Kollegen. Führen Sie Tagebuch über die Vorfälle, protokollieren Sie Gespräche und Abmachungen.
- Sprechen Sie die Mobber darauf an, wenn Sie sich verletzt oder ungerecht behandelt fühlen. Reden Sie über Ihre Gefühle in Ich-Botschaften und betonen Sie die gemeinsamen Interessen und Ziele. Nützt das nichts, wenden Sie sich an den Vorgesetzten.
- Ihr Arbeitgeber hat Ihnen gegenüber eine gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht. Er darf Mobbing nicht dulden und ist verpflichtet, bei Konflikten schlichtend einzugreifen. Machen Sie ihn schriftlich darauf aufmerksam, wenn Gespräche nichts fruchten.
- Wenn man zur Zielscheibe von Mobbing-Aktivitäten wird, kommt man meist allein nicht weiter. Suchen Sie Rat bei Beratungsstellen, bevor Sie die Stelle überstürzt kündigen oder krank werden.
Beobachter-Mitglieder finden nützliche Adressen und Links zu Anlaufstellen bei Mobbing am Arbeitsplatz sowohl für Arbeitnehmende als auch für Arbeitgebende.
Weitere Infos zu Mobbing
Stress-Studie 2010 sowie Studie über Mobbing des Seco: www.seco.admin.ch