Eltern müssen auch mitmachen
Wenn ein Kind in die Schule kommt, beginnt auch für seine Eltern ein anderes Regime. Dieser Überblick zeigt, welche Pflichten sie nun haben.
Veröffentlicht am 5. August 2013 - 15:31 Uhr
Johann-Christoph Rudin sagt es deutlich: «Wenn Lehrer weniger empfindlich wären und Eltern schwierige Situationen aushielten, statt sofort in den Kampfmodus zu wechseln, wäre das Klima an den Schulen viel besser.»
Der 54-jährige Jurist berät Schulbehörden und Schulleitungen in Konfliktsituationen. In einer kürzlich erfolgten gesamtschweizerischen Befragung aller Schulleiter gab knapp die Hälfte an, öfter Probleme in der Kommunikation mit Eltern zu haben. «Es fehlt an Strategien, wie mit angriffigen Eltern umzugehen ist», so Rudin. Er bietet deshalb Kurse unter dem Titel «Anspruchsvolle Eltern, anspruchsvolle Gespräche» an. «Wir müssen die Ressourcen der Lehrpersonen im Umgang mit den Eltern stärken», so Rudin. Für viele Lehrer würden die Eltern immer öfter zum Feindbild, was zu Fehlhandlungen und zu einer Negativspirale führe.
Im Schweizer Schulsystem haben Eltern mehr Pflichten als Rechte. Weil dies vielen nicht bewusst ist, gibt es zwischen Eltern und Lehrpersonen immer wieder Probleme.
Artikel 19 der Bundesverfassung hält fest: «Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht ist gewährleistet.» Weiter steht in der Verfassung: «Der Grundschulunterricht ist obligatorisch und untersteht staatlicher Leitung oder Aufsicht.»
Eltern wünschen sich eine optimale Förderung ihres Nachwuchses, nicht bloss eine «ausreichende». Doch der Staat kann keinen optimalen Unterricht für jedes Kind garantieren.
Das Ziel der Volksschule ist es, die Jugendlichen für die Berufsausbildung fit zu machen. Schwierigkeiten gibt es sowohl mit Eltern von sehr begabten Kindern als auch mit Eltern, deren Kinder eine Behinderung haben. Beide finden, ihr Nachwuchs werde nicht genügend gefördert.
Lehrpersonen können verlangen, dass Schülerinnen und Schüler für den Turnunterricht oder für Ausflüge passend gekleidet sind. Ausser bei religiösen Symbolen sind Vorschriften zulässig, wenn damit der Schulfrieden gesichert wird. Aufreizende Kleidungsstücke oder solche mit rassistischen Prints sind nicht erlaubt. Für die Einhaltung der Kleiderordnung sind die Eltern zuständig. Lehrer dürfen Kleider verbieten, die den Unterricht behindern oder stören können. Etwa Dächlikappen, bauchfreie Oberteile oder T-Shirts mit politischen Slogans.
Schule und Eltern gehen laut Gesetz ein partnerschaftliches Verhältnis ein. Diese Prämisse ist ein Etikettenschwindel. Im Schweizer Schulrecht sind die Eltern «Bürger in einem Sonderstatusverhältnis». Das heisst, es gilt ein Über- und Unterordnungsverhältnis.
Konkret: Wenn es hart auf hart kommt, bestimmt die Schule. Für 95 Prozent aller Eltern ist das kein Problem, Ärger verursachen nur die restlichen fünf Prozent. Zum Beispiel darf man in der Schweiz nicht einfach die Ferien verlängern oder die Schule für seine Kinder auswählen. Für viele Menschen, insbesondere für solche mit Migrationshintergrund, ist das schwer zu verstehen. In Deutschland zum Beispiel gilt teilweise die freie Schulwahl, ebenso in Spanien. Wegen der grossen Nachfrage nach halböffentlichen Schulen entscheidet dort aber ein strenges Punktsystem darüber, wer den Platz seiner Wahl bekommt.
Eltern müssen darum bekümmert sein, dass ihr Kind den Unterricht regelmässig und ausgeruht besucht und dass es genug Zeit für das Erledigen der Hausaufgaben hat. Bei den Hausaufgaben sind Eltern nicht dafür verantwortlich, dass das Kind sie macht. Sie müssen jedoch für einen geeigneten Lern- und Arbeitsplatz daheim sorgen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Viele Kinder kommen unpünktlich zur Schule, sind nicht ausgeschlafen und haben die Hausaufgaben nicht gemacht.
Lehrer und Lehrerinnen müssen sich vor Augen halten: Kinder zu erziehen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, und nicht alle Eltern schaffen dies in ausreichendem Mass. Wenn es Probleme gibt, liegt meist kein böser Wille zugrunde.
Sorgeberechtigte Eltern müssen sich absprechen, bevor sie mit der Lehrperson kommunizieren. Beide Elternteile müssen zu Entscheiden ihre Zustimmung geben. Lediglich in alltäglichen Angelegenheiten darf der betreuende Elternteil allein entscheiden. Nicht sorgeberechtigte Eltern haben nur Anspruch darauf, über «Zustand und Entwicklung in der Schule» informiert zu werden, sie dürfen nichts entscheiden oder kontrollieren.
Einschränkungen dieser Rechte gibt es nur bei formellem Entzug des Sorgerechts durch die Kesb (Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) oder ein Gericht. Anweisungen eines Elternteils allein sind nicht massgebend. Im Scheidungsverfahren versuchen Eltern oft, Lehrer zu instrumentalisieren. Sie dürfen nicht zwischen die Fronten geraten, Abgrenzung ist nötig. Lehrer sind weder Mediatoren noch Schiedsrichter. Man darf nicht verlangen, dass sie das Kind vom anderen Elternteil abschirmen.
Beobachter-Mitglieder erfahren in der Checkliste «Rechtsmittel im Bereich Schule», welche Möglichkeiten ihnen offenstehen, wenn sie ein Gesuch, eine Einsprache oder eine Aufsichtsbeschwerde gegen einen Schulentscheid oder eine Lehrperson einreichen möchten.
Eltern und Schule müssen zusammenarbeiten. Die Schule kann Mütter und Väter verpflichten, an einem Gespräch teilzunehmen, ebenso an Veranstaltungen wie Eltern- oder Infoabenden zu digitalen Medien. In einer fünften Klasse wurden Schüler, die nicht die «richtigen» Markenkleider trugen, von anderen Kindern bestraft . Ein betroffenes Elternpaar weigerte sich, an dem dazu einberufenen Elterngespräch teilzunehmen. Nachdem die Eltern auch danach wiederholt nicht zu den anberaumten Gesprächen erschienen waren, wurden ihnen 2000 Franken Bussen und Gebühren auferlegt.
Die Schule muss die Eltern vor den Sommerferien über die Klassenzuteilung und den neuen Stundenplan informieren. Zudem muss sie via Zeugnis regelmässig über Leistung und Verhalten der Schüler Auskunft geben und Ereignisse wie Schulreisen und Klassenlager rechtzeitig ankündigen.
Die Eltern müssen die Schule bei Schwierigkeiten, Trennungen oder Todesfällen informieren, die Einfluss auf das schulische Verhalten des Kindes haben können. Die Lehrperson darf Eltern persönliche Fragen stellen, wenn es um das Kindswohl geht und Spannungen im Elternhaus zu schlechteren Leistungen oder merkwürdigem Verhalten des Kindes führen können. Die Lehrerin darf also fragen: «Was ist bei Ihnen zu Hause los? Streiten Sie viel?» Umgekehrt muss die Lehrperson über ihre persönlichen Verhältnisse keine Auskunft geben.
Sind Sie unzufrieden mit einer Erziehungsmassnahme der Lehrperson oder mit einer Schulvorschrift? Beobachter-Mitglieder erhalten mit der Checkliste «Gespräch mit der Lehrperson» Tipps, wie Sie Wünsche oder Kritik am besten beim Elternabend ansprechen können.
Wenn ein Schüler nicht zum Unterricht erscheint, muss die Lehrperson die Eltern anrufen. Anrufversuche genügen, falls die Eltern nicht erreichbar sind. Dank Handy können die Lehrer beweisen, dass sie sich bemüht haben, die Eltern zu kontaktieren. Mehr muss die Lehrperson in der Regel nicht unternehmen, wenn sie ein Kind sucht. Die Lehrerinnen müssen die Schülerinnen und Schüler – angepasst an deren Alter, Entwicklung und Situation – angemessen beaufsichtigen. Das ist vor allem bei Ausflügen und Schullagern wichtig.
Ein Lehrer, der mit seiner sechsten Klasse auf einer Bergwanderung am Hohen Kasten im Alpstein unterwegs gewesen war, wurde vom Bundesgericht schuldig gesprochen. Er hatte die Aufsichtspflicht verletzt, weil er mit seinen Schülern ungesichert ein steiles Schneefeld überquert hatte. Ein bergunerfahrener Schüler stürzte ab und verletzte sich tödlich. Der Lehrer hätte mit der Klasse umkehren oder aber jedes Kind ans Seil nehmen müssen. Lehrpersonen machen heutzutage weniger Ausflüge, weil sie sich der Gefahren und der Rechtslage bewusst sind.
Eltern dürfen bei Personal-, bei methodisch-didaktischen Entscheiden und bei der Notengebung und Schülerbeurteilung nicht eingreifen. Wenn Eltern einen Lehrer absetzen und etwa öffentlich gegen ihn demonstrieren wollen, befinden sie sich ausserhalb ihrer Mitsprachemöglichkeiten. Personalentscheide sind Sache der Schulleitung beziehungsweise der Schulbehörden. Beschwerden müssen an diese Stellen gerichtet werden.
Die Teilnahme an Klassenlagern
und auswärtiges Übernachten sind nicht immer obligatorisch. Falls das Kind nicht ins Lager geht, muss es während dieser Zeit den Unterricht in einer anderen Klasse besuchen. Wenn ein Kind nicht am Klassenlager teilnimmt, müssen seine Eltern dafür keinen Grund angeben. Sie sollten aber bedenken, dass die Lagerwochen
für die Entwicklung der Kinder wichtig sind.
Elternbildung CH - der Dachverband für Elternbildung: Fachstelle Elternmitwirkung
Schulkonflikte: Eltern gegen Lehrer – das muss nicht sein
Warum kommt es zwischen Eltern und Lehrer immer wieder mal zu Konflikten? Beobachter-Abonnenten erfahren aus der Sicht eines Psychologen, was getan werden kann, um solche Situationen zu vermeiden.
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