Von der Manager- zur Volkskrankheit
Für jeden dritten Arbeitnehmer wird der Druck zu gross. Die Folgekosten von Stress belaufen sich auf über vier Milliarden Franken pro Jahr. So bekommt man Stress in den Griff.
Veröffentlicht am 18. November 2009 - 18:26 Uhr
Unter Managern gehörte Stress einst zum guten Ton. Damals schien nur erfolgreich zu sein, wer tagtäglich unter Stress litt. Ständig unter Hochdruck zu stehen war weniger ein Leiden als ein Statussymbol.
Der häufigste Grund für Stress ist jedoch nicht etwa zu viel Arbeit, sondern ein Mangel an Kontrolle. Wer Abläufe nicht durchschaut, sich Arbeit und Arbeitszeit nicht selbst einteilen kann, empfindet schneller Stress. Monotonie, zu knappe Fristen und ein schlechtes Arbeitsklima sind weitere Stressfaktoren. Die stressverringernden Faktoren nehmen hingegen tendenziell ab: etwa die gefühlte Unterstützung durch Familie und Kollegen.
Der Begriff Stress stammt aus der Materialprüfung und bedeutet «Anspannung, Verzerrung». 1950 entdeckte der Arzt Hans Selye, dass Menschen auf psychischen Druck körperlich reagieren, und übernahm den Begriff Stress als Krankheitssymptom in Medizin und Psychologie.
Jeder dritte Erwerbstätige in der Schweiz leidet mittlerweile unter Stress. Die gesundheitlichen Folgen wiegen schwer: Jährlich entsteht der Volkswirtschaft laut Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein Schaden von über 4 Milliarden Franken. Dass eine wichtige Quelle für Stress am Arbeitsplatz zu finden ist, hat einen Grund. Allein seit 1995 ist die Arbeitsproduktivität in der Schweiz um sieben Prozent gestiegen. Termindruck und verdichtete Arbeitsabläufe zwingen die Arbeitnehmenden zu einem immer schärferen Arbeitstempo. Neue Technologien und Anforderungen verunsichern, und jeder fünfte Beschäftigte hat Angst um seinen Arbeitsplatz.
Auf die Dauer geht das nicht spurlos an den Arbeitnehmenden vorüber. Laut Seco nehmen die arbeitsbedingten Gesundheitsprobleme in der Schweiz ständig zu. Ein möglicher Hauptgrund: Stress. Über 80 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz erleben Stresssymptome. Mehr als ein Viertel aller Beschäftigten fühlt sich oft bis sehr oft gestresst. Fast jeder dritte Beschäftigte leidet unter Stress. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz benennt Stress nach Rückenschmerzen als das zweitgrösste berufsbedingte Gesundheitsproblem. Sie schätzt, dass der Berufsstress für 16 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern und für 22 Prozent bei Frauen verantwortlich ist.
Wer Stress ausschalten will, muss zuerst erkennen, was eigentlich stresst. Neben den Stressfaktoren im Privaten gibt es eine Reihe von Auslösern im Arbeitsleben: Lärm, Nacht- oder Schichtarbeit, anstrengendes Pendeln, falsche Beleuchtung, dauerhafte berufliche Überlastung, Konflikte mit Kollegen und Vorgesetzten, soziale Isolation. Stressfördernd wirkt es sich auch aus, wenn die Arbeit langweilig oder öde erscheint und keine Herausforderungen mehr beinhaltet. Auch fehlende Anerkennung und unkonstruktive Kritik können «stressen».
Wenn der Stress belastend wirkt und chronisch wird, schwächt er das Immunsystem und kann zu Krankheiten, Alkohol- und Drogenmissbrauch und schliesslich zum Zusammenbruch führen. Als psychische Symptome treten häufig Depressionen, Burn-out, Angstzustände oder Panikattacken auf. Körperlich kann sich der Dauerstress in Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen äussern.
Doch Stress kann man entgegenwirken, vorausgesetzt, die Ursache ist erkannt. Meist sind Veränderungen angesagt – im schlimmsten Fall sogar ein Jobwechsel. Dies aber kann nur als Notlösung akzeptiert werden. Stress am Arbeitsplatz ist kein privates Problem. Wie bei anderen beruflichen Risiken ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass krank machende Faktoren nicht auftreten.
Wenn die Bedingungen in einem Betrieb als nicht mehr «gesund» gelten können, sollten Arbeitnehmer handeln und das Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten suchen. Wenn das keine Verbesserung bringt, können sie Kontakt mit der Gewerkschaft oder dem Angestelltenverband aufnehmen. Die Berufsverbände können wie bei anderen Problemen rund um Arbeitssicherheit beraten und unterstützen und die Bedürfnisse der Arbeitnehmer so diskret vertreten, dass diese ihren Arbeitsplatz nicht riskieren. Dies, wissen Stressforscher, wäre der Gesundheit ebenfalls nicht zuträglich: Arbeitslosigkeit gilt als eine der Hauptursachen für Stress.
Stress vermeiden
- Stellen Sie keine zu hohen Ansprüche an sich selbst.
- Versuchen Sie durch langfristige Planung Termindruck zu vermeiden.
- Treiben Sie regelmässig, aber nicht zu intensiv Sport (stressen Sie sich auf keinen Fall noch durch zusätzlichen Leistungsdruck!).
- Legen Sie alle zwei Stunden eine zwei- bis fünfminütige Pause ein, schalten Sie einen Moment ab, atmen Sie tief durch. Medizinische Studien belegen, dass solche Minipausen die Leistungsfähigkeit um bis zu 30 Prozent steigern.
- Beim Entspannen können verschiedene Entspannungstechniken, Yoga oder Gymnastik hilfreich sein.
- Trinken Sie viel Wasser und nur mässig oder gar keinen Alkohol.
- Verzichten Sie aufs Rauchen.