Zimmermädchen – extrem unter Druck und miserabel bezahlt
Riesiger Zeitdruck, schlechte Bezahlung und Arbeit auf Abruf: Zimmermädchen schuften bis zum Umfallen. Und treffen auf Dinge, die niemand sehen und anfassen will.
Veröffentlicht am 27. März 2020 - 13:33 Uhr
Wenn Mila Borkovic die Tür zu einem Hotelzimmer öffnet, weiss sie nie, was sie erwartet. Über die Perücke, die ein Gast unter dem Bett vergass, kann sie nur lachen. Über das Badezimmer, das komplett mit eingetrockneten Peelingresten verschmiert war, ist sie noch immer verärgert. Und sie regt sich auf über Gäste, die ihr Zimmer mit Abfall übersät zurücklassen. «Das ist doch respektlos», sagt sie auf Italienisch.
Die 40-jährige Serbin kam vor zwei Jahren mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern aus Italien in die Schweiz. Hier hätte sie gerne in einer Café-Bar gearbeitet, wie früher. Doch ohne Deutschkenntnisse und Referenzen musste sie ganz unten anfangen. «Eine Stelle als Zimmermädchen findet man sofort», sagt Borkovic. Doch es ist ein Knochenjob, die Bedingungen sind oft prekär.
Borkovic arbeitet in einem Viersternehotel in der Nähe des Flughafens Kloten. Pro Zimmer sind 20 bis 25 Minuten vorgesehen. In dieser Zeit muss sie: Abfall entsorgen, staubsaugen, Bad putzen, Handtücher wechseln, Kaffeemaschine reinigen, Produkte nachfüllen, Bett machen, Schränke und Minibar kontrollieren. Man könne ein Zimmer in dieser Zeit schon sauber putzen, sagt Borkovic. Doch: «Wenn ich einmal fünf Tage am Stück arbeite, stehe ich nachher kaum mehr.»
Borkovic verdient Fr. 19.70 pro Stunde. Weil sie auch noch Zimmer kontrolliert, erhält sie 50 Rappen Aufschlag zum im GAV Reinigung festgelegten Mindestlohn für Ungelernte. Mit den 80 Prozent, die im Arbeitsvertrag eigentlich festgehalten sind, käme sie auf knapp 2900 Franken im Monat. Weil sie im Stundenlohn angestellt ist, kann sie aber nicht sicher mit diesem Geld rechnen.
Borkovic ist bei einer Reinigungsfirma angestellt. Die gibt die monatlichen Einsatzpläne eigentlich rechtzeitig bekannt, sie kann sogar Freitage und Ferien planen. Doch es ist nicht festgelegt, wie lange ihre Einsätze dauern. Sind die Zimmer stark verschmutzt, arbeitet sie eben länger. Dazu kommt die schwankende Zimmerbelegung. Werden wie jetzt Flüge gestrichen oder bleiben Gäste am Morgen länger im Hotel, bekommen das die Zimmermädchen zu spüren. «Es kann vorkommen, dass man sich am Morgen um 7 Uhr für die Arbeit bereit macht und dann die Nachricht erhält, dass man heute zu Hause bleiben kann», sagt Mila Borkovic.
Immerhin sei der persönliche Umgang mit dem Personal bei der Reinigungsfirma sehr gut – zumindest im Vergleich zu anderen Firmen. Prekäre Arbeitsbedingungen bedeuteten nicht zwingend, dass man respektlos behandelt wird, sagt Borkovic. Inzwischen arbeitet sie vor allem abends. So bringt sie ihre Arbeit an der ihres Mannes vorbei und kann mit den Kindern Deutsch lernen. «Aber mit diesem Lohn kann man nicht autonom leben», sagt sie. Die Corona-Krise macht alles nur noch schlimmer. Die Hotelzimmer sind fast leer, nach Ausrufung des Notstands informierte die Reinigungsfirma, dass sie Kurzarbeit beantrage. «Wir wissen überhaupt nicht, wie es weitergeht.»
Migrantin ohne Arbeitserfahrung und Deutschkenntnisse – das gängige Muster bei Zimmermädchen. Trotz unregelmässiger Arbeitszeiten sind es oft Mütter. Einige haben noch einen zweiten Reinigungsjob. Auch wenn man relativ leicht einen Job findet: Bei den tiefen Löhnen können es sich viele nicht leisten, auch nur kurze Zeit ohne Arbeit zu sein. Und erdulden so auch rechtswidrige Bedingungen.
Davon erzählt Nayla Ayari*. Sie hat ihre eineinhalbjährige Tochter zum Interview mitgebracht. Das Kind ist krank und schreit, doch Ayari will das Gespräch nicht verschieben. Sie will erzählen von ihren Erfahrungen im Hotel Marriott in Zürich. Für die Tunesierin war es der Einstiegsjob in der Schweiz. Eine Schulung gab es nicht. Auch keine Handschuhe. Blutverschmierte Laken, gebrauchte Kondome, Dinge, die in einem Hotelzimmer eben zurückbleiben, das musste sie ohne Handschuhe anfassen.
Die Reinigungsfirma gab klare Vorgaben. In 15 Minuten musste ein Zweierteam ein Zimmer reinigen, egal, in welchem Zustand. «Wenn wir nicht genug schnell und sauber putzten, schrie uns die Gouvernante an», erzählt Ayari. Pro Stunde verdiente sie Fr. 22.15 brutto, Ferien, Feiertage und der 13. Monatslohn sind darin eingerechnet. Pro Zimmer landen 11 Franken bei den Zimmermädchen. Anfang Februar kostete ein Einzelzimmer im Fünfsternehotel 202 Franken, an späteren Daten über 300 Franken.
Die Reinigungsfirma machte dazu Lohnabzüge für zu langsames Arbeiten und Schwatzen. Waren die Zimmer nicht frei, mussten die Frauen bei Arbeitsbeginn bis zu 2 Stunden warten – unbezahlt. «Es war eine Katastrophe», sagt Ayari immer wieder. Pausen wurden nicht eingehalten, sie musste bis zu 12 Stunden arbeiten, die Vorgesetzten spielten damit, dass viele nur eine L-Bewilligung hatten. «Mich riefen die Chefs mehrmals bei der Arbeit an und fragten nach der Aufenthaltsbewilligung meines Mannes.»
An ihrem 20. Tag stürzte Ayari bei der Arbeit und erlitt eine Gehirnerschütterung. Zwei Wochen danach wurde ihr gekündigt. Nayla Ayari fand eine Direktanstellung im Zürcher Hotel Dolder. Dort gab es feste Zeiten, ihr Einsatz wurde von den Vorgesetzten geschätzt. «Im Dolder musste ich nicht unsichtbar sein und wurde auch einmal gerufen, um für Arabisch sprechende Gäste zu übersetzen», erzählt sie. Doch auch im Luxushotel verdiente sie bei einem 50-Prozent-Pensum gerade einmal 1750 Franken brutto. Heute reinigt sie ein Schulhaus und ist froh, aus der Hotellerie herausgefunden zu haben.
Das Hotel Marriott will nichts von den üblen Zuständen wissen. Die angegebene Zeit für die Zimmerreinigung sei ein Richtwert und variiere nach Zimmergrösse. Putzhilfsmittel wie Handschuhe stünden den Mitarbeiterinnen jederzeit zur Verfügung. «Das Wohlbefinden und die Sicherheit von Mitarbeitern und Gästen ist unsere oberste Priorität», schreibt Michael Böhler, PR-Manager des Hotels.
Über miserable Arbeitsverhältnisse im Marriott und anderen Hotels der Gruppe haben verschiedene Medien berichtet. Den Ausschlag gab eine Kampagne der Unia 2018. In einem Bericht der Gewerkschaft erzählten Zimmermädchen, dass sie sechs Zimmer pro Stunde putzten und bis zu 19 Stunden am Stück arbeiteten. Sie berichteten von verspäteten Lohnzahlungen und völlig unhygienischen Arbeitsmethoden.
«Das sind keine Einzelfälle. Zu uns kommen immer wieder Reinigerinnen, die von ähnlichen Zuständen berichten», sagt Norma Giannetta, Gewerkschaftssekretärin der Unia. Immer mehr Hotels lagerten die Reinigung an Firmen aus, aus Spargründen. Die Hotels gäben damit auch die Verantwortung für das Personal ab. Und die Reinigungsfirmen lieferten sich einen unerbittlichen Preiskampf, unter dem die Angestellten und die Sauberkeit leiden, so Giannetta. Bei den meisten Firmen erhielten die Frauen nur eine Anstellung im Stundenlohn, ohne garantiertes Pensum.
«Hier wurde am Extremfall ein Exempel statuiert», sagt dagegen Patric Schönberg, Sprecher von Hotelleriesuisse. Wenn sie Dienstleistungen auslagern, müssten die Hotels trotzdem darauf achten, dass das Arbeitsrecht eingehalten wird. Ein Hotel stehe jedoch nicht in der Pflicht, Vorgaben der externen Firma gegenüber deren Mitarbeitenden wie etwa Zeitrichtlinien zu überprüfen.
Karin Funk, Geschäftsführerin des Verbands Schweizer Reinigungs-Unternehmen, sagt: «Durch die Berichterstattung wurde eine ganze Branche diskreditiert, die sehr heterogen ist.» Es gebe Reinigungsfirmen, die mit unsauberen Methoden arbeiten. Und Hotels, die versuchen, ihre Risiken an externe Firmen abzugeben. Konflikte könne es geben, wenn das Hotel zu einem pauschalen Zimmerpreis abrechne, die Reinigungsfirma die Arbeitskräfte nach Stunden bezahle und nichts für die Schwankungen bei Buchungen und Verschmutzungen einberechnet werde. Funk wirft die Frage auf: «Könnte es sein, dass wir alle nichts mehr bezahlen wollen für Übernachtungen im Hotel?»
Der Druck in der Hotellerie ist nicht erst seit Corona stark gestiegen. Der starke Franken, Buchungsplattformen wie Booking und alternative Übernachtungsmöglichkeiten wie Airbnb machen den Hotels zu schaffen. Gleichzeitig ist der Reinigungsaufwand gestiegen. Die Zimmer und Nasszellen sind tendenziell grösser geworden und enthalten mehr Dinge wie Kaffeemaschinen. Zudem bleiben die Gäste kürzer, nehmen öfter Take-away-Essen in ihre Zimmer mit und lassen mehr Abfall zurück.
«Der Druck auf das Personal hat zugenommen», sagt Elvira Schwegler, Geschäftsführerin des Berufsverbands Hotellerie-Hauswirtschaft. Auch sie beobachtet steigenden Zeitdruck und sinkende Qualität in der Reinigung – auch im Zusammenhang mit Drittanbietern. «Ich bin mir nicht sicher, ob die Entscheidungsträger in den Hotels sich wirklich bewusst sind, wie wichtig die Hygiene ist», sagt Schwegler. Der Verband fordert deshalb, dass Studierende der Hotelfachschulen ein Praktikum im Housekeeping machen müssen und so erleben, was der Knochenjob bedeutet.
Einige Firmen hätten sich punkto Arbeitsbedingungen und Ausbildungen in den vergangenen Jahren verbessert. Trotzdem sagt Schwegler: «Bei einer Direktanstellung ist der Bezug zum Personal immer ein anderer.»
Das bestätigt auch Julia Meyer, die in verschiedenen Hotels als Gouvernante mit Reinigungsfirmen gearbeitet hat. «Das Hotel verlangte Qualität, die Reinigungsfirma wollte Tempo. Das war ein schwieriger Akt», sagt sie. Unter dem Zeitdruck leide auch die Schulung des Personals, die wegen der Sprachbarrieren sehr zeitaufwendig geworden sei. So könne es aus Unwissen vorkommen, dass mit demselben Lappen schon mal das WC geputzt und das Zimmer abgestaubt wird.
Heute leitet Meyer die Hauswirtschaft im Park Hotel Winterthur. In dem Viersternehotel ist das Reinigungspersonal direkt angestellt, alle Frauen arbeiten Teilzeit. «Wir haben so viel weniger Krankheitsausfälle », sagt Meyer. Man kann es auch anders sagen: Zimmer reinigen ist ein Job, der schlicht zu hart ist für ein Vollzeitpensum.
Was alle interviewten Frauen irgendwann im Gespräch sagen: Gäste können ihren Teil beitragen. Sie können ihr Zimmer sauber und ordentlich zurücklassen und ein Trinkgeld auf den Nachttisch legen . «Was Gäste auch noch wissen müssen: nie aus dem Zahnglas trinken!», sagt Meyer. Sie habe noch in keinem Hotel gearbeitet, in dem die Gläser ausserhalb des Zimmers gereinigt werden.
*Name geändert
1 Kommentar
Das habe ich vor einigen Jahren direkt mitbekommen. Eine Bekannte von mir, alleinerziehende Mutter, bekam einen Vertrag mit garantiertem 10%-Pensum... . Mündlich vereinbart waren 50-80%, tatsächlich konnte sie rund 50% arbeiten. Dadurch, dass die Firmen die Arbeitszeit pro Angestellte in diesem Bereich halten sparen sie sich die Pensionskasse und stellen für denselben Job zwei oder drei Personen an. Meine Bekannte verdiente um die 2000 Fr. Den Rest bezahlte das Sozialamt mit ergänzender Solzialhilfe, womit wir via Sozialamt die Arbeitgeber subventionieren! Diese verdienen sich eine goldene Nase, denn das Hotel bezahlt rund drei- bis viermal mehr pro Stunde für diese Arbeitskräfte . Dort wo die Frauen direkt beim Hotel angestellt sind ist es wesentlich besser. Die meisten Häuser gehören heute zu internationalen Ketten und die haben das Reinigungspersonal ausgelagert. Sie haben zwar nichts mehr zu tun mit dem Personal aber es kommt sie unter dem Strich auch teurer zu stehen. Einige haben das in den letzten Jahren bemerkt und teilweise wieder selber Personal angestellt. Mich stört am meisten, dass viele dieser Frauen deswegen vom Sozialamt unterstützt werden müssen. Hätten sie einen existenzsichernden Lohn wäre das nicht nötig.