Das Geschäft mit dem Gift
Die Schweiz ist für Tabakkonzerne ein Traumland: Sie ermöglicht ihnen Milliardengewinne. Kein Wunder, wollen die Multis das geplante Tabakgesetz zu Fall bringen.
Man könnte meinen, es seien schwierige Zeiten für die Tabakindustrie: Schreckbilder auf den Zigarettenpackungen sind obligatorisch, Plakatwerbung ist in vielen Kantonen verboten. Und das Rauchen wird der Kundschaft systematisch vergällt: In öffentlichen Gebäuden, Restaurants, am Arbeitsplatz und in Zügen ist es seit Jahren verboten. Doch die verbreitete Annahme, die Zahl der Raucher sei in den letzten Jahren stark zurückgegangen, ist ein Mythos.
Das Bundesamt für Statistik kam 1992 auf 30,1 Prozent Raucher, 2012 waren es 28,2 Prozent. Das Bundesamt für Gesundheit nennt 25 Prozent. Der Trend ist klar: Die Bemühungen, die Zahl Rauchender zu reduzieren, verpuffen.
Moskau, World Trade Center, zweiter Stock, 13. Oktober 2014: Für die Delegation aus Bern ist nur ein Platz ganz hinten im Saal reserviert. Die Schweiz hat lediglich Beobachterstatus bei der WHO-Konferenz über die Eindämmung des Tabakkonsums. Nur sieben Länder – neben der Schweiz Argentinien, Haiti, Kuba, Marokko, Mosambik und die USA – haben die Übereinkunft nicht ratifiziert, mit der die schädlichen Auswirkungen des Tabaks weltweit bekämpft werden sollen.
Gegen Abend darf sich der Schweizer Vertreter erklären – vor deutlich gelichteten Reihen: Man sei dem Abkommen noch nicht beigetreten, weil zuerst die Gesetzgebung angepasst werden müsse. Nun soll es jedoch bald so weit sein: «In der Schweiz ist ein Tabakproduktegesetz ausgearbeitet worden. Es ist in der aktuellen Version kompatibel mit den Anforderungen der Tabakkonvention.»
Als dann vier Tage später die Delegierten der 168 Vertragsstaaten ihre Schlusserklärung verabschieden, bleibt der Platz der Schweiz leer. Alle Kräfte werden zu Hause gebraucht: Dort tobt eine Koalition gegen das neue Gesetz – von Zigarettenherstellern über Tabakverkäufer bis zu Eventveranstaltern. Denn der Bundesrat will Werbung und Sponsoring einschränken und dafür sorgen, dass keine Tabakprodukte mehr an Minderjährige abgegeben werden.
Präventionsfachleute verstehen die Aufregung um das geplante Gesetz nicht. Sie vermissen darin griffigere Massnahmen wie etwa neutrale Zigarettenpackungen oder ein Verbot, an Anlässen mit Hostessen direkt für Zigaretten zu werben. «Studien zeigen, dass ein Werbe- und Promotionsverbot neben einem hohen Preis die griffigsten Massnahmen gegen das Rauchen sind», sagt Bruno Meili, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention.
Heute bestreiten nicht einmal mehr die Tabakmultis selbst, dass der blaue Dunst die Gesundheit ruiniert: «Rauchen führt zu schwerwiegenden Erkrankungen und macht süchtig», schreibt Philip Morris International entwaffnend unverblümt. Noch 1994 hatten die Vertreter der grössten amerikanischen Zigarettenhersteller vor dem US-Kongress bestritten, dass Rauchen süchtig macht. Inzwischen stellt die Industrie nicht einmal mehr in Frage, dass in der Schweiz jährlich 9000 Personen an den Folgen des Rauchens sterben – und es damit die Nummer eins unter den vermeidbaren Todesursachen ist. >>>
Lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Beobachters, wie Tabak in der Schweiz zugleich bekämpft und gefördert wird, wie Tabakmultis ihr Image aufpolieren und wie die Politik mit dem hitzig diskutierten Thema umgeht. Ab Freitag, 31. Oktober, am Kiosk oder im Abo.
Cudrefin, Anhöhe zwischen Neuenburger- und Murtensee, ein Herbstmorgen.
Eine Art Traktor bewegt sich langsam durch die Reihen der üppig grünen, ledrigen Tabakblätter. Hinten sitzen Erntearbeiter und zupfen sie von den Stängeln. Später werden sie sie in den markanten Tabakscheunen zum Trocknen aufhängen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg pflanzten in der Schweiz gut 6000 Bauern Tabak an. Heute sind es noch etwa 200, auf einer Fläche von 450 Hektaren. Die Einkaufsgenossenschaft SOTA garantiert ihnen die Abnahme der gesamten Ernte. Finanziert wird das durch eine Abgabe von 0,3 Prozent auf dem Zigarettenpreis. Die – vom Gesetzgeber gewollte – Schizophrenie an der Sache: Mit einer exakt gleich hohen Abgabe wird der Tabakpräventionsfonds gespeist. So flossen im Jahr 2013 rund 14 Millionen Franken in den Anbau des Tabaks – und zugleich in seine Bekämpfung.
Der in der Schweiz geerntete Tabak ist allerdings in Zigaretten nur Beigemüse. Jährlich werden rund 18'000 Tonnen Tabak zur Verarbeitung in die Schweiz importiert. Mit ihren Produktionsanlagen in Boncourt (British American Tobacco), Dagmersellen (Japan Tobacco International) und Neuenburg (Philip Morris International) schaffen die drei Tabakmultis über 5000 Arbeitsplätze – vor allem dank einer Regelung, die ihnen trotz hohen Lohnkosten geradezu paradiesische Zustände beschert: Sie dürfen Glimmstängel mit über zehn Milligramm Teer, einem Milligramm Nikotin und Ausstoss von zehn Milligramm Kohlenmonoxid herstellen. In der EU sind solch starke Zigaretten generell verboten. In der Schweiz darf man sie zwar nicht verkaufen – aber produzieren. Rund 80 Prozent der jährlich in der Schweiz hergestellten 40 Milliarden Zigaretten werden deshalb exportiert, ein Grossteil nach Japan.
Dieses einträgliche Geschäft sorgt nicht nur für Steuereinnahmen an den Produktionsstandorten, sondern auch für Abhängigkeiten. Im Bundeshaus müssen die Tabakmultis schon gar nicht mehr selber lobbyieren; das übernehmen die Vertreter der Standortkantone. So sorgte der Neuenburger FDP-Nationalrat Laurent Favre schon 2010 dafür, dass die nicht EU-kompatiblen Zigaretten hier weiter hergestellt werden dürfen. Vier Jahre später verzichtete der Bundesrat darauf, im Gesetzesentwurf eine Abschaffung des einträglichen Privilegs vorzuschlagen.
Bern, Bundeshaus, 16. Oktober: Der FDP-Ständerat Hans Hess tigert durch die Gänge, auf der Suche nach einem Ort, wo er dem Beobachter Red und Antwort stehen kann. Der Obwaldner Rechtsanwalt hat neben vielen anderen Posten auch das Amt des Präsidenten von Swiss Tobacco inne, das ihm 50'000 Franken pro Jahr einbringt. Er als oberster Tabakhändler der Schweiz appelliert an die Eigenverantwortung: «Jeder Raucher weiss, dass er etwas Schädliches zu sich nimmt, und trotzdem tut er es». Dann aber klagt Hess über die «Fundamentalisten» im Bundesamt für Gesundheit, «denen es am liebsten wäre, wenn die ganze Schweiz rauchfrei wäre». Selber hat er eine andere Vision: Er will das Tabakproduktegesetz schon in der Eintretensdebatte bodigen.
Ein wichtiger Verbündeter von Swiss Tobacco ist der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Das neue Gesetz enthalte «überschiessende Werbeverbote» und sei ein «Fundamentalangriff auf die freie Marktwirtschaft», wettert der Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Economiesuisse hat mit diesen Argumenten Erfahrung: 2012 meldete sich der Verband sogar bei einer Vernehmlassung im fernen Australien zu Wort, als man dort Zigarettenpackungen mit abschreckenden Fotos und ohne Firmenlogo (Plain Packaging) einführen wollte. Dass dabei die Stellungnahme von Economiesuisse erstaunliche Parallelen zu der von Philip Morris aufwies, gibt Economiesuisse-Geschäftsleitungsmitglied Thomas Pletscher unumwunden zu: «Wir verfassen unsere Stellungnahmen immer in Zusammenarbeit mit den Experten unserer Mitglieder.»
Ein weiteres Argument der Zigarettenhersteller gegen jegliche Art von Regulierung: Der Tabakkonsum sinke weltweit seit Jahren. Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Rückgänge in Westeuropa und Nordamerika steckt die Branche dank starkem Wachstum in den Schwellenländern locker weg. Kumuliert erwirtschafteten Philip Morris, British American Tobacco und Japan Tobacco International letztes Jahr einen Umsatz von über 110 Milliarden Franken, der Gewinn kletterte auf fast 18 Milliarden Franken. Der Gewinn pro Aktie hat sich bei den drei Grosskonzernen seit 2007 praktisch verdoppelt.
Das neue Tabakproduktegesetz, das bald dem Parlament vorgelegt werden soll, wird den Boom nicht bremsen. Zwar soll es den Zigarettenfirmen künftig nicht mehr erlaubt sein, private Partys zu sponsern. Diese Art von Werbung ist vor allem in der Westschweiz gang und gäbe, zeigt eine vom Bund finanzierte Studie der Tabakpräventionsorganisation Cipret. Auch Anlässe mit internationaler Ausstrahlung dürften künftig nicht mehr von Zigarettenfirmen gesponsert werden – Open-Air-Festivals sind allerdings mit Rücksicht auf die Veranstalter ausgenommen.
Sorgen bereiten den Präventionsfachleuten vor allem die neuen Medien. Gegen verdeckte Werbung im Internet ist kein Kraut gewachsen. Der Beweis, dass Lobeshymnen für eine Zigarettenmarke auf Facebook oder Twitter von einer Firma gelenkt und nicht spontan von Jugendlichen angezettelt wurden, lässt sich praktisch nicht erbringen. «Die vorgesehenen Einschränkungen bei Werbung und Sponsoring orientieren sich an einem Medienverständnis, das vielleicht vor 20 Jahren aktuell war», kritisiert Pascal Diethelm von der Präventionsorganisation OxyRomandie. Diethelm ist nicht irgendwer. Er entlarvte 2001 einen Genfer Professor, der gegen Bezahlung der Tabakindustrie die Auswirkungen auf die Gesundheit schönredete.
Universität Zürich, Wilfriedstrasse 6: Michael Wolf sorgt seit einiger Zeit bei den Tabakmultis für gute Laune – mit einer Studie, die der Professor für Ökonometrie und angewandte Statistik mit seinem Kollegen Ashok Kaul im Frühling publiziert hat. Es geht um die Auswirkungen des Plain Packaging in Australien. Das Fazit der beiden Forscher: Es gibt keine Hinweise, dass neutrale Zigarettenpackungen ohne Markenlogo zu einem Rückgang jugendlicher Raucher führen. Wolf und Kaul liefern damit das Argument, auf das die Tabakmultis im Kampf gegen behördlich verordnete unattraktive Zigarettenpackungen lange gewartet haben: Wo immer solche Regulierungen anstehen, wird seither die Studie aus Zürich zitiert.
Der Untersuchung haftet jedoch ein grosser Makel an: Sie wurde vollständig von Philip Morris International bezahlt. Wissenschaftliche Studien zu finanzieren ist ein beliebtes Instrument der Tabakmultis, um in der öffentlichen Diskussion über Sinn und Unsinn von Tabakpräventionsmassnahmen zu punkten. Weltweit müssen sich Forscher immer wieder vorwerfen lassen, Studien im Auftrag von Tabakfirmen manipuliert zu haben.
Wolf und Kaul nennen in ihrem Bericht ihre Finanzquelle korrekt und versichern, dass Philip Morris keinerlei Einfluss genommen habe. «Wir benutzen objektive wissenschaftliche Methoden, um Daten zu analysieren», schreibt Wolf. Kritiker hingegen werfen Wolf und Kaul vor, aufgrund der ausgewerteten Daten sei das Resultat «weder unerwartet noch aussagekräftig».
Zofingen, ein Samstag im Sommer: Prächtiges Wetter, es steht ein beliebtes Lokalfest an, am Bahnhof trifft sich die Jugend der Umgebung. Vor dem Kiosk baut die Mitarbeiterin eines Tabakkonzerns eine Theke auf. Mit charmantem Lächeln angelt sie sich junge Passanten, streckt ihnen ein iPad entgegen und verwickelt sie in ein Gespräch. Das Ziel ist klar: Für die Zigarettenindustrie sind Jugendliche und Frauen besonders interessant, entsprechend richtet sie ihre Werbebemühungen aus. Mit Erfolg: Bei den 15- bis 24-Jährigen konnten die Tabakfirmen die Zahl der Rauchenden nach einem Rückgang zwischen 1997 und 2007 wieder steigern. Bruno Meili, Präsident der Kommission für Tabakprävention, sieht dem fassungslos zu: «Die Industrie arbeitet gezielt daran, immer neue Rauchergenerationen aufzubauen.»